Burning

Was lange währt… nach umjubelten Festival-Vorstellungen rund um den Erdball hat es das Mystery-Drama BURNING nun auch endlich nach Deutschland geschafft – und hat hier größtmögliche Aufmerksamkeit verdient. Warum, das verraten wir in unserer Kritik zum Film.
Der Plot
Nach seinem Studium kehrt der junge Jongsu (Ah-in Yoo) in sein Heimatdorf zurück. Ein zufälliges Wiedertreffen mit seiner Schulkameradin Haemi (Jong-seo Jun) führt zu einer gemeinsamen Nacht. Jongsus Gefühle sind geweckt, doch der Zeitpunkt ist ungünstig – Haemi steht kurz vor einem lange (Steven Yeun) geplanten Trip nach Afrika. Sehnsüchtig erwartet Jongsu den Tag ihrer Rückkehr. Am Flughafen trifft er Haemi jedoch nicht alleine an. Auf der Reise hat sie den wohlhabenden und mysteriösen Ben kennengelernt, der von nun an nicht mehr von ihrer Seite weicht. Als Haemi plötzlich spurlos verschwindet, stürzt die verzweifelte Suche nach ihr Jongsu in ein Labyrinth aus Misstrauen und Paranoia.
Kritik
Öffnet man die Online-Filmdatenbank IMDb und schaut sich dort auf der Seite des südkoreanischen Mysterydramas „Burning“ um, entdeckt man unter der Kategorie „Preise und Nominierungen“ satte 136 Einträge. Der Film, der bereits vor über einem Jahr seine Weltpremiere auf dem Filmfestival von Cannes feierte (zur Veranschaulichung: erst kürzlich ging bereits die Veranstaltung des Folgejahres zu Ende), seinen regulären Start im Produktionsland Südkorea am 17. Mai 2018 hatte und in Deutschland bereits auf vier (!) Filmfesten lief, erhielt rund um den Erdball Auszeichnungen; darunter an der Côte d’Azur, in Toronto und bei den Asian Film Awards, den „asiatischen Oscars“ sozusagen. Trotzdem schlug er außerhalb des Cineasten-Dunstkreises keine allzu hohen Wellen. Auch deshalb, weil er bei den prestigeträchtigen westlichen Preisverleihungen wie den Golden Globes oder den Oscars leer ausging, nicht einmal nominiert wurde. Doch so langsam erschließt sich die sechste Regiearbeit von Filmemacher und Drehbuchautor Chang-dong Lee („Milyang“) einem größeren Publikum. Sicher auch dank der hervorragenden Mundpropaganda. Aktuell kommt „Burning“ auf einen Metascore von 90, bei Rotten Tomatoes sind es sogar 94 Prozent der Kritiker und 83 Prozent der Zuschauer, die den Film positiv bewerten. Und obwohl man für die opulenten 148 Minuten ein wenig Geduld und Muße aufbringen sollte, um hinter das „Mysterium ‚Burning’“ zu steigen, wird man bemerkenswert früh entlohnt – mit einem Film, dessen nahezu undurchdringbare Atmosphäre eine unvergleichliche Sogwirkung hervorbringt, der man sich gar nicht erst entziehen will.

Jongsu (Yoo Ah-in), Haemi (Jun Jong-seo) und Ben (Steven Yeun) auf der Terrasse von Jongsus Elternhaus
In der Regel zieht man die Filme eines Surrealisten wie David Lynch immer dann zu Vergleichszwecken zurate, wenn Filmemacher für ihr Werk auf ähnliche inszenatorische Versatzstücke zurückgreifen. Bei „Burning“ ist das nicht so; um es grob zusammenzufassen: Chang-dong Lee bei seiner Geschichte zu folgen, fällt von Anfang bis Ende eigentlich relativ leicht, da er chronologisch erzählt und das Gezeigte recht eindeutig ist. Der Vergleich mit Lynch (oder anderen Surrealisten) ist trotzdem nicht weit hergeholt, denn es sind die Details, die einem immer wieder das Gefühl geben, dass irgendetwas an „Burning“ nicht so ist, wie es scheint. Angefangen dabei, dass die Hauptfigur Jongsu regelmäßig die Katze seiner Angebeteten Haemi füttert aber bis zum Schluss nicht klar ist, ob es das Tier überhaupt gibt, über das Symbol der brennenden Gewächshäuser bis hin zum plötzlichen Verschwinden der weiblichen Hauptfigur mit dem rätselhafte Anrufe einhergehen, lässt Lee gezielt Leerstellen, die der Zuschauer selbst füllen muss. Das driftet anders als bei Lynch zwar nicht in offensiven Wahnsinn ab, aber je länger die Geschichte voranschreitet, umso weniger sprichwörtliche Haltegriffe erhält das Publikum. Und dieses Gefühl der Desorientierung durch das subtile Verschieben genretypischer Gewohnheiten ist es schließlich, das „Burning“ in eine Kategorie mit Filmen wie „Lost Highway“ fallen lässt: „Irgendetwas stimmt hier nicht!“ wird als Eindruck zum Credo der Geschichte – doch was genau das ist, lässt sich kaum gezielt benennen.
Die „Burning“ ihren Namen gebenden, brennenden Gewächshäuser entfalten nicht nur optisch eine ungemeine Wucht. Sie geben auch der erzählerischen Anarchie eine symbolische Form, denn genau zusammenzufassen, worum es hier überhaupt geht, ist schier unmöglich. Das erklärt auch die vollkommen unterschiedlichen Inhaltsangaben bei verschiedenen Festivals: Vergleicht man die Beschreibung des Münchner Filmfests mit jenem des Filmfestivals von Köln könnte man glatt meinen, es hier mit zwei vollkommen unterschiedlichen Produktionen zu tun zu haben. Doch tatsächlich wird man „Burning“ mit einer Beschreibung als komplexe Dreiecks-Liebesgeschichte genauso gerecht, wie als Sinnsuche eines verlorenen jungen Mannes oder als Thriller um einen geheimnisvollen Brandstifter. Man könnte mokieren, dass Chang-dong Lee nur bedingt daran interessiert ist, jeden einzelnen Ansatz zu einem stimmigen Ende zu führen. Stattdessen hält er bis zum Schluss daran fest, eben nicht jede Leerstelle mit einer Antwort zu füllen; wir werden nie erfahren, ob es die Katze gibt, wo Haemi hin ist und was im Inneren des Brandstifters wirklich vorgeht. Aber darum geht es auch nicht. Mit „Burning“ geben die Macher vor allem das Versprechen einer außergewöhnlichen Filmerfahrung ab. Und genau das lösen sie ein.
Dieses Gefühl eines filmischen Schwebezustands unterstreichen auch die Leistungen der Darsteller. Jong-seo Jun, die mit „Burning“ ein atemberaubendes Schauspieldebüt abliefert, ist als Haemi mal scheu wie ein Reh, gibt dann wiederum die Verführerin und tänzelt dabei als nie greifbares Mysterium durch einen Film, dessen Ereignisse Ah-in Yoo („Veteran – Above the Law“) mit ebenso großem Staunen wahrzunehmen scheint wie der Zuschauer. Sein zurückhaltend-unbedarftes, die Unsicherheit seiner Figur spürbar machendes Spiel macht ihn zur optimalen Identifikationsfigur, der mit Steven Yeun („Okja“) ein Gegenspieler an die Seite gestellt wird, dem etwas Erstaunliches gelingt. Er verkörpert den Nebenbuhler Ben nie als Unsympathling. Stattdessen lässt er sämtliche Angriffspunkte von sich abprallen. Weshalb sich Haemi in ihn und sein selbstbewusstes Auftreten verliebt hat, ist jederzeit nachvollziehbar – und auch, weshalb Jongsu in ihm einen Konkurrenten sieht. Doch immer wieder rutscht einem dieser wortgewandte junge Mann durch die Hände wie ein schleimiger Aal. Man möchte diesen Yuppie ohne Angriffspunkte einfach nur hassen. Doch man kann es nicht. Warum, das lässt sich wie so vieles Andere in „Burning“ nicht genau erklären. Und so nimmt diese Dreiecksgeschichte ihren Lauf, bis sie in den letzten zehn Minuten ihren furiosen Höhepunkt findet. Weil sie es schafft, ohne weitere Antworten zufriedenzustellen und weil die Bilder, das Gefühl, einfach alles wodurch „Burning“ zu dem wird, was sich ohne Zweifel als „Meisterwerk“ beschreiben lässt, von solch atemberaubender Schönheit ist, sodass man sich an nichts an diesem Film irgendwie satt sehen kann. Ach gingen diese zweieinhalb Stunden doch nie zuende…
Fazit: Ein Film wie ein Schwebezustand – mit „Burning“ erzählt Regisseur und Autor Chang-dong Lee eine Lovestory, ein Selbstfindungsdrama und einen Mysterythriller innerhalb von zweieinhalb Stunden, die immer besser werden, je weniger sich die Figuren und die Ereignisse greifen lassen. Ein Wunderwerk!
„Burning“ ist ab dem 6. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.