Intrige

Gerade erst tauchte Regisseur Roman Polánski als Figur (gespielt von seinem polnischen Landsmann Rafał Zawierucha) in Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ auf. Nun kommt sein eigener neuer Film INTRIGE in die deutschen Kinos. Wie der Historienstreifen geworden ist, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Die „Dreyfus-Affäre“ ist, obwohl sie sich vor 125 Jahren zutrug, bis heute Gegenstand hitziger Diskussionen in unserem Nachbarland Frankreich. 1895 wird der junge, jüdische Offizier Alfred Dreyfus (Louis Garrel) wegen Hochverrats vom französischen Militär öffentlich bloßgestellt, degradiert und zu lebenslanger Haft auf eine im Südatlantik lokalisierte Insel-Strafkolonie abtransportiert. Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin), der kurze Zeit später zum Chef der Geheimdienst-Abteilung befördert werden wird, die Dreyfus der angeblichen Spionage überführte, ist Zeuge der erniedrigenden Prozedur. Er ist sich sicher: Der Beschuldigte wurde zu Recht verurteilt. Aber dann stellt er in seiner neuen Position schnell fest, dass weiterhin jede Menge sensibler Geheimnisse und interne Verschlusssachen ihren Weg nach Deutschland finden. War Dreyfus eventuell doch unschuldig, wie er es vor Gericht so vehement behauptete? Obwohl seine Vorgesetzten ihm unmissverständlich befehlen, die Sache ruhen zu lassen, tut Picquart genau das nicht. Dabei deckt er ein riesiges Geflecht aus Korruption, Inkompetenz und Bigotterie auf, dem nicht nur Dreyfus zum Opfer fiel, sondern das nun auch für ihn und sein Leben zur Gefahr zu werden droht…
Kritik
Vorab: Der folgende Text beschäftigt sich allein mit „Intrige“. Wer mehr über den „Chinatown“- und „Der Gott des Gemetzels“-Macher Roman Polánski erfahren, sich ein eigenes Bild über ihn als Menschen, seinen bewegten Lebenslauf und das, was er 1977 der damals 13-jährigen Samantha Gailey angetan hat, machen möchte, dem empfehlen wir, damit zu beginnen, den deutschen (besser noch, weil umfangreicher, den englischsprachigen) Wikipedia-Eintrag zu seiner Person zu lesen. Dieser enthält zahlreiche Links zu weiteren Artikeln, Dokumenten und Meinungen. Danach soll/muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er es vertreten kann, den Film, der sehr gut ist, oder irgendein anderes Werk des Regisseurs anzusehen.
Wie seine beiden vorherigen Arbeiten „Venus im Pelz“ und „Nach einer wahren Geschichte“ drehte Polánski auch die spektakuläre Aufarbeitung der „Dreyfus-Affäre“ in seinem adoptierten Heimatland Frankreich, mit französischen Schauspielern, in französischer Sprache. Im ersten Moment war dies keine künstlerische Entscheidung. Sie beruhte vielmehr darauf, dass der Oscar-Preisträger („Der Pianist“) für das für europäische Verhältnisse eigentlich viel zu opulente und damit kostenintensive Unterfangen keine US-Investoren finden konnte. Letztlich stellt sich der Umstand allerdings als Segen für das Endergebnis heraus. Dass die historischen Charaktere bis auf den hier fantastisch, weil emotional und dennoch jederzeit kontrolliert aufspielenden Oscar-Preisträger Jean Dujardin („The Artist“) keine weltbekannten Hollywood-Gesichter haben, trägt viel zur Authentizität bei. Die ist dank brillanter Ausstattung, Kostümen, Kulissen und vorsichtigem CGI-Einsatz ohnehin schon enorm hoch bei diesem mit 132 Minuten langen, aber keinerlei Längen aufweisenden Werk.
Glaubwürdigkeit spielt beim Erzählen der Handlung, die sich zwischen einem Agenten-Thriller über eine Whistleblower-Story in Richtung eines Gerichtsdramas hin und zurück bewegt, die entscheidende Rolle. So gibt es jede Menge Sprechparts, die aufgrund der historischen Kostüme, genauer gesagt der sich extrem ähnelnden Uniformen, plus der damaligen Bartmode (gezwirbelte Schnäuzer waren fast schon Pflicht für Männer eines gewissen Alters und Standes) bei einigen Zuschauern vielleicht schon mal Verwirrung auslösen oder Verwechslungen verursachen könnten. Trotzdem kam es für Polánski und seinen Co-Autor Robert Harris („Der Ghostwriter“, „Enigma“), auf dessen Roman das Drehbuch basiert, nicht in Frage, die bei Tatsachenverfilmungen sonst üblichen Abkürzungen und Simplifizierungen vorzunehmen. Das Duo hielt sich streng an die historisch verbrieften Vorgänge und verschmolz nicht, wie es in dieser Sparte oft Usus ist, zwei oder mehr Charaktere zu einer einzigen, fiktionalisierten Figur, nur um die Sache stromlinienförmiger zu machen. Diese akribische Vorgehensweise vermittelt dem Zuschauer das Gefühl, als würde er live Zeuge eines der spannendsten und gesellschaftlich wichtigsten Vorgänge in der jüngeren Geschichte der Grande Nation werden.
Mit „Intrige“ zeigt Polánski an einem historischen Beispiel, auf welch wackligen Füßen die von uns heutzutage vielleicht mehr denn je für selbstverständlich genommene Rechtsstaatlichkeit steht. Gerade dann, wenn eigentlich bewährte Gesetze von den gerade an der Macht befindlichen Kräften beliebig ausgelegt oder modifiziert werden können. Etwa so, wie es hierzulande in der NS-Zeit ganz extrem passierte, aber auch aktuell in vielen Ecken der Welt der Fall ist. Der neben seinen handwerklichen Vorzügen also durchaus aktuelle Bezüge beziehungsweise zeitlose Qualitäten präsentierende Historienfilm avancierte in Frankreich zu Recht zum Kritikerliebling und setzte sich im November 2019 klar an die Spitze der dortigen Kinocharts. Im Sommer des gleichen Jahres hatte Polánski bereits den Großen Preis der Jury des renommierten Filmfestivals von Venedig gewonnen. Aktuell ist das Werk zudem für erstaunliche zwölf Césars (das gallische Pendant zum Oscar) nominiert – u. a. für „Bester Film“, „Beste Regie“, „Bestes adaptiertes Drehbuch“ „Bester Hauptdarsteller“ etc. Die Verleihung findet am 28. Februar 2020 statt.
Fazit: Ein weiteres Meisterwerk des kontroversen Regie-Genies Roman Polánski. Brillant geschrieben und eindrucksvoll ins Bild gesetzt wird das Ganze durch exzellente Darstellerleistungen – allen voran von Jean Dujardin – gekrönt.
„Intrige“ ist ab dem 6. Februar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.