Lux Æterna

Wenn Gaspar Noé einen neuen Film veröffentlicht, sind Diskussionen vorprogrammiert. Ob und wie auch der nicht einmal eine Stunde lange Short Movie LUX ÆTERNA ins Werk des umstrittenen Filmemachers passt, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Charlotte Gainsbourg (spielt sich selbst) erklärt sich bereit, im Regiedebüt ihrer Schauspielkollegin Béatrice Dalle (spielt sich ebenfalls selbst) eine Hexe zu mimen. Die Zwei führen in aller Ruhe Gespräche über historischen Sexismus, ihre Karriere, sexuelle Erfahrungen und ihre Sicht auf die Welt des Kinos, bis sie der Stress des Drehtages einholt – und völlig vereinnahmt: Die Crew ist alles, nur nicht vorbereitet oder guter Laune. Hinter den Kulissen wuseln Nervensägen umher, die dort nichts zu suchen haben. Und dann kommt es zu einer die Synapsen attackierenden Panne …
Kritik
Am Anfang ist das Zitat. Ein Zitat darüber, welch enormes Glück einem Epilepsieanfall vorausgehen würde. Das ist die unverkennbare Art des Kinoprovokateurs Gaspar Noé („Irréversible“, „Climax“), seinem Film eine Warnung voranzustellen. Die ist dringend nötig. Denn was auf das Zitat folgt, sind zwar erst einige Minuten aus der dänischen Fake-Dokumentation „Die Hexe“ von 1922, in der Benjamin Christensen in einem informativen Duktus mit immenser künstlerischer Freiheit über die Hexenverfolgung referiert. Worauf eine längere Passage im rötlichen Halbdunkel hinter den Kulissen eines französischen Filmsets im Jahre 2019 folgt, während dort zwei namhafte Frauen des Non-Mainstreams (Charlotte Gainsbourg und Béatrice Dalle) ein freundschaftliches Gespräch führen; Woraus sie gerissen werden, um sich dem eskalierenden Produktionsstress zu stellen. Aber dann ist das Nichts. Und das Licht. Und das Nichts. Und das Licht. Und das Nichts. Und das Licht. In frenetischer Abfolge. Minutenlang. Begleitet von einem ständigen, ätzenden Pfeifton. Und dem anstrengenden Gebrabbel, Gekeife und Gestöhne am Set. Epilepsietrigger – The Movie!

Wie schon in diversen anderen Filme Gaspar Noés spielen auch in „Lux Æterna“ Farben eine wichtige Rolle.
Dass bei der Premiere auf dem Cannes-Filmfestival 2019 in unmittelbarer Nähe zum Kino ein Krankenwagen geparkt wurde, war also kein dick aufgetragener PR-Stunt. Sondern verantwortungsvolle Vorsorge (mit sicherlich einkalkulierter PR-Wirkung), denn von allen Filmen mit frenetisch flackernden Lichtsequenzen der vergangenen Jahre, ist dies die am frenetischsten flackernde Lichtsequenz, die frenetisch flackerte. Festivalleiter Thierry Frémaux kündigte „Lux Æterna“ mit dem Satz an „Das ist weder ein Kurz- noch ein Langfilm, sondern ein Gaspar-Noé-Film.“ Auch wenn die etwa 50-minütige Stolperei hin zu einer reinen Synapsenattacke wirklich zwischen die landläufigen, gefühlten Definitionen von Kurz- und Langfilm fällt und dies zweifelsohne nach der nüchternen Definition ein Gaspar-Noé-Film ist (schließlich ist es ein Film von Gaspar Noé), so würden wir erwidern, dass er auf gefühlter Ebene nur „so ein bisschen ein Gaspar-Noé-Film“ ist. Und dass im Film die gefühlte Wahrnehmung die nüchternen Abläufe aussticht, würde Noé wohl kaum bestreiten.
„Auch wenn die etwa 50-minütige Stolperei hin zu einer reinen Synapsenattacke wirklich zwischen die landläufigen, gefühlten Definitionen von Kurz- und Langfilm fällt und dies zweifelsohne nach der nüchternen Definition ein Gaspar-Noé-Film ist, so würden wir erwidern, dass er auf gefühlter Ebene nur „so ein bisschen ein Gaspar-Noé-Film“ ist.“
Die Handschrift ist da: Der infernale Rotstich, in den Noé so gern seine Filme taucht. Die stilisierten Dialoge, in denen die Figuren mit der Eloquenz von Schöpfungen aus späteren Lars-von-Trier-Filmen nicht etwa Referate halten, sondern so lose um verwandte Gedankenstränge kreisen, bis unklar wird, wie viel vorab gedruckt war und wie viel konfus improvisiert, mit dem Erwecken des Anscheins größter Selbstsicherheit, dass das so gehört. Auch die wiederkehrenden Texttafeln mit einordnenden Kommentaren, die Noé schon mehrmals nutzte, ziehen sich durch „Lux Æterna“, dieses Mal mit ausgewählten Zitaten von Regisseuren über ihr Metier. Noé wählt diese Zitate so getreu seiner bisherigen filmschaffenden Persona aus, und setzt sie so intuitiv ein, dass zumindest der Autor hinter diesen Zeilen eine Minute, bevor in „Lux Æterna“ eine Texttafel zum Thema „einem Film die eigene Handschrift aufdrücken“ auftaucht, dachte: „Ah, der Film nimmt Form an, langsam wird Noés Handschrift deutlicher.“
Aber: Zugleich wirkt „Lux Æterna“ so, als hätten wir mit ihm nur einen halben Noé-Film bekommen. Ja, es ist provokant, seinen Film bewusst in einen minutenlangen Epilepsietrigger münden zu lassen. Und Provokation ist Teil von Noés schöpferischer Identität. Aber dies ist eine platte Provokation. Und das ist unter Noés Niveau. Beispielsweise zwang er uns in „Irréversible“, einer in einem Take gedrehten Vergewaltigung beizuwohnen – und es soll nicht vergessen werden, dass der Film in einem filmischen Klima entstand, in dem dieses Verbrechen noch oft als flotter Plotmotor genutzt wurde. Das Elend und Leid stand damals viel zu selten im Mittelpunkt, wogegen Noé auf konsequente (wenngleich streitbare) Art rebellierte. Solcher Hintersinn fehlt Noés Mittellangfilm: Das Ende von „Lux Æterna“ ist eine Grenzerfahrung, jedoch keine narrativ unvermeidliche wie etwa die Ereignisse in „Climax“, keine dramaturgisch untermauerte wie die schreckliche Gewalt in „Irréversible“. Die Flackerlichter entwachsen nicht dem zuvor Gezeigten oder Gemeinten, sondern sind filmintern einfach eine aus dem Nichts kommende technische Panne am Set – und sind so die denkbar schalste Eskalation, die sich Noé ausdenken konnte. Wenn die grundlegende These des Films ist „Filme zu drehen ist ein immenses, unüberschauberes Chaos, ein Tanz zwischen Euphorie und Erschöpfung – wie ein Anfall!“, so ist dies ein ernüchterndes, schmächtiges Fazit für Noés Thesenpapier. Und nicht die konsequente, gewagte Schlussfolgerung der Hinleitung.
„Das Ende von „Lux Æterna“ ist eine Grenzerfahrung, jedoch keine narrativ unvermeidliche wie etwa die Ereignisse in „Climax“, keine dramaturgisch untermauerte wie die schreckliche Gewalt in „Irréversible“.“
Dabei ist der Einstieg noch vielversprechend. Analog zum es mit der Wahrheit nicht genau nehmenden „Die Hexe“ verwischt Noé die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Cast und Crew spielen verzerrte Versionen ihrer selbst, was zwangsweise dazu führt, dass man sich wundert, ob das Gespräch zwischen Charlotte Gainsbourg („Every Thing Will Be Fine“) und Béatrice Dalle („The Happy Prince“) ihre wahren Überzeugungen ausdrückt und reale Anekdoten aus ihrer Karriere beinhaltet. So betont die diverse harte und unvergessliche Genrefilme in ihrer Vita aufweisende Dalle, dass sie selbst nicht viel für Unterhaltungskino übrig hat, es jedoch missachtet, wenn Leute es jenen madig machen, die aus ihm etwas ziehen. Und Gainsbourg erzählt von Dreharbeiten einer Sexszene, bei der ihr Szenenpartner ihr versehentlich auf’s Bein ejakuliert hat. Alles ebenso als Wirklichkeit denkbar, wie als Noé-Kopfgeburt. Sobald sich Dalle und Gainsbourg aus ihrer unnatürlichen Gesprächs- und Ruheposition aufraffen, begegnen sie einem überhöhten, aus dem Leben gegriffenen Archetyp und Klischee nach dem anderen: Schauspielerinnen, die am Set damit konfrontiert werden, dass ihre No-Nudity-Klausel missachtet wird. Wichtigtuerische Jungspunde, die erfahrene Stars in vergötterndem Tonfall zwischen Tür und Angel für ihr eigenes Projekt gewinnen wollen, und nach einer Absage über sie herziehen. Ein älterer Kameramann, der sich seufzend darüber auslässt, dass er mit viel größeren Regisseuren zusammengearbeitet hat, und den Plot dieses Films nicht versteht. Und, und, und…
Noé gewinnt diesem (hier zudem zweisprachigen) Gewusel nichts ab, was im Kino-über-das-Filmemachen nicht bereits gesagt wurde, doch er fängt es in seiner untrügerischen Ästhetik ein, die hypnotisch und abstoßend zugleich ist. Teils im Splitscreen präsentiert, irrt die Kamera (Benoît Debie) wie von Geisterhand durch die Räume, wirbelt umher, zeigt sich ankeifende und anlügende Menschen in unvorteilhaften Winkeln, macht den Filmemachprozess auf eine Weise unsexy, bei der man nicht wegschauen kann. Es ist eine Halbwahrheit und ein Halbelend, die in einen Film gehört, der mit dem provokanten, von Noé gewählten Zitat beginnt. Bloß bringt er all diese Elemente nicht mit dem Schneid zusammen, der folgen müsste. Als wäre „Lux Æterna“ entweder zu lang für seine Ausführung oder zu kurz für seine Ambitionen. Was für eine eine halbseidene, halbenttäuschende Halbidentität für einen halblangen Film, dessen Ende so voll auf die Synapsen klopft.
Fazit: Noé-Komplettist:innen werden in „Lux Æterna“ genug Eigenheiten des unvergleichlichen Regisseurs erkennen, um den Film zu wertschätzen. Trotzdem fällt dieser Epilepsietrigger plump zwischen zwei Stühle.
„Lux Æterna“ ist ab dem 14. Mai auf DVD, Blu-ray und ab dem 29. April als VOD erhältlich.