Der schwarze Diamant

Dem Adam-Sandler-Vehikel DER SCHWARZE DIAMANT der Regie-Brüder Josh und Benny Safdie bleibt nicht nur die diesjährige Oscar-Jagd verwährt, sondern auch ein deutscher Kinostart. Stattdessen ist die atemlose Diamantenhatz nun auf dem Streamingdienst Netflix abrufbar – und gehört dort nicht hin. Warum, das verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
New York im Jahr 2012: Howard Ratner (Adam Sandler) ist ein charismatischer Juwelier, der stets auf der Jagd nach dem nächsten großen Geschäft ist. Als er eine Reihe von riskanten Wetten eingeht, die ihm den Gewinn seines Lebens versprechen, wird dies zu einem Drahtseilakt, bei dem er rücksichtslos sein Geschäft und seine Familie auf Spiel setzen und zahlreiche Probleme auf allen Seiten bewältigen muss, um seinem Ziel des ultimativen Gewinns näherzukommen. Um seine Spielschulden zu begleichen, bringt er einen wertvollen schwarzen Opal in seinen Besitz, um ihn anschließend gewinnbringend zu verkaufen. Doch als sich ein berühmter Basketballspieler den Edelsten ausleiht und ihn anschließend nicht wieder zurückbringt, nehmen die Dinge ihren unheilvollen Lauf, in dessen Folge Howards Spagat zwischen Familie und Geliebter nur das geringste Übel zu sein scheint.
Kritik
Erst vor vier Tagen wurde bekannt, dass Adam Sandler seinen Exklusiv-Vertrag mit dem Streamingmarktführer Netflix um vier Filme verlängert hat. Kein Wunder: Die Eigenproduktionen des New Yorker Komikers gehören auf der Plattform zu den beliebtesten Filmen überhaupt. Seine Crime-Comedy „Murder Mystery“ ist laut Netflix sogar der weltweit meistgestreamte Film des Jahres 2019. Ganz nebenbei hat die seit 2014 bestehende Kollaboration zwischen Sandler und dem On-Demand-Giganten natürlich auch so manche Graupe hervorgebracht. Wir erinnern da nur an solche Sachen wie „Die lächerlichen Sechs“, „The Do-Over“ und „Sandy Wexler“. Was für ein Glück, dass die Sandler-Produktionen nie wirklich teuer sind und Netflix ohnehin nur indirekt auf den Abruf der einzelnen Filme angewiesen ist. Am von Ticketverkäufen abhängigen Kinomarkt sähe das natürlich ein wenig anders aus. Ob die Vertragsverlängerung auch etwas mit dem Hype um Sandlers neuestes Schauspielengagement zu tun hat, darf stark bezweifelt werden, denn an „Der schwarze Diamant“ – im Original: „Uncut Gems“ – hat Sandlers Produktionsfirma Happy Madison ausnahmsweise mal nicht herumgewerkelt. Trotzdem könnte Netflix über kurz oder lang auch hiervon profitieren. Wenn nicht von den Lobeshymnen für die Regiearbeit der Safdie-Brothers („Good Time“) dann zumindest davon, dass Sandler ja ankündigte, im Falle eines Nicht-Gewinns des Oscars (er wurde nicht einmal nominiert) mit Absicht einen besonders schlechten Film drehen zu wollen. Und der wiederum ließe sich ganz hervorragend bei Netflix unterbringen…

In Howard Ratners (Adam Sandler) Luxus-Juweliergeschäft wird jeder Stein auf Herz und Nieren geprüft.
Dass Sandler trotz seiner diversen Nominierungen bei renommierten Filmpreisen (unter anderem bei den Gotham Movie Awards sowie bei den Filmfestivals von Boston, Chicago und Toronto) noch nicht einmal für einen der begehrten Goldjungen vorgeschlagen wurde, erinnert ein wenig an den Verzicht auf Jake Gyllenhaals „Nightcrawler“-Performance bei der Acadamy-Awardvergabe im Jahr 2015. Schon damals bot diese Entscheidung Anlass zur Spekulation, der Award-Jury seien zeitgenössische Darbietungen streitbarer Persönlichkeiten einfach nicht ganz geheuer; weshalb ja etwa auch Leonardo DiCaprio erst ein Jahr nach „The Wolf of Wall Street“ seine begehrte Trophäe erhalten haben könnte. Nun mimt Sandler in „Der schwarze Diamant“ nur bedingt einen bösen Schurken und mit Joaquin Phoenix‘ Joker befindet sich in diesem Jahr ja sogar ein waschechter Bösewicht unter den Oscar-Nominierten in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“; was die Vermutung nahelegt, Sandler hatte gegen eine solch große Konkurrenz schlicht und ergreifend keine Chance. Doch es wäre schon absolut gerechtfertigt gewesen, Sandler nach seinen unzähligen Comedyrollen dafür auszuzeichnen, dass er sich nach den tragikomischen „The Meyerowitz Stories“ sowie „Punch Drunk Love“ hier nun noch einmal komplett aus seiner bisherigen Komfortzone begibt. In „Der schwarze Diamant“ spielt er einen adrenalinsüchtigen Gambler, der für den perfekten Deal noch sein letztes Hemd geben würde; der die pulsierende Atmosphäre des New Yorker Diamond Districts aufsaugt, als wäre sie sein Lebenselixier. Er feilscht, droht, spekuliert und (ver)zockt (sich), während er im nächsten Moment schon alles wieder am Geraderücken ist. Und ganz nebenbei unterhält der im Kern eigentlich charismatische Mann auch noch eine Geliebte sowie eine Ehefrau mitsamt Kindern, denen er nur zu gern gerecht werden würde, wäre da nicht diese verdammte Spielsucht.
Letztlich ist der Vergleich zwischen „Der schwarze Diamant“ und „Nightcrawler“ aber doch nicht allzu weit hergeholt. Wo Gyllenhaals Sensationsfotograf Lou Bloom wahnwitzig mit seiner Kamera hinter Katastrophen herjagt, um schneller als seine Kollegen Fotos von Sterbenden an die Presse zu verhökern, rast Sandlers Howard durch die Juwelier- und Wettszene New Yorks und versucht, seine Steine schneller (und teurer) an den Mann zu bringen als die Konkurrenz. Wie für Lou verschwimmen auch für Howard alsbald die Grenzen zwischen seriösem Job und sich in den Grauzonen des Gesetzes befindlichen Gepflogenheiten unter Gangstern und Menschen, die sich für solche halten. In diesem Milieu ist es umso schwerer, die einen von den anderen zu unterscheiden. Lou wurde selbst zu einem, Howard landet in ihren Händen, als er geliehenes Geld eines Tages nicht zurückzahlen kann. Dass den Safdie-Brothers mit „Der schwarze Diamant“ nicht nur eine herausragende Milieustudie gelingt, sondern auch das Charakterporträt eines Getriebenen, liegt an der spektakulären Schauspielleistung Sandlers, der das Beste für sich und seine Liebsten stets mit einem derart irren Blick (und falschen Zähnen!) durchzusetzen versucht, dass man seinen wiederum kaum von ihm abwenden kann. Wie auf Droge rast er durch die Szenerie, lässt sich selbst kaum Pausen (er könnte ja das nächste große Geschäft verpassen) und wird dabei unterstützt von einer Regieführung, die die Gedankenwelt des ständig auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzenden Howard zusätzlich unterstreicht.
Schon in ihrem letzten Film „Good Time“ ließ sich Robert Pattinson von den Safdie-Brüdern durch New Yorkes Unterwelt treiben. In „Der schwarze Diamant“ setzen die beiden Filmemacher noch eine Schippe drauf und peitschen den atemlosen Sandler regelrecht vor sich her. Darius Khondji („Okja“) klebt mit seiner Kamera wahlweise am Hinterkopf des Protagonisten oder lugt verschlagen hinter Gegenständen hervor, als beobachte man die Szenerie als Unbeteiligter aus der Ferne. Das gibt dem Ganzen etwas Voyeuristisches und erhöht die Authentizität des Gezeigten. Hier wirkt nichts gestellt; selbst die Erzähldramaturgie hält sich nicht an irgendwelche ungeschriebenen Filmgesetze. Dasselbe gilt für die zum Großteil improvisierten Dialoge, in denen eine Person nie eine andere aussprechen lässt. Oftmals reden sogar ganze Menschengruppen durcheinander, was nicht selten dazu führt, dass man nicht sofort dahinter steigt, welche Informationen für den weiteren Handlungsverlauf eigentlich relevant sind. Es gibt keine Erklärdialoge, Niemanden, der den Zuschauer an die Hand nimmt und die Übersicht lässt sich so auch rasch verlieren. Doch es ist dieser ganz besondere Safdie-Vibe, den „Der schwarze Diamant“ mit sich bringt, der seine Formvollendung über die Tonspur findet, auf der dröhnende Electro-Beats (Daniel Lopatin) mit der – im wahrsten Sinne des Wortes – berauschenden Geräuschkulisse zu einem virtuosen Klangteppich der Dekadenz verschmelzen. Wie sich Geld anfühlt oder riecht, wissen wir. Dank „Der schwarze Diamant“ wissen wir jetzt auch endlich, wie sich Geld anhört. Ach, könnte man das doch im Kino erleben…
Fazit: Milieustudie, Porträt eines Getriebenen und der Klang des Geldes – „Der schwarze Diamant“ ist ein gleichermaßen virtuoser wie atemloser Trip durch das New Yorker Diamond District, das audiovisuell begeistert und uns einen Adam Sandler präsentiert, der nie besser war als hier.
„Der schwarze Diamant“ ist ab sofort bei Netflix streambar.