Wiener Dog

Indie-Regisseur und Zyniker Todd Solondz begleitet in seiner tiefschwarzen Episodenkomödie WIENER DOG das Leben von vier Underdogs in New York. Dabei zeigt sich der Macher von „Willkommen im Tollhaus“ einmal mehr von seiner bösesten Seite, seine prätentiöse Inszenierung steht der wahrhaftigen Wirkung seines Films jedoch im Weg. Mehr dazu in meiner Kritik.
Der Plot
Kurz nach ihrer Geburt wird die von ihren Besitzern nur „Wiener Dog“ genannte Dackelhündin von Danny (Tracy Letts) adoptiert. Danny ist der Vater des neunjährigen Remi (Keaton Nigel Cooke), und die kleine, noch längst nicht stubenreine Hündin ist als Überraschung für den schwächlichen Jungen gedacht, der gerade erst eine Krebserkrankung überstanden hat. Remis Mutter Dina (Julie Delpy) ist nicht begeistert von dem neuen Familienmitglied. Doch während die beiden Eheleute noch streiten, ist Remi längst bis über beide Ohren verliebt. Die Geschichte nimmt eine dramatische Wendung, als Wiener Dog Remis fehlendes Wissen um korrekte Hundeernährung zum Verhängnis wird. Die unscheinbare Tierarzthelferin Dawn Wiener (Greta Gerwig) kann die Hündin knapp vor dem Einschläfern bewahren und nimmt sich ihrer an. Gemeinsam mit ihrer Jugendliebe Brandon (Kieran Culkin) reisen Dawn und die von ihr fortan „Kacka“ genannte Dackeldame durch die USA, bis sich ihre Wege trennen. Wiener Dogs Lebensweg ist fortan von Höhen und Tiefen geprägt, genauso wie die Leben, auf die sie unbewusst Einfluss nimmt…
Kritik
In einer Szene von Todd Solondz‘ indirekter „Willkommen im Tollhaus“-Fortsetzung „Wiener Dog“ erklärt Julie Delpys („Before“-Reihe) Figur Dina ihrem Filmsohn Remi, dass Hunde keinerlei Relevanz in der Evolution besitzen. Sie dienen einzig und allein der Freude des Menschen, die Natur schert sich nicht um sie. Außer dem Zweibeiner hat ein Hund keine Bezugsperson und ist ohne ihn entsprechend freudlos. Würde man eine solche These auf den Film übertragen, könnte man diese glatt bestätigen. Wiener Dog besitzt in ihrem gleichnamigen Film nämlich auch keinerlei Relevanz, sondern dient zu Beginn lediglich als halbwegs Roter Faden, um die einzelnen Filmepisoden miteinander zu verknüpfen, um später nur noch punktuell für einige Szenenpointen herangezogen zu werden. Insofern ist die Aussage des Regisseurs, er wolle mit „Wiener Dog“ einen Hundefilm drehen, ein wenig an den Haaren herbei gezogen. Seine bitterböse Tragikomödie über vier einsame Seelen in New York ist kein Hundefilm. Dafür ist der Verbleib des Vierbeiners viel zu nichtig und irrelevant für die Story selbst. Bisweilen hat das sogar Auswirkungen auf die Filmqualität, wenn Solondz inszenatorische Gedanken nicht zu Ende bringt oder den Dachshund für prätentiöse Arthouse-Einschübe missbraucht. Eine im Kern zynische Auseinandersetzung mit den Skurrilitäten des American Dream ist in „Wiener Dog“ dennoch erkennbar und bei aller perfiden Ausführung auch erschreckend amüsant.
„Wiener Dog“ besteht aus insgesamt vier kurzfilmartigen Sequenzen, die episodenfilmtypisch von schwankender Qualität sind. In der ersten befasst sich Regisseur Todd Solondz mit einer dreiköpfigen Familie, in welche der Dackelwelpe einziehen darf, um den von einer Krebserkrankung gezeichneten Sprössling der Familie aufzuheitern. Ohne einer klar erkennbaren Dramaturgie folgend, fängt „Wiener Dog“ Alltagssequenzen ein und skizziert an ihnen das Leben einer überforderten Familie, in deren Reihen vermutlich für alles Platz wäre, jedoch nicht für ein Lebewesen, das sich schwer unter hundertprozentige Kontrolle bringen lässt. Insofern wirkt die Diskussion über das Seelenbrechen der Kreatur zwecks Stubenreinheit (im Englischen tatsächlich unter dem Terminus „housebroken“ bekannt) nur auf den ersten Blick befremdlich; letztlich spiegelt sich in ihr nur die Hilflosigkeit ob unkontrollierbarer Lebensfaktoren wieder. Seien diese nun die unabwendbare Krebserkrankung des Jüngsten, oder eben das sprunghafte Wesen eines Hundewelpen. Angereichert wird diese Episode durch eine skurrile Geschichte, die Mutter Dina ihrem Sohn als Lektion mit auf den Weg gibt: Als dieser sie nämlich fragt, weshalb Wiener Dog unbedingt sterilisiert werden muss, saugt diese sich eine horrende Geschichte über eine vergewaltigte Hündin aus den Fingern; fragwürdige Pädagogik trifft auf den irrwitzigen Versuch, die Wahrheit um derartige Eingriffe vor dem Neunjährigen zu verschleiern. Dass dieser gewöhnungsbedürftige Clash aufgeht, ist dem selbstverständlichen Spiel Julie Delpys zuzurechnen. Gleichsam gestaltet sich der Bruch derart herber Unterhaltung hin zum dramatischen Wechsel in tieftraurige Gefilde aber auch arg konstruiert. Wenn Kameramann Edward Lachman („Carol“) in Zeitlupe das Ergebnis von Wiener Dogs todbringender Durchfallerkrankung einfängt, hemmt das die bitterböse Attitüde des Films um der Kunst willen.
Dass „todbringend“ nie über den Status „potenziell“ hinaus kommt, ist angesichts der Prämisse selbstverständlich. Den Überraschungseffekt mag das hemmen, der Übergang von Episode eins zu Episode zwei gerät dadurch jedoch angenehm glaubwürdig. Bei dieser handelt es sich gleichsam um die schwächste, denn trotz Indie-Queen Greta Gerwig („Maggies Plan“) plätschert die Road-Movie-Kurzgeschichte um zwei Außenseiter nichtssagend vor sich hin. Für die Fans von Todd Solondz‘ Vita gibt es hier ein Wiedersehen mit zwei Figuren aus „Willkommen im Tollhaus“; sowohl Dawn Wiener, als auch ihre Jugendliebe Brandon sind mittlerweile erwachsen geworden und können nach wie vor weder mit, noch ohne einander. Wo ihre Reise hingeht, das sei an dieser Stelle nicht verraten. Doch weder das Ziel ihrer Reise, noch der Übergang zu Episode drei rechtfertigen eine nähere Betrachtung des Figurenschicksals. Erneut steht sich anschließend die Inszenierung selbst im Weg; wenn Todd Solondz der Einfachheit halber eine Pause in den Film einbettet, um nicht erklären zu müssen, weshalb der mittlerweile „Kacka“ getaufte Hund nicht mehr dort verweilt, wo er gen Ende von Episode zwei hinterlassen wurde, macht es sich der Regisseur viel zu leicht und bringt obendrein das Konzept ins Wanken. Immerhin: Was nun folgt ist die stärkste Episode des gesamten Films.
Hollywood-Urgestein Danny DeVito („I’m Still Here“) als alternden Regisseur inmitten einer ausgeprägten Lebenskrise dabei zuzusehen, wie sich sein Lebenstraum nach und nach auflöst, könnte vermutlich auch einen Langfilm tragen. Gleichzeitig entfernt sich diese Geschichte aber auch am weitesten weg vom Filmtitel „Wiener Dog“; mit Ausnahme einer fiesen Pointe kommt dieser hier kaum mehr vor. Immer wieder scheint es, als hätte Todd Solondz Ideen für vier vollkommen unabhängig voneinander existierende Filme gehabt, die sich so jedoch nicht verwirklichen ließen. Stattdessen greift er zum einfachsten aller Mittel, inszeniert sie als Kurzfilm und denkt sich mit dem Hund einen Grund aus, weshalb er diese alle unter einen Hut bringen kann. Auch die vierte Episode um eine des Lebens müde gewordene Großmutter hat ihre Stärken vor allem in der Beobachtung des (White-Trash-)Milieus und sorgt immerhin im Finale für einen aussagekräftigen Schlussgag. Doch eine kitschige Traumsequenz wird der kantigen Performance von Ellen Burstyn („Requiem for a Dream“) nicht gerecht und steht im direkten Kontrast zur eingangs so subtilen Aussage der „American Dream“-Kritik. So ist „Wiener Dog“ bis zuletzt nichts Halbes und nichts Ganzes, hat Hoch- und Tiefpunkte, stellt sich jedoch immer wieder selbst ein Bein, wenn Todd Solondz mehr in seinem Projekt unterzubringen versucht, als es der Platz anbietet.
Fazit: „Wiener Dog“ ist bitterböses Ensemblekino, dessen Episoden mal pfiffig aussagekräftig, ein anderes Mal wiederum aufgesetzt prätentiös wirken. Der Darstellerleistung wegen, ist der Kauf eines Kinotickets jedoch alles andere als eine Fehlinvestition.
„Wiener Dog“ ist ab dem 28. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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