The Block Island Sound

Tote Tiere, rätselhafte Visionen und unheimliche Geräusche – der Netflix-Horrorfilm THE BLOCK ISLAND SOUND fährt vor beklemmender Küstenkulisse ein weitestgehend herkömmliches Genrepotpourri auf, mengt die bekannten Zutaten jedoch auf weitestgehend ansprechende Weise zusammen. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Zunächst sind es nur ein paar tote Fische, kurze Zeit später stecken ganze Vogelschwärme kopfüber an den Ufern von Black Island. Die Inselbewohner sind ratlos angesichts einer unsichtbaren Bedrohung, die nicht nur die Tiere der Insel, sondern auch zunehmend die Menschen bedroht. Das bekommt auch Audry (Michaela McManus) zu spüren, die nach langer Abwesenheit zu ihrer Familie zurückkehrt, weil sich ihr Vater (Neville Archambault) merkwürdig verhält. Immer wieder klagt er über Blackouts und hat fürchterliche Visionen, bis er plötzlich auf rätselhafte Umstände ums Leben kommt. Doch mit der Organisation der Beisetzung sind die Probleme für Audry noch längst nicht vorbei. Jetzt ist es nämlich plötzlich ihr entfremdeter Bruder Harry (Chris Sheffield), der ebenfalls von Halluzinationen heimgesucht wird…
Kritik
Einige Setpieces haben sich im Horrorkino so stark etabliert, dass sie mittlerweile ein eigenes Genre bekleiden. So gibt es beispielsweise zahlreiche Hütte-im-Wald-Filme und Anstaltsschocker, aber auch vor alten Herrenhäusern, High-Schools und Hotelzimmern sollte der geneigte Horrorfan lieber einen Bogen machen; Zu oft schon verbarg sich hinter den vier Wänden derartiger Etablissements das unsagbar Böse. Einen Terminus wie „Inselhorror“ gibt es bisher zwar noch nicht, doch auf die Idee, dass so ein zu allen Seiten durchs Wasser vom Festland abgeschnittenes Eiland die optimale Genrefilmkulisse abgibt, kamen jüngst so einige Genrefilmer: Robert Eggers ließ in „Der Leuchtturm“ Robert Pattinson und Willem Dafoe aus Einsamkeit durchdrehen, Christian Alvart lud in seinem Serienkillerthriller „Abgeschnitten“ und der Pandemieserie „Sløborn“ sogar gleich zweimal an die nordisch-herbe Küste und für „Shutter Island“ vermengte Regievirtuose Martin Scorsese das Inselsetting mit zermürbendem Anstaltsgrusel. Auf Netflix erscheint dieser Tage ein weiterer Beitrag dieses aufkeimenden Subgenres, für den die für das Skript und die Regie verantwortlichen Brüder Kevin und Matthew McManus (produzierten für den Streamingdienst u.a. „American Vandal“ und „Cobra Kai“) die im Süden von Rhode Island gelegene Block Island zum Schauplatz unheimlicher Vorkommnisse machen. Und obwohl sie dafür in längst leergefischte Trickkisten greifen, gerät ihr „The Block Island Sound“ betitelter Mix aus Science-Fiction- und Horrorfilm überraschend intensiv.
Die in „The Block Island Sound“ vorherrschende Grundanspannung resultiert primär aus zwei Dingen. Da sind zum einen die rätselhaften Todesboten – allen voran Hunderte von toten Fischen und Vögeln – die die Küste ohne sichtbare Ursache überschwemmen. Zum anderen ist es aber auch die Insel selbst, die einem als Zuschauer:in von Beginn an ein unbehagliches Gefühl vermittelt. Zwar verzichten Kevin und Matthew McManus darauf, die Insulanerinnen und Insulaner als besonders spleenige Zeitgenossen zu zeichnen. Trotzdem bekommt die nach langer Zeit wieder in ihren Heimatort zurückkehrende Audry durch misstrauische Blicke und skeptische Fragen jederzeit vermittelt, dass sie nicht (mehr) zur Block-Island-Community hinzugehört und am beste wieder von hier verschwinden sollte. Das führt zwar zu einer recht plakativen Ausgangslage, in der „die Fremde“ auf „die Fremden“ trifft und umgekehrt (einschließlich der innerfamiliären Streitigkeiten, weshalb sich Aubry so lange nicht mehr um ihre nächste Verwandtschaft geschert hat), ist aber absolut effektiv. Auch ohne die rätselhaften Vorkommnisse in „The Block Island Sound“ wäre die Insel kein Ort, an dem man sich als nicht dazugehörige Person gern aufhalten würde. Und umso schwieriger ist es für Audry, die merkwürdigen Eigenheiten ihres geistig verwirrten Vaters richtig zu deuten – schließlich führen sich hier auf Block Island alle Bewohner:innen ein wenig „merkwürdig“ auf.
„Die in „The Block Island Sound“ vorherrschende Grundanspannung resultiert primär aus zwei Dingen. Da sind zum einen die rätselhaften Todesboten. Zum anderen ist es aber auch die Insel selbst, die einem als Zuschauer:in von Beginn an ein unbehagliches Gefühl vermittelt.“
Mit fortlaufender Laufzeit verdichten sich im „The Block Island Sound“ die Hinweise auf eine omnipräsente, lebensgefährliche Bedrohung für sämtliche Insulaner:innen. Gleichsam lassen die Verantwortlichen lange Zeit offen, in welchem Genre genau sich ebenjene am ehesten verorten ließe. Sind Chemikalien und vergiftete Gewässer die Ursache für die toten Tiere und Visionen der Menschen? Treibt ein wütender Dämon sein Unwesen auf Block Island? Oder stammt die Bedrohung möglicherweise sogar aus dem Weltall? Das Drehbuch legt geschickt Fährten in verschiedene Richtungen, ohne dabei mit allzu plakativen Motiven zu arbeiten. Wenn im ersten Drittel der von Neville Archambault („Slumlord“) mit stoischer Bedrohlichkeit gespielte Vater Tom verstirbt und „Es“ damit sein erstes Menschenleben fordert, rückt die Suche nach der Todesursache sogar zeitweise in den Hintergrund, wenn die Differenzen zwischen Audry und ihrem Bruder Harry für eine kurze Zeit wichtiger sind, um die Story emotional zu erden. Überhaupt bleibt „The Block Island Sound“ inszenatorisch bis zuletzt fest in der Realität verwurzelt. Umso gewöhnungsbedürftiger (aber auch mutiger!) wirkt so die Auflösung, für die Kevin und Matthew McManus aus den inszenatorischen Vollen schöpfen. Das Bedienen gängiger Erwartungen stand hier hintenan. Stattdessen gelingt es ihnen, im Finale mit Radikalität und Kompromisslosigkeit zu überraschen. Da verzeiht man ihnen gern, dass sich das letzte Drittel arg konstruiert anfühlt.

Harry (Chris Sheffield) und seine Schwester Audry (Michaela McManus) müssen ihren toten Vater identifizieren.
Den Darstellerinnen und Darstellern gelingt es, die Figuren in „The Block Island Sound“ mit dem notwendigen Leben zu füllen. Allen voran Michaela McManus – die Schwester der Filmemacher Kevin und Matthew McManus – bekommt hier die Gelegenheit, die im Skript ausbleibende Charakterisierung mit ihrem starken Spiel zu kompensieren. Ihre Performance wechselt zu Beginn glaubhaft zwischen besorgt und genervt. Erst als sich die bedrohlichen Vorkommnisse häufen, hemmt die Furcht vor der unbekannten Gefahr Audry sichtbar in ihren zunächst noch so aufbrausenden Reaktionen. Ihr von Chris Sheffield („Maze Runner – Die Außerwählten: Im Labyrinth“) gespielter Bruder Harry dagegen wendet sich während des Films sukzessive dem Wahnsinn zu, während er parallel dazu bemüht ist, die besorgte Fassade aufrechtzuerhalten. In „The Block Island Sound“ wird nach und nach jede Figur zu einer uneinschätzbaren Bedrohung. Die einzige Konstante bleibt bis zuletzt Newcomerin Matilda Lawler, die kürzlich in dem Disney+-Original „Flora & Ulysses“ ihre erste Film-Hauptrolle spielen durfte. Als Audrys kleine Tochter Emily gelingt es Lawler schon in jungen Jahren, die am eigenen Leib durchlittene Todesangst glaubhaft nach außen zu transportieren.
„Überhaupt bleibt „The Block Island Sound“ inszenatorisch bis zuletzt fest in der Realität verwurzelt. Umso gewöhnungsbedürftiger (aber auch mutiger!) wirkt so die Auflösung, für die Kevin und Matthew McManus aus den inszenatorischen Vollen schöpfen.“
Doch es benötigt gar nicht erst einen von Emilys zahlreichen markerschütternden Schreien, damit dem Publikum vor dem Fernsehschirm angst und bange wird. „The Block Island Sound“ punktet durchgehend mit einer beklemmenden Inszenierung. Kameramann Alan Gwizdowski („Pavarotti“) verzichtet auf überhöhenden Schnickschnack und konzentriert sich stattdessen auf die schnörkellose Fotografie dieser rau-herben Küstenkulissen, die dank der präzisen Arbeit ein Maximum an Bedrohlichkeit erhält. Komponist Paul Koch („Slumlord“) steuert einen ebenbürtigen Klangteppich bei, in dem insbesondere der titelgebende „Sound“ – ein Geräusch, das die von Visionen geplagten Insulaner:innen immer wieder aus der Ferne zu hören glauben – hervorsticht. Keine:r weiß, was es ist und woher es kommt. Nur, dass es nichts Gutes bringen kann. Damit steht dieser Sound symptomatisch für die Grundstimmung des gesamten Films, denn obwohl man die meiste Zeit über nur wenig von der Bedrohung mitbekommt, weiß man dennoch, dass sie immer da ist.
Fazit: Die Filmemacher-Brüder Brüder Kevin und Matthew McManus reichern ihren Insel-Schocker „The Block Island Sound“ mit gängigen Genremotiven an, lassen ihr Szenario jedoch im Laufe der Zeit immer mehr ungeahnt eskalieren. Das sorgt zwar für ein sich konstruiert anfühlendes Ende, aber auch für die ein oder andere angenehme Überraschung.
„The Block Island Sound“ ist ab sofort bei Netflix abrufbar.
Klingt ja nicht uninteressant. Werde mir den mal in die Watchlist packen.