Gastkritik: Free Birds – Esst uns an einem anderen Tag!

Freundschaftliche Übernahme! Mal wieder! Sidney Schering hier, Autor von SDB-Film. Anlässlich des zweijährigen Jubiläums dieses Blogs machte ich Kollegin Antje 2013 ein Geschenk in Form einer Gastkritik. Den Film durfte sie sich aussuchen. Im Gegenzug verfasste Antje eine Gastkritik für meinen Blog, und zwar zu einem Film meiner Wahl. Das Ganze machte vergangenes Jahr so viel Spaß, dass wir die Chose dieses Jahr wiederholen. Diesen Dezember drängelte Antje mich dazu, den Animationsfilm FREE BIRDS – ESST UNS AN EINEM ANDEREN TAG zu besprechen. Weshalb auch immer…

Free Birds - Esst uns an einem anderen Tag!

Der Plot

Truthahn Reggie (Stimme: Owen Wilson / Rick Kavanian) ist nicht so wie seine Artgenossen: Er hat durchschaut, dass Truthähne einzig und allein existieren, um kurz vor Thanksgiving geschlachtet und am großen Festtag gegessen zu werden. Aber keiner der gefiederten Viecher auf seiner Farm will diesen Warnungen Glauben schenken. Dank einer tüchtigen Portion Glück bleibt Reggie ein tragisches Ende jedoch erspart: Er wird vom U.S.-Präsidenten begnadigt und darf es sich daher in Camp David gutgehen lassen. Die Phase der Entspannung hält allerdings nur kurz an. Denn der übereifrige, verplante Truthahn Jake (Woody Harrelson / Christian Tramitz) ist Teil einer Befreiungsfront, schnappt sich Reggie und behauptet, ihn zu einer Zeitmaschine zu bringen. Ziel der Mission: Zurück ins 17. Jahrhundert reisen, um dort zu verhindern, dass Truthähne zum traditionellen Festtagsessen werden. Wider Erwarten gibt es die Zeitmaschine (George Takei / Oliver Kalkofe) wirklich, und nach kurzen Turbulenzen landen sie in der Vergangenheit. Dort bekommt es das ungleiche Duo mit einem widerwärtigen Jäger (Colm Meaney / Thomas Fritsch), einem hibbeligen Truthahnstamm und der durchsetzungsfähigen Truthenne Jenny (Amy Poehler / Nora Tschirner) zu tun…

Kritik

Dass sich das Feld animierter Kinofilme enorm vergrößerte, seit der Zeichentrick als Standardmedium durch die Computeranimation ersetzt wurde, ist eine gern getätigte Kritikerfloskel. Und selbst wenn offenbar längst in Vergessenheit geriet, dass sich auch in den frühen und mittleren 90ern in den Kinos gute und schwache Filme stapelten, die mit aller Macht versuchten, ein Stück vom Disney-Kuchen ab zu haben: Die jährliche Masse an breit gestarteten Trickfilmen ist in jüngerer Vergangenheit tatsächlich beeindruckend. Jedoch gilt heutzutage, genauso wie vor zwei Jahrzehnten, dass nicht jeder animierte Kinofilm auch wirklich Kinoniveau hat.

Truthahn Reggie

Und dies muss sich nicht einmal primär auf die inhaltliche Ebene beziehen. Allein schon der technische Aspekt lässt den geneigten Zuschauer mitunter wundern, was ein neue Trickproduktion bitte im Kino zu suchen hatte. So auch bei „Free Birds“ aus den Reel FX Creative Studios. Zuvor allein für DVD-Produktionen zuständig (darunter „Jagdfieber 2 & 3“), feierte das Studio mit dieser Komödie ihr abendfüllendes Kinodebüt. Aber abgesehen vom namhaften Sprecherensemble (egal ob in der englischen oder deutschen Fassung) unterscheidet „Free Birds“ nichts von einem Heimkino-Trickfilm. Besonders gravierend sticht dies bei den Hintergründen ins Auge: Der Wald, in dem sich ein Großteil der Handlung abspielt, steht steif und starr da – kaum ein Blatt bewegt sich und lässt daher alles steril erscheinen. Da sich das für die digitale Beleuchtung zuständige Team nur ein Minimum an Mühe gab, wirkt der Hintergrund teilweise wie eine Fototapete, vor der sich die Figuren bewegen. Dass solch ein Film dann auch noch in 3D erworben werden kann, ist geradezu lächerlich.

Auch die Figurenanimation ist zwar meilenweit über solchen Katastrophen wie Constantin Films „Tarzan 3D“ angesiedelt, dennoch werden partiell Erinnerungen an computeranimierte Fernsehwerbespots wach. Die Sorgfalt und Komplexität, die Filme der ganz großen Trickstudios hinsichtlich der Charakterumsetzung aufweisen, sucht man hier nämlich vergeblich. Schlimmster Fall sind die (erwachsenen) Menschen, wie etwa der US-Präsident. Dieser hat eher etwas von einer Bauchrednerpuppe denn von einer gelungenen Trickfigur. Er kann den Kopf sowie seinen Mund bewegen, und ab und zu auch blinzeln. Mimik und flüssige Gestik ist dagegen schon zu viel verlangt. Glücklicherweise sind Menschen aber nur Nebenfiguren in „Free Birds“, wenngleich die  Reel FX Creative Studios sie öfter durchs Bild poltern lassen als Pixar noch in „Toy Story“, wo man die Probleme erkannte und daher möglichst viele Szenen ohne solche Problemfiguren ablaufen ließ.

Free Birds - Esst uns an einem anderen Tag!

Die süßen Küken hoffen auf Hilfe von den zeitreisenden Freunden!

Die Truthähne letztlich befinden sich animationstechnisch auf einem akzeptablen Niveau. Außer Freude können sie zwar ebenfalls keine Emotion so richtig überzeugend vermitteln, immerhin haben sie aber Persönlichkeit. Und, das ist bei einer reinen Trickkomödie eh das Wichtigste: Die animierten Performances sind so gekonnt überzeichnet, dass sie den Gags zugutekommt. Nunja, zumindest den gelungenen Gags, denn Rohrkrepierer wissen die Animatoren nicht zu retten.

Was uns endlich zu den inhaltlichen Fragen dieser 55-Millionen-Dollar-Produktion führt. Und dahingehend ist „Free Birds“ vergleichbar mit einem angekokelten Puter: Man muss über einige unbrauchbare Elemente hinwegsehen, findet aber noch immer etwas Köstliches. Und nach all dem Negativismus der vorhergegangenen Absätze, sei nun abwechslungshalber der Blick auf die schmackhaften Parts dieser Geflügelgeschichte gelenkt. Und die befinden sich vor allem im ersten Akt, bevor die Gegenwartstruthähne Reggie und Jake in die Zeit zurückreisen.

Free Birds - Esst uns an einem anderen Tag!

In dieser ersten Phase beweist „Free Birds“ mit rasantem Tempo, hoher Gagdichte und keinerlei Scham vor gezielter Albernheit einen fast schon „Looney Tunes“-artigen Irrwitz. Egal, ob Reggies Artgenossen ihn aufgrund seiner Erkenntnisse verteufeln oder die Tochter des Präsidenten wie ein Wirbelwind durch die Gegend rennt, um Reggie alles und jeden unerschrocken ehrlich vorzustellen (über die Assistentin ihres Vaters: „Und die Frau hilft meinem Papa in der Besenkammer … keine Ahnung, was die da machen“): Es gibt allerhand lustige Einfälle zu bestaunen. Auch die kitschige Telenovela, die Reggie in Camp David schaut, und seine ständigen Wortgefechte mit Jake (von dem er sich ja gar nicht retten lassen will) sitzen. Die Verfolgungsjagd im geheimen Labor rund um die Zeitmaschine selbst ist dann etwas zu lang geraten, hat mit den dusseligen Wachen jedoch ebenfalls einige tolle Gags zu bieten. Und dann … Ja, dann sackt der Unterhaltungsfaktor enorm ein.

Die Idee etwa, das Verhältnis zwischen den Pilgern und den Truthähnen des 17. Jahrhunderts als Parallele zwischen realen Pilgern und realen Ureinwohnern Amerikas anzulegen, ist an sich ganz nett. Disney, Pixar und vielleicht auch DreamWorks Animation hätte daraus womöglich eine clevere Dynamik schaffen können. Die Autoren David Stern und John Strauss schießen sich dagegen selbst ins Knie. Schließlich beschreiben sie (mit Ausnahme von Reggie) sämtliche Truthähne der Gegenwart als strohdoof und legen seine Artgenossen der Vergangenheit zum Großteil als kaum geistreicher an. Ganz zu schweigen davon, dass der Truthahnstamm vergangener Zeiten mittels ausgelutschter Indianerklischees zum Leben erweckt wird. Rasch entwickelt sich aus dem potentiell smarten Subtext ein sehr übler Nachgeschmack, der davon zeugt, dass die Filmemacher ihr Konzept nicht ganz zu Ende gedacht haben.

Auch sonst sind die zwei letzten Drittel recht mager, denn aus der im ersten Akt vorgeführten, hohen Frequenz an Wortspielen, grotesken Situationen und pointiert unsinnigen Dialogen wird nunmehr ein Wust an hektischem Herumrennen. Aufgelockert durch besagte Indianer-Klischees. Zumindest die dauernden Verfolgungsjagden wären ja hinnehmbar, würden sie mit peppigen Einfällen aufwarten. Oder mit spritzigen Animationen. Dafür aber sind die Figuren in „Free Birds“ aber zu ungelenk geraten, so dass das stete Umhergeirre nur visuellen wie akustischen Lärm darstellt.

Free Birds - Esst uns an einem anderen Tag!

Reggie und Jenny sehen ihrem Happy End entgegen!

Vereinzelte Schmunzler und Lacher gibt es in „Free Birds“ nach Beginn der Zeitreise trotzdem: Die Truthenne Jenny drückt Reggie und Jake einige nette Oneliner rein, das hohle Muskelpaket Jake amüsiert weiterhin mit seiner Dusseligkeit (wenn es dann mal wieder zur Geltung kommt) und der sympathische Reggie gerät obendrein in manch nettes Zeitreiseparadoxon. Heimliches Ei-light ist aber die sprechende Zeitmaschine S.T.E.V.E., die mit spröden Sprüchen dem Film mühelos einige Bonuspunkte erarbeitet. Vor allem in der deutschen Fassung. Denn nichts gegen George Takei, aber Oliver Kalkofe hat hörbar mehr Spaß an der Rolle und gibt den Gags somit einen extra Schuss Esprit mit. Selbiges gilt für den begnadeten Christian Tramitz, der die Schusseligkeit und den inneren Macho Jakes gewitzt zur Geltung bringt. 91 Minuten Laufzeit sind zwar immer noch etwas lang, bedenkt man, wie arg die Durststrecken von „Free Birds“ sind, dennoch gelingt es der deutschen Synchronfassung, diesen Trickfilm wenigstens auf ein noch duldbares Maß zu heben.

Fazit: Ein amüsanter Start und gut aufgelegte Synchronsprecher retten den visuell unausgegorenen, im Mittelteil sehr drögen „Free Birds“ davor, reine Grabbeltischware zu werden.

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