The Walk

Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst. Eine solche durchlebte in den Siebzigerjahren der Hochseilartist Philippe Petit, als er zwischen den beiden neu gebauten Zwillingstürmen des World Trade Centers hin und her balancierte. Seine atemberaubende Geschichte wurde bereits in der hochgelobten Dokumentation „Man on Wire“ festgehalten. Nun erzählt „Zurück in die Zukunft“-Regisseur Robert Zemeckis in THE WALK einmal mehr sein Leben und seinen unbeschreiblichen Drahtseilakt nach und liefert damit das 3D-Erlebnis des Jahres. Doch wie ist der Film drum herum geworden? Das verrate ich in meiner Kritik. The Walk

Der Plot

Mitte der Siebzigerjahre: Der Straßengaukler und Zirkusarist Philippe Petit (Joseph Gordon-Levitt) will das Unmögliche wagen: einen illegalen Drahtseilakt zwischen den Türmen des World Trade Center. Unter der Anleitung seines Mentors Papa Rudy (Ben Kingsley) und gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe internationaler Helfer und der Unterstützung seiner zuckersüßen Freundin Annie (Charlotte Le Bon) überwinden sie jede Menge Widerstände, Vertrauensbrüche, Meinungsverschiedenheiten und Risiken, um ihren verrückten Plan letztlich in die Tat umzusetzen. Als er eines schönen Morgens endlich über den Dächern der Weltmetropole New York steht, waren all die Strapazen genau diesen Moment wert und Philippe beginnt, zu schweben…

Kritik

Man sagt, dass die besten Geschichten immer noch das wahre Leben schreibt. Die Ereignisse, die sich am 7. August 1974 über den Dächern von New York abspielten, sind eine solche Geschichte. Sie ist in ihrer Planung, ihrer Durchführung und der damit einhergehenden, wahnwitzigen Passion wie gemacht, um unter Zuhilfenahme der notwendigen technischen Mittel verfilmt zu werden. Im Dokumentarfilmsektor war man sich dessen bereits bewusst: 2008 erntete James Marshs Film „Man on Wire“ jede Menge Beifall von Publikum, Kritikern und gewann obendrein mehrere Filmpreise solcher Festivals wie Sundance, New York und Boston. Heute, sieben Jahre später, gibt die moderne Technik endlich all das her, womit sich ein Film inszenieren lässt, in dessen Mittelpunkt die 2001 zerstörten Zwillingstürme des World Trade Centers stehen. Dabei wird „The Walk“ nicht etwa zu einer wehmütigen Rückschau, sondern zu einem optimistischen Heist-Movie, das in den entscheidenden Momenten still wird und dem auf der Welt nahezu einzigartigen Gebäude seinen Tribut zollt. Vor allem aber ist Robert Zemeckis‘ Abenteuerkomödie das Portrait eines Mannes, der sein Leben lang den Kampf zwischen Herz und Kopf in sich austragen musste, um mit seinem Balanceakt Mitte der Siebzigerjahre in die Zeitgeschichte einzugehen.

The Walk

„Forrest Gump“-Regisseur Robert Zemeckis hat in den vergangenen Jahren eine Schwäche für Geschichten über männliche Einzelschicksale bewiesen. „The Walk“ reiht sich da hervorragend mit ein, denn obwohl Philippe Petit damals nicht alleine an den Planungen des legendären Walks beteiligt war (und bei der Größe an Aufwand auch gar nicht alleine beteiligt sein konnte), stellt der Film doch ihn ganz allein in den Mittelpunkt. Bevor es an die Planungen geht, nimmt sich das Skript von Zemeckis und Christopher Browne zwar viel Zeit für eine Einführung und thematisiert sowohl Petits wachsende Begeisterung für das Balancieren, als auch seine aufkeimende Liebe zur Straßenmusikerin Annie (zuckersüß gespielt von Charlotte Le Bon), doch der Fokus bleibt stetig auf der Hauptfigur sowie seinem Ego. Dies sorgt auf der einen Seite für den beschwingt-optimistischen Tonfall, nimmt „The Walk“ auf der anderen Seite allerdings auch jedwede Form der Nachhaltigkeit. Wenn Petit eines Nachts aufgrund von Albträumen aufwacht, die ihn mit den Risiken dieses Balanceakts konfrontieren, wirkt dieser Vorfall aufgesetzt; es wird zwar im Ansatz deutlich, dass sich der Protagonist durchaus Gedanken darüber macht, doch zu Gunsten des Komödienschwerpunkts verweigern die Macher das genauere Thematisieren von Petits Gemütszustand.

Ins Gewicht fällt dieser Umstand derweil nur dann, wenn man sich als Zuschauer eine tiefschürfende Charakterstudie erhofft, doch genau das will „The Walk“ wohlweißlich nicht sein. Das humoristische Abenteuer hat gewiss mehr Spaß daran, die Hintergründe der Planungen zu erläutern und gestaltet jene in Heist-Movie-Form. In Erinnerung an „Ocean’s Eleven“ und Co. gewinnt „The Walk“ gerade durch das Spiel mit Legalität und Illegalität einen enormen Drive und spielt dabei stets mit den Erwartungen des Publikums. Das Bemerkenswerte ist allen voran die Tatsache, dass bei Philippe Petits Aktion niemand Anderes in Mitleidenschaft gezogen wird. Gleichwohl betrachten Polizei und Behörden das Vorhaben des jungen Franzosen wie ein Verbrechen. Im letzten Filmdrittel spielt Zemeckis symbolisch ganz hervorragend mit diesem andauernden Katz-und-Maus-Spiel und stellt direkt die Frage, wo bei diesen Ereignissen eigentlich das Problem ist, wenn das Ergebnis aus staunenden Massen und einem glücklichen Artisten besteht.

The Walk

Jenen glücklichen Artisten spielt Joseph Gordon-Levitt („Don Jon“) mit viel Charme und Esprit. Schon sein körperliches Erscheinungsbild des zierlichen, unauffälligen Zeitgenossen passt hervorragend auf den echten Philippe Petit. Dieses optisch eher zurückhaltende Auftreten kombiniert Gorden-Levitt mit viel Selbstbewusstsein und einer ordentlichen Portion Humor. Seinen erklärenden Voice-Over gibt der Darsteller von der Kopfbedeckung der Freiheitsstatue aus ab und hat das World Trade Center von dort aus perfekt im Blick. Durch die überschwängliche Euphorie des Protagonisten driften manche Szenen mit Petit zeitweise sogar ins Alberne ab, halten sich jedoch nicht an Slapstick auf, sondern wirken aufgrund des ansteckenden Optimismus vielmehr mitreißend und lebensbejahend. Daneben haben es Gorden-Levitts Schauspielkollegen erwartungsgemäß schwer, zu bestehen, denn „The Walk“ ist eine One-Man-Show. Charlotte Le Bon („Madame Mallory und der Duft von Curry“) erfüllt ihre Rolle der Unterstützerin gut. Der Zwiespalt zwischen der mit ihrem Freund geteilten Euphorie und der Enttäuschung ob des sukzessiven Aufgebens ihrer eigenen Träume gelingt ihr allerdings nur in Ansätzen. Ben Kingsley („Self/Less“) hingegen spielt einmal mehr sich selbst – und macht das wie immer gut.

Ein Film wie „The Walk“ kann nur dann funktionieren, wenn die technische Aufbereitung dieser Ereignisse auf einem makellos-modernen Stand ist. Ebenjene Modernität wird dem Film bisweilen zum Verhängnis, denn gerade die Bilder über der New Yorker Skyline sind von solch makelloser Brillanz, dass man trotz der perfekt ausgeleuchteten Kulisse nicht über den Gedanken hinweg kommt, den Greenscreen schon von Weitem zu sehen. Erstaunlicherweise erweist sich gerade an dieser Stelle der 3D-Effekt als Hilfe, denn dieser vollbringt das Wunder, den Zuschauer von der perfekten CGI-Kulisse loszulösen und den Fokus auf das zu legen, worauf es ankommt: die Höhe! Kein Film wäre in den letzten Monaten besser für einen dreidimensionalen Dreh geeignet gewesen, als Robert Zemeckis‘ „The Walk“, denn ab dem Moment, wo Philippe Petit das Drahtseil betritt, bewegen sich nicht nur die Nebelfelder zur Seite und legen einen beeindruckenden Blick über die Dächer der US-Stadt frei, sondern lassen beim Zuschauer tatsächlich ein Gefühl für den Abstand von hier zum Boden aufkommen. Es spielt plötzlich keine Rolle mehr, dass das Farbenspiel am Horizont viel zu einwandfrei daherkommt, dass die sich im Wasser brechenden Sonnenstrahlen ein klein wenig zu graziös funkeln und dass auf den Straßen keinerlei Regung wahrzunehmen ist. Es ist keine Geschichte über New York, keine Geschichte über das World Trade Center und trotz 3D ist „The Walk“ noch nicht einmal ein auf Schauwerte getrimmter Blockbuster. Der Film ist bei allem Spaß immer noch das Portrait eines leidenschaftlichen Mannes – und genau deshalb ist der über den Dächern von New York an diesem Morgen auch das einzig Echte innerhalb dieser CGI-Kulisse.

Über den Dächern New Yorks gelingt dem Franzosen Philippe Petit Mitte der Siebzigerjahre ein Kunststück für die Ewigkeit

Über den Dächern New Yorks gelingt dem Franzosen Philippe Petit Mitte der Siebzigerjahre ein Kunststück für die Ewigkeit

Fazit: Robert Zemeckis‘ „The Walk“ ist ein visuell spektakuläres Abenteuer über einen Mann und dessen Leidenschaft, zwischen den Türmen des World Trade Centers zu balancieren. Dabei fehlt es dem Film ebenso an emotionaler Tiefe wie an natürlicher Schönheit, doch er schafft es, das Publikum ebenso zum Schmunzeln wie zum Staunen zu bringen. Ein beeindruckendes Erlebnis – besonders in 3D!

„The Walk“ ist ab dem 22. Oktober bundesweit in den Kinos zu sehen – auch in 3D!

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