Extrem laut & unglaublich nah

Hinter dem sperrigen Titel steckt die ebenso sperrige Interpretation eines Romans von Jonathan Safran Foer aus dem Jahre 2005. Das intensive Drama befasst sich mit den direkten Einflüssen des 11. Septembers 2001 auf den US-Amerikanischen Bürger. In der Hauptrolle: der verhaltensauffällige, hochbegabte Oskar Schell (Thomas Horn), von dessen ambivalenter Schauspielleistung der komplette Film getragen wird. Kritiker warfen EXTREM LAUT UND UNGLAUBLICH NAH vor, mit diesem Beitrag gezielt auf OSCAR-Jagd zu gehen – leider macht das Werk einen ebensolchen Eindruck. Ob das Drama dennoch punkten kann, lest ihr in meiner heutigen Kritik.

Der Plot

Bei den Terroranschlägen vom 11. September verliert der verhaltensauffällige New Yorker Oskar Schell seinen Vater Thomas. In der Vergangenheit hatten die beiden oft viel Zeit damit verbracht, miteinander Schnitzeljagden zu veranstalten, bei welchen Thomas seinem Sohn regelmäßig Spuren legte, um ihm damit spielerisch die Angst vor Fremden zu nehmen. Nach dem Tod seines Vaters findet Oskar in einer zerbrochenen Vase einen Schlüssel. Er glaubt, dieser sei ein weiteres Rätsel seines Vaters und so macht er sich auf den Weg durch die für ihn so angsteinflößende Stadt. Unterwegs trifft er auf viele verschiedene Menschen und deren Geschichten; Außerdem auf den Untermieter seiner Großmutter, den er nur als „der Untermieter“ kennt und welcher zudem stumm ist. Gemeinsam ziehen die beiden durch die Straßen New Yorks, auf der Suche nach dem, was Oskars Vater ihm zukommen lassen wollte.

„Mein Vater sagte, die Welt so zu sehen wie ich, sei eine Gabe!“

Kritik

Die Romanverfilmung des von Jonathan Safran Foers verfassten Romans, der 2005, also vier Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center erschien, ist in allen Belangen ein schweres Stück Filmkunst. Das Drama mit der hochkarätigen Besetzung (u.A. Tom Hanks und Sandra Bullock) ist durch seine hellen Farben und seinen konsequent vorwärtsweisenden Erzählstrang zwar alles andere als schwerfällig. Dennoch ist man nach dem Schauen des gut eineinhalb Stunden langen Werkes erst einmal platt. Zu viele Eindrücke und ein allzu direkter Anspruch an den Zuschauer, das Gesehene auch wirklich hochdramatisch zu finden – und am besten noch die ein oder andere Träne zu vergießen – machen aus „Extrem laut & unglaublich nah“ einen zu gewollt traurigen Film. Man setzt dabei nicht mehr darauf, durch subtile Andeutungen und eine glaubwürdige (!) Atmosphäre an das Gefühlszentrum des Zuschauers zu appellieren. Stattdessen baut man auf das Prinzip „Vorschlaghammer“ und trichtert dem Betrachter in jedem denkbaren Moment die Dramatik dessen ein, was man auf dem Fernsehschirm zu sehen bekommt.

Denn nicht nur der zwar eingängige, aber dennoch viel zu penetrant melancholische Soundtrack von Alexandre Desplat wird dem Zuschauer durchgehend um die Ohren gehauen, auch das Ensemble hat kontinuierlich nur einen Gesichtsausdruck zu bieten: eingefroren, traurig. Sandra Bullock („Miss Undercover“, „Blind Side – Die große Chance“) kann aus ihrer ohnehin schon auf das Nötigste gekürzten Screentime nicht einen Funken Glaubwürdigkeit, geschweige denn Sympathie herausholen. Ihre gesprochenen Sätze kann man an einer Hand abzählen. Im Hintergrund ihres sich unangenehm in den Vordergrund spielenden Sohnes Oskar (Thomas Horn) wirkt sie wie unerwünschte Staffage. In den wenigen Rückblenden mit Oskars Vater Thomas, gespielt von Tom Hanks („Forrest Gump“, Apollo 13“), schafft es aber immerhin dieser, mit seiner sympathisch gesetzten und bodenständigen Art, dem überaktiven Thomas Horn ein wenig von seiner Ruhe abzugeben. Ansonsten spielt Thomas Horn seine Rolle des etwas seltsamen Oskar gut, muss dennoch in vielen Punkten Abstriche machen. In etwa dann, wenn aus der neugierigen Art, wie Oskar an die Problembewältigung herangeht, etwas Überhebliches wird. Eine derartige Arroganz in manchen Szenen steht Oskar Schell nicht gut zu Gesicht und lässt „Extrem laut & unglaublich nah“ immer wieder zwischen „fesselnd“ und „abschaltungswürdig“ hin- und herschwanken. Eine solche Ambivalenz in Bezug auf eine Hauptfigur ist für einen Film, der sich selbst als „Großes, amerikanisches Gefühlskino“ anpreist, untypisch – und mit Sicherheit nicht gewollt. Dennoch kann man Thomas Horn, der in der Rolle des Oskar seine erste, „richtige“ Filmhauptrolle ergattern konnte, Schauspieltalent auf keinen Fall absprechen.

In vielen Szenen – allen voran den eindringlichen Dialogen – hat Thomas Horn eine beeindruckende Ausdruckstärke. Leider verfolgt er diese zu inkonsequent und wirkt bisweilen in einigen Szenen unglaubwürdig, wodurch der Film wiederum an Intensität verliert. Zu einem besonders unglücklichem Minuspunkt verhilft dem Film die falsche Auswahl der Synchronstimme des Hauptdarstellers. So ist diese für die zerbrechliche Figur des Oskar viel zu stark und selbstbewusst ausgefallen, was die mangelnde Intensität nicht auszugleichen vermag. Teilweise gelangt der Film aber wieder zu selbiger, wenn Max von Sydow („Der Exorzist“, „Sag niemals nie“), als „der Untermieter“ auftritt und Oskar bei seiner Schnitzeljagd begleitet. Der sich selbst als stumm bezeichnende Untermieter wird von Max von Sydow mit einer eindrucksvollen, intensiven Zaghaftigkeit gespielt und gibt Oskar unbewusst Halt und Sicherheit. Besonders die Frage, ob er wirklich stumm ist, oder im Laufe des Films doch noch zu sprechen beginnt, macht den Untermieter zu einer höchst interessanten Figur.

Somit schwankt „Extrem laut & unglaublich nah“ zwischen zu eindringlich und unglaubwürdig lahm. Es gibt Momente im Film, die viel her machen. Dafür zeichnen sich die guten Momente von Thomas Horn und ein brillant aufgelegter Max von Sydow verantwortlich. Kamerafahrten und die Hinweise auf ein in sich zerstörtes, angreifbares, hektisches New York machen Eindruck. Die Ausdruckstärke der Monologe ist mit Sicherheit der Romanvorlage zu verdanken. Doch leider kann das eigentlich hochkarätige Ensemble nicht an die positiven Aspekte des Films anknüpfen und zieht ihn in der Gesamterscheinung herunter. Das, was „Extrem laut & unglaublich nah“ letztlich unter den Durchschnitt drückt, ist jedoch die allzu theatralische Inszenierung und die einhämmernde Melancholie, die dadurch derart unrealistisch wirkt, dass sie – zumindest bei der Verfasserin dieser Zeilen – nicht ankommt. Vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11. September dürfte in den USA eine derartige Kritik nicht erwünscht sein – gleichzeitig muss man sagen, dass „Extrem laut & unglaublich nah“ erschreckend realistisch und sensibel mit dem Thema umgeht, was wiederum ein Pluspunkt ist, den man dem Drama verleihen kann. Ein weiterer geht an das ruhige Tempo das Abgeneigte und harsche Kritiker sicher als zähflüssig beschreiben würden: flotter im Plot dürfte der Streifen aber nicht voran gehen, um nicht noch mehr an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Damit ist klar: in „Extrem laut & unglaublich nah“ ist eines allgegenwärtig: Ambivalenz – in jeder Hinsicht!

BluRay oder DVD?

Außer einem Featurette über Thomas Horn bekommt der Käufer bei der DVD nicht mehr geboten. Die Blu-ray-disc enthält drei weitere, doch bieten sie kaum bahnbrechend neues. Vom Bonusmaterial her kann man also getrost zur DVD greifen, was die Bildqualität angeht, geht die Tendenz in Richtung Blu-ray, denn teilweise neigt die Bildqualität zu unangenehmen Rucklern bei der DVD-Nutzung. Der Ton ist auf beiden Speichermedien gut, daher ein unentschieden.

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