Demolition – Lieben und Leben

Nach „Dallas Buyers Club“ und „Der große Trip“ liefert Regisseur Jean-Marc Vallée mit DEMOLITION nun das nächste preisverdächtige Drama ab und lässt Jake Gyllenhaal darin einmal mehr zum Witwer werden. Wie gut er das macht, verrate ich in meiner Kritik.Demolition - Lieben und Leben

Der Plot

Als seine Frau bei einem Autounfall tödlich verunglückt, bricht für den erfolgreichen Investmentbanker Davis (Jake Gyllenhaal) eine Welt zusammen. Obwohl sein Schwiegervater (Chris Cooper) ihn drängt, sich zusammenzureißen, verliert Davis zusehends die Kontrolle über sich. Ein Beschwerdebrief, den er an eine Verkaufsautomaten-Firma schreibt, weckt die Neugier der Kundendienst-Mitarbeiterin Karen (Naomi Watts). Daraus entspinnt sich ein reger Briefwechsel, der viele persönliche, geradezu intime Geständnisse zur Folge hat. Die beiden Fremden lernen sich persönlich kennen und entwickeln eine tiefe Beziehung, die sich für beide als Rettung erweist. Mit Hilfe von Karen und deren 15 Jahre alten Sohn (Judah Lewis) beginnt Davis ein neues Leben – doch dafür muss er zunächst sein altes hinter sich lassen.

Kritik

Gerade erst durfte sich Jake Gyllenhaal für seine preiswürdige Performance in Antoine Fuquas Boxerdrama „Southpaw“ feiern lassen, nun steht der kantige Mime erneut als vom Schicksal gebeutelter Zeitgenosse vor der Kamera. Ein weiteres Mal spielt er einen fest im Leben stehenden Mann, dem durch den plötzlichen Tod seiner Ehefrau der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Da liegt die Vermutung nahe, es bei „Demoliton“, inszeniert von Academy-Liebling Jean-Marc Vallée („Dallas Buyers Club“, „Der große Trip – Wild“), lediglich mit einer Abwandlung des bekannten Stoffes zu tun zu haben. Doch weit gefehlt! Der entscheidende Unterschied ist im Falle von „Demolition“ nämlich die Tatsache, dass Gyllenhaal alias Davis hier noch auf der Suche nach dem so wichtigen Ventil ist, um die Trauer und Wut aus sich herauszulassen; in „Southpaw“ hatte Gyllenhaals Figur dieses in Form des Boxsports längst gefunden. Ein wichtiger Faktor, der sich auch im Tonfall der schwarzhumorigen Tragikomödie widerspiegelt. Dankenswerterweise ist „Demolition“ nämlich alles andere als ein schwermütiges Charakterdrama, sondern eine zwar melancholische, aber immer wieder auch augenzwinkernde Sinnsuche eines Mannes, der eine Frage stellt, die sich kaum einer in den Mund zu nehmen traut: Wer schreibt einem eigentlich vor, dass man um seine tote Ehefrau trauern muss?

Jake Gyllenhaal

Jean-Marc Vallée kann nicht verbergen, dass er auch mit „Demolition“ ein weiteres Mal auf Stimmenfang um alle möglichen Filmpreise dieser Welt geht. Nicht nur, dass die Geschichte (Drehbuch: Bryan Sipe, „The Choice“) perfekt auf Hauptdarsteller Gyllenhaal zugeschnitten ist, auch gewisse Einzelszenen tragen eine gehörige Portion Arthouse-Pathos mit stolz geschwellter Brust zur Schau. Wenn sich Hauptfigur Davis in einer Sequenz sinnbildlich freiläuft, indem er aus heiterem Himmel die Küstenpromenade rauf- und runterrennt, dann ist das so wenig subtil, dass man froh ist, diese Szene erst ganz zum Schluss zu Gesicht zu bekommen. So endet „Demolition“ vielleicht mit einem Schwachpunkt, die meiste Zeit überzeugt der Film allerdings in seiner ausgewogenen Atmosphäre, in der herbes Drama und Galgenhumor Hand in Hand gehen. Mit Davis von Anfang an zu sympathisieren, ist dabei gar nicht so leicht. In uns allen ist der Gedanke verwurzelt, dass nach dem Tod eines geliebten Menschen zwangsläufig getrauert werden muss. Mit seiner scheinbar gefühlsleeren Attitüde eckt Davis erst einmal an, doch nach und nach offenbart sich das ganze Ausmaß seines Innenlebens. Wenn der stets um sein Aussehen bemühte Anzugträger mit der Zeit all die um sich herum befindlichen, technischen Geräte in ihre Einzelteile zerlegt, um penibel seinem Credo zu folgen, dass nur, wer etwas komplett auseinander nimmt, den Fehler im Inneren findet, dann wirkt das im Hinblick auf die Symbolwirkung bisweilen etwas plump. Gleichzeitig gewinnt Davis ausgerechnet durch dieses fast karikatureske Verhalten ein Profil, mit dem man sich als Zuschauer schnell anfreundet. Davis nimmt eben plötzlich alles wörtlich, was er sich vornimmt – eine Tatsache, in der hervor blitzt, dass ihn der Tod seiner Frau vielleicht doch in gewisser Weise tangiert, ohne es zu merken.

Für Jake Gyllenhaal ist „Demolition“ eine One-Man-Show. Seine Performance erinnert weniger an die hasserfüllte Darbietung in „Southpaw“, stattdessen ähnelt sein zerrissenes Spiel hier jenem aus dem Mystery-Geheimtipp „Enemy“. Ihm stehen zwar Darstellerinnen wie Naomi Watts („Gefühlt Mitte Zwanzig“) zur Seite, die als seine zurückhaltende, Davis jedoch schnell in ihr Herz schließende Zufallsbekanntschaft überzeugt und mit ihrer sympathisch-bodenständigen, gleichzeitig vollkommen natürlichen Performance besticht. Doch der Fokus liegt allein schon deshalb auf Gyllenhaals Davis, weil sich die Handlung einzig und allein auf seine Gefühlsentwicklung bezieht. Das vorsichtige Kennenlernen zwischen Davis und Karen, die mal berührenden, mal amüsanten Gespräche zwischen Davis und Karens Sohn Chris (Judah Lewis) und die Auseinandersetzungen mit den Schwiegereltern dienen einzig und allein dazu, alle erdenklichen, charakterlichen Facetten der Hauptfigur offenzulegen, bis diese sich im Finale schließlich völlig entblößt hat. Das passt im Hinblick auf die Geschichte hervorragend; erst wenn wir Davis‘ Inneres einmal auseinander genommen haben, beginnen wir, es zu verstehen und können immerhin erahnen, wo der Fehler (?) herrührt, dass Davis in Bezug auf seinen Verlust keinerlei Trauer empfindet. Gleichzeitig bedeutet das für den Zuschauer aber auch, dass „Demolition“ hauptsächlich aus Dialog besteht, während auf der Leinwand insgesamt wenig passiert. Das muss man mögen und gerade die melancholische Atmosphäre des Films könnte nicht jedem direkt zuträglich sein. Wer sich jedoch dazu entschließt, der Tragikomödie eine Chance zu geben, obwohl er weiß, dass das im deutschen Titel noch so keck in den Vordergrund gerückte Thema „Liebe“ hier nur in der Theorie Erwähnung findet, dem offenbart sich ein sensibler Blick in eine Männerseele, die auch ohne viel Tamtam eine außerordentliche Faszination entwickelt.

Demolition

Obwohl Jean-Marc Vallée seiner Hauptfigur eine Person des anderen Geschlechts zur Seite stellt, geht es in „Demoliton“ nie um die klassische „Kriegen sie sich?“-Frage. Schon das Kennenlernen der beiden, das sich innerhalb einer Kundenhotline als schwierig, für den Betrachter aber auch äußerst amüsant gestaltet, entspricht nicht dem eines typischen Hollywoodpärchens. Bis zum Schluss lässt das Skript die Frage offen, ob Davis in Karen einen Neuanfang sieht, oder lediglich einen kurzweiligen Zeitvertreib. Entsprechend unsentimental verläuft die Interaktion der beiden, was man über Davis und Chris nicht behaupten kann. Newcomer Judah Lewis („Point Break“) spielt den mitten in den Wirren der Identitätsfindung befindlichen Dreikäsehoch überraschend reif und sorgt im Zusammenspiel mit Gyllenhaal für die stärksten Szenen im Film. Mit einer Mischung aus weitsichtiger Weisheit und kindlicher Naivität spricht er aus, was Erwachsene sich nicht trauen; wenn schließlich im Rahmen einer großen Zerstörungsorgie all die sich im Inneren angestauten Energien ans Tageslicht kommen, entwickelt „Demolition“ schließlich jene emotionale Wucht, durch die der Film auch zu seinem Titel gefunden hat. Regisseur Vallée lässt es brodeln; so lange, bis es seine Figuren nicht mehr aushalten. Dabei entstanden ist die intensive Momentaufnahme eines Witwers, der uns alle am Ende zu dem Schluss kommen lässt, dass sich unsere Gefühle nun mal schlecht bewusst beeinflussen lassen.

Fazit: Ab und an lässt „Demolition“ eine eigene Identität vermissen, doch insgesamt beweist das Duo Gyllenhaal-Vallée ein hervorragendes Gespür im Handling kleiner Gesten. Das Drama mit vielen humoristischen Ausschlägen ist ein unaufgeregter ruhiger Film, in dessen Aussagen viel Wahrheit steckt.

„Demolition“ ist ab dem 16. Juni in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

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