Die dunkelste Stunde

In Joe Wrights Politthriller DIE DUNKELSTE STUNDE spielt sich Gary Oldman souverän in Richtung Oscar und Joe Wright macht seinen „Pan“-Flop von 2015 vergessen. Mehr zum Film verrate ich in meiner Kritik. 

Der Plot

Mai 1940: Das anfängliche Kriegsglück der Nazis stürzt die britische Regierung in eine existenzielle Krise, Premierminister Chamberlain (Ronald Pickup) tritt zurück. Nur dem reichlich unpopulären Winston Churchill (Gary Oldman) traut man zu, die scheinbar ausweglose Lage in den Griff zu bekommen. Er übernimmt das Amt, sieht sich aber bald von Öffentlichkeit und Regierungsmitgliedern bedrängt, mit den scheinbar unaufhaltsamen Nazis über einen Friedensvertrag zu verhandeln. Doch durch seine außerordentliche Weitsicht und Integrität gelingt es Churchill dennoch, an seiner Überzeugung festzuhalten und für die Freiheit seiner Nation zu kämpfen. Als die Luftschlacht um England entbrennt und die deutsche Invasion droht, wenden sich das überrumpelte britische Volk, der skeptische König und sogar seine eigene Partei von Churchill ab. Wie soll es ihm in dieser prekären Situation seiner Karriere gelingen, das Land zu einen und den Lauf der Weltgeschichte zu ändern?

Kritik

Das von der Trump-Herrschaft durchgeschüttelte Amerika dürstet aktuell nach allem, was auch nur einen Hauch Hoffnung versprüht. Die Schlacht von Dünkirchen, vor allem aber die damit einhergehende Rettung von über 330.000 Soldaten ist eine solche. Die Mission ging als „Operation Dynamo“ in die Geschichte ein, was Christopher Nolan erst kürzlich mit „Dunkirk“ als sprödes Kriegsdrama verfilmte. Maßgeblich an dieser Rettungsaktion beteiligt, war zum damaligen Zeitpunkt der Premierminister Winston Churchill, der bis heute als der bedeutendste britische Staatsmann der Geschichte zählt. Von 1940 bis 1945 (und zunächst gegen den Willen seiner eigenen Partei) an der Macht, führte er sein Land durch den Zweiten Weltkrieg und änderte den Verlauf der Geschichte maßgeblich, indem er sich bis zuletzt gegen Verhandlungen mit Adolf Hitler aussprach. Unter seiner Regierung kämpfte Großbritannien bis zum Kriegsende gegen die deutschen Soldaten; nicht wenige Historiker gehen davon aus, dass es in erster Linie Winston Churchill zu verdanken ist, dass Adolf Hitler den Krieg nicht gewinnen konnte. Trotzdem war seine Person streitbar, seine Taten stießen auf Gegenwehr – sogar aus den eigenen Reihen. In seinen Volksansprachen hielt er mit der Wahrheit nicht hinterm Berg. Eine Strategie, die ihm bis zuletzt Kritik einbrachte. „Die dunkelste Stunde“ widmet sich als zweiter Film binnen kurzer Zeit der Person Winston Churchill und wird zu einem faszinierenden Porträt eines noch faszinierenderen Charakters.

Winston Churchill (Gary Oldman) fällte viele seiner Entscheidungen für sich im stillen Kämmerlein.

Gerade bei komplexen Charakteren ist Fingerspitzengefühl zwangsläufig nötig, um die Eigenheiten einer Figur auszuarbeiten, ohne sie dabei in ein falsches Licht zu rücken. Jonathan Teplitzky gelang das in seinem Biopic „Churchill“ schon ganz gut, doch die bemühte Künstlichkeit in der Inszenierung betonte die Spleens seiner Hauptfigur mitunter zu sehr, sodass die zweifelsfrei starke Performance Brian Cox‘ hier und da Gefahr lief, ins Alberne abzudriften. Auch das fast lethargische Erzähltempo wurde der angespannten Situation hinter den Kulissen des Zweiten Weltkrieges nicht gerecht, sodass Joe Wright mit seinem Politfilm viele Möglichkeiten hat, es besser zu machen, als sein Kollege. Hinzu kommt die enge Verbundenheit zwischen dem Regisseur und Winston Churchill an sich; nach seinem brutalen Fantasy-Flop „Pan“ hielt sich Wright mit dem optimistischen Gedanken an Churchills Karriereweg über Wasser, der es allen zeigte, als schon keiner mehr an ihn glaubte. Ohne sich selbst auf eine bedeutsame Stufe mit dem britischen Politiker zu stellen, entstand hieraus das Vorhaben, als nächstes Projekt einen Film über Churchill zu drehen – die Quintessenz aus dieser Entstehungsgeschichte ist in erster Linie der spürbare Respekt für die Leistungen, die der Staatsmann uneigennützig für sein Land erbracht hat. „Die dunkelste Stunde“ strahlt genau das aus: Hinter dem intimen Porträt der zerrissenen Person steckt tiefste Ehrfurcht für den Mut Churchills, an seiner Vision festzuhalten. Gleichermaßen stilisiert Drehbuchautor Anthony McCarten („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) seine Hauptfigur nicht zum Heroen hoch; „Die dunkelste Stunde“ ist auch ein Film über Versagensängste und menschliche Schwächen.

Dass dieser Spagat zwischen dem verunsicherten Menschen Winston Churchill und dem durchsetzungsfähigen, eigensinnigen Politiker glaubhaft gelingt, ist in erster Linie Hauptdarsteller Gary Oldman („Killer’s Bodyguard“) zu verdanken. Wenngleich sich die Macher durchaus bewusst gewesen sein dürfen, mit der der einhundertprozentigen Konzentration auf das phänomenale Spiel des kaum wiederzuerkennenden Charaktermimen von allen anderen Faktoren in „Die dunkelste Stunde“ abzulenken (und sich damit gewiss anhören dürfen, eine Form des Oscar-Baitings zu betreiben), ist Oldman schlicht und ergreifend über jeden Zweifel erhaben. Mit seinem einnehmenden Spiel und dem formidablen Vermögen, sich Duktus und Gestus des realen Vorbilds zu eigen zu machen, ist Oldman in diesem Jahr zurecht der heiße Favorit auf den Oscar in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ und würdiger Gewinner in derselben Golden-Globe-Kategorie. Als männlichen Pendant zu Natalie Portman, die schon in „Jackie“ perfekt mit dem echten Vorbild Jackie Kennedy verschmolz, bricht der 59-jährige Brite die Grenze zwischen Schauspieler und Rolle auf; für 125 Minuten wird er zu Winston Churchill, behandelt ihn mit Respekt, gibt Raum für Zerbrechlichkeit und lässt in vor allem menschlich wirken. Denn trotz der Konzentration auf den emotional angespannten Zeitraum rund um die Operation Dynamo ist in dem passend betitelten „Die dunkelste Stunde“ immer auch Platz für sensiblen Humor; Winston Churchill war eben auch nur ein Mensch, etwa wenn er das berühmte Victory-Zeichen unbedarft falsch herum aufzeigt, womit er ihm direkt eine ganz andere, frivole Bedeutung gibt.

Um sich einen Eindruck von der Lage innerhalb der Bevölkerung zu verschaffen, begibt sich Churchill auf dessen Augenhöhe.

Im Kontrast zu der fast schon leichtfüßigen, vor allem aber kurzweiligen Inszenierung (die 125 Minuten Laufzeit fühlen sich maximal an wie eineinhalb Stunden), steht die technische Aufmachung. An den realen Ereignissen orientiert, spielt sich „Die dunkelste Stunde“ vorwiegend in Büros, Bunkern und den eigenen vier Wänden der Churchills ab und unterstreicht auf visueller Ebene somit, wie bedrückend die Situation für alle Beteiligten gewesen ist. Für Joe Wright ist das jedoch kein Grund, auf visuelle Kabinettstückchen zu verzichten. Kameramann Bruno Delbonnel („Die Insel der besonderen Kinder“) und Editor Valerio Bonelli („Der Stern von Indien“) sorgen für fließende Übergänge und dadurch besonders elegante Bilder, wodurch sich die Settings spielend ablösen und das Optimum an visueller Vielfalt aus ein und demselben Setpiece herausgeholt werden. Genauso wirbelt der pianobetonte Score von Dario Marionelli („Kubo – Der tapfere Samurai“) regelrecht um seine Darsteller herum. Auch lange Standbilder geben die Möglichkeit, die detailreich ausgestatteten Sets zu erkunden und können die Aufmerksamkeit des Zuschauers somit für einen kurzen Moment von Oldmans Performance ablenken. Dass der sich jedoch nie bemüht in den Vordergrund spielt, erkennt man spätestens in der Interaktion mit den beiden wichtigsten Frauenfiguren Lily James („Baby Driver“) als zunächst eingeschüchterte, später fast auf Augenhöhe mit ihrem Boss agierende Büroangestellte Elizabeth Layton, sowie mit Kristin Scott Thomas („The Party“) als Churchills Ehefrau Clemmie. War Miranda Richardson in „Churchill“ ausschließlich Mittel zum Zweck, räumt Joe Wright seiner Darstellerin weitaus mehr Raum zur Entfaltung ein. So entwickelt sich um den Protagonisten ein weitaus interessanteres Konstrukt diverser wichtiger Figuren, die aus ihm keinen Übermenschen machen, sondern einfach einen solchen, der zur richtigen Zeit wusste, was zu tun ist.

Fazit: Der Oscar als Bester Hauptdarsteller wird Gary Oldman für seine spektakuläre Performance in „Die dunkelste Stunde“ nicht mehr zu nehmen sein. Doch auch davon einmal abgesehen, ist der überraschend leichtfüßig inszenierte Film eine Sternstunde des modernen Politkinos auf einem hohen technischen Niveau.

„Die dunkelste Stunde“ ist ab dem 18. Januar 2018 in den deutschen Kinos zu sehen.

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