Landrauschen

In ihrem Debüt LANDRAUSCHEN schickt Regisseurin, Autorin und Editorin Lisa Miller eine hippe Berlinerin zurück in ihr Heimatdorf, dabei wäre die Geschichte einer Nebenfigur eigentlich viel spannender. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Nach Jahren des wilden Lebens, mit Ende 20, zwei Hochschulabschlüssen, aber ohne Geld und erfüllendem Job, befindet sich Toni (Kathi Wolf) in einer Sinnkrise. Eine Erbschaftsangelegenheit dient als willkommener Grund, ihr kosmopolitisches Leben zu verlassen und wieder in ihr Heimatdorf zu fliehen, dessen Enge sie ursprünglich hinter sich lassen wollte. Doch dieser Neuanfang geht gründlich schief. Als Praktikantin für den Heimatteil einer Lokalzeitung fühlt sie sich weit unter Wert verkauft und zu Hause nehmen ihr die übergriffigen Eltern jede Luft zu atmen. Zum Glück trifft sie auf die lebenslustige Rosa (Nadine Sauter). Mit ihr sieht die Welt der Heimat auf einmal anders aus. Bei wilden Mopedfahrten und nächtlichen Streifzügen fühlt sich Toni wieder lebendig. Doch die Beziehung wird immer explosiver, je mehr Rosa sich zu der schönen Toni hingezogen fühlt, die sich nur um sich selbst zu drehen scheint.

Kritik

„Im August in Osage County“, „Der Wein und der Wind“, „Sieben verdammt lange Tage“ – nicht selten führt ein Zwischenfall in der Familie ihre Mitglieder unverhofft wieder zusammen. Je weiter sie sich voneinander entfremdet haben, desto emotionaler gerät in der Regel der Clash. Erst recht dann, wenn sich die Lebensumstände radikal geändert haben. In „Landrauschen“, dem Debüt von Lisa Miller, die hier als Regisseurin, Autorin und Editorin in Personalunion auftritt, holt sie eine mittlerweile in Berlin lebende junge Frau zurück aufs Land. Das taten zuletzt aus Sönke Wortmann in „Sommerfest“ mit Lucas Gregorowicz oder Matthias Starte in „Nirgendwo“ mit Ludwig Trepte, um nur mal im deutschen Kino nach ähnlichen Prämissen zu suchen. „Landrauschen“ hat entsprechend schon mal wenig Innovationswert vorzuweisen, doch Lisa Miller weiß trotzdem genau, weshalb sie genau hiervon erzählen möchte, denn vieles an ihrem Film entstammt nicht ihrer Fiktion, sondern ist von wahren Schicksalen inspiriert. Am meisten jenes von Nadine Sauter, die in „Landrauschen“ ihr Debüt als Schauspielerin gibt und darin mehr oder minder sich selbst und ihr Leben verkörpert. Sauter spielt hier eine auf dem Land lebende Homosexuelle, die ihre Liebe in dieser Gemeinschaft alles andere als frei ausleben kann und aufgrund ihrer Orientierung schließlich sogar ihren Job verliert. Von den ständigen Spöttereien der Dorfjugend ganz abgesehen. Das schmerzt gerade aufgrund der sehr realitätsnahen Inszenierung zutiefst und verhilft „Landrauschen“ zeitweise zu einer ungemein intensiven Atmosphäre, die der Film leider nicht aufrechterhalten kann. Viel mehr als an Nadine ist Lisa Miller nämlich an der eigentlichen Hauptfigur Toni interessiert und deren Leben ist nicht bloß weitaus weniger interessant, Miller gibt sich für das Erzählen ihrer Geschichte auch vorwiegend mit dem Aufgreifen von Klischees zufrieden.

Nadine Sauter spielt die lebenslustige Rosa, die es in ihrer Dorfgemeinschaft nicht leicht hat.

Damit von Anfang an geklärt ist, dass das Hauptaugenmerk in „Landrauschen“ auf dem Clash zwischen Stadt- und Landleben liegen soll, greift Lisa Miller direkt zu Beginn tief in Mottenkiste abgegriffener Vorurteile: Toni liefert sich ein Duell um eine Jobposition in einer Redaktion. Ihr Konkurrent: Ein mit Hipster-Bart und diversen internationalen Studienabschlüssen ausgestatteter Schnösel, der in jenem Moment die Zusage bekommt, als der Boss – nicht minder arrogant – liest, dass Toni aus dem kleinen Kaff Bubendorf kommt. Nett wie er ist, befördert er sie als Praktikantin immerhin genau dorthin und lässt sie kleine Reportagen und Texte zum Dorfleben verfassen. Stadt und Land sind eben einfach so unterschiedlich, dass sich das letztlich auch gar nicht weiter vermischen sollte. Dazu passt es dann auch, dass sämtliche Menschen, auf die Toni im weiteren Verlauf trifft, exakt dem entsprechen, was sich Städter vermutlich unter einem „Dorfmenschen“ vorstellen: Eine eingeschworene Dorfjugend, rückständig denkende Senioren mit Hang zum AfD-Wählertum, sich wie Sheriffs aufspielende Polizisten und so weiter und so fort. Irgendwie wird man in „Landrauschen“ das Gefühl nicht los, hier auf dem Land gäbe es einfach keine normalen Leute. Und wenn dann doch mal Jemand nicht ins Gefüge passt, wird er direkt zum tragischen Außenseiter erklärt. Lisa Miller lässt so etwas wie eine Grauzone schlicht unberücksichtigt. Stattdessen fokussiert sie das Aufeinanderprallen der Gegensätze, aus dem sich immerhin langsam eine sympathische Frauenfreundschaft herauskristallisiert.

Während sich Toni behutsam in das ihr ohnehin von früher bekannte Landleben fügt und sie dabei nicht unbedingt positive Entwicklungen durchmacht (als Rosa von einer Gruppe Halbstarker für ihr Lesbendasein verspottet wird, unternimmt Toni nichts, sondern lacht stattdessen mit), nehmen die Dinge für Rosa eine radikale Wendung: In schonungsloser Offenheit inszeniert Lisa Miller eine der stärksten Szenen des diesjährigen deutschen Kinos, wenn die junge Frau zu ihrem Vorgesetzten beordert wird und sich dort für ihre sexuelle Orientierung rechtfertigen muss, was schließlich in eine Kündigung mündet. In dieser Szene steckt so viel Wut und Trauer, dass es für einen kurzen Moment kaum zu ertragen ist – und die Tatsache, dass vieles in „Landrauschen“ von wahren Ereignissen inspiriert ist, macht es nicht erträglicher. Eine darauffolgende Polizeikontrolle (Rosa wird aufgrund von zu schnellem Fahren und der von ihr gehörten Musik der linken Rockband Feine Sahne Fischfilet aus dem Verkehr gezogen) ist schließlich voll und ganz von Rosas Gefühlslage geprägt und an Emotionalität kaum zu überbieten. Ohne die aufopferungsbereite Nadine Sauter wäre diese Szene zwar immer noch stark, so aber geht sie einem nochmal besonders nah.

Toni und ihre Mutter Ilse (Heidi Walcher) erschöpft nach dem Dorffest

Doch so einfühlsam Lisa Miller Rosas Gefühlswelt auch nachzeichnet, letztlich geht es in dem dokumentarisch gefilmten (Kameramann: Hannes Kemper) und fast ausschließlich von Newcomern gespielten Drama „Landrauschen“ vorwiegend um Toni – und die hat mit einem ausgeprägten Wutanfall ob ihrer ungerechten Behandlung durch ihren Chefredakteur (Volkram Zschiesche)  zwar auch eine sehr prägnante, wenn auch nur kurze Szene in petto, um die ebenfalls debütierende Kathi Wolf zu Höchstleistungen anzutreiben. Doch davon einmal abgesehen, fehlt es ihrer Figur an Facettenreichtum. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Wolf einfach kaum etwas machen muss, außer mit ihrer Umgebung ausführliche Gespräche zu führen. Dass sich die junge Journalistin auf dem Land zunächst unwohl fühlt und sie sich mit den hier vorherrschenden Sitten und Gebräuchen nach und nach wieder vertraut macht, ist nachvollziehbar, doch letztlich passiert in „Landrauschen“ einfach viel zu wenig, genauso wie der Sprung von der weltoffenen und selbstbewussten jungen Frau hin zu unsicheren Mitläuferin viel zu plötzlich gerät, um so richtig glaubhaft zu sein. Das macht es Nadine Sauters Nora natürlich umso einfacher, sich früh als Highlight zu etablieren. Würde „Landrauschen“ nur von ihr handeln, wäre hier wohl ein deutlich stärkerer Film bei herausgekommen.

Fazit: In dem authentisch inszenierten Drama „Landrauschen“ muss sich eine Städterin auf dem Land zurechtfinden, was leider keine neuen Erkenntnisse hervorbringt. Das von wahren Ereignissen inspirierte Schicksal der lesbischen Nebenfigur Nora hingegen ist ungleich einprägsamer und hätte es verdient, dass der Film nur von ihr handelt.

„Landrauschen“ ist ab dem 19. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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