Good Time

Robert Pattinson hat sich längst von seinem „Twilight“-Image verabschiedet. Wer sich davon jedoch immer noch überzeugen muss, für hat haben die Safdie-Brüder mit ihrem Cannes-Beitrag GOOD TIME nun den idealen Beweis parat, denn hier zeigt sich Pattinson in einer uneitlen Ganovenrolle von seiner bislang besten Seite. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Zunächst scheint alles gut zu gehen: Maskiert und mit einem ausgeklügelten Plan überfallen Constantine (Robert Pattinson) und sein jüngerer, geistig zurückgebliebener Bruder Nick (Benny Safdie) eine Bank. Doch bei einer routinemäßigen Polizeikontrolle dreht Nick durch, wird geschnappt und ins Gefängnis gebracht. Der schüchterne Mann hat keine Chance, sich gegen seine Mithäftlinge zur Wehr zur setzen und wird prompt krankenhausreif geschlagen. Unterdessen versucht Constantine, die Kaution von 10.000 Dollar aufzutreiben, um Nick auszulösen. Als er erfährt, dass sein Bruder in einer Klinik ist, schmiedet er einen waghalsigen Plan: Er will Nick befreien und verschwinden. In einer Nacht voller Adrenalin beginnt für Constantine eine Odyssee durch New Yorks Unterwelt und ein spannungsgeladenes Spiel auf Zeit.

Kritik

Vor wenigen Wochen geriet das Thriller-Projekt „Good Time“ auch abseits der Anfang des Jahres aufgefahrenen Lobeshymnen anlässlich der Präsentation bei den Filmfestspielen von Cannes in die Schlagzeilen: Bei der Late-Night-Show des US-Talkers Jimmy Kimmel erklärte Hauptdarsteller Robert Pattinson („Die versunkene Stadt Z“) süffisant, er hätte bei den Dreharbeiten zu seinem neuen Film einen Hund mit der Hand befriedigen müssen, hätte sich bei einer solch obskuren Regieanweisung allerdings geweigert, seinem Job nachzukommen. Aus dieser Information ließen sich natürlich leicht Schlagzeilen zu angeblicher Tierquälerei am Filmset konzipieren, sodass der ehemalige „Twilight“-Schönling schon nach wenigen Tagen erklärte, ihm sei hier ein simpler Gag aus dem Ruder gelaufen. In Wirklichkeit habe es weder eine derartige Szene ins Drehbuch geschafft, noch hätte es eine solche Regieanweisung gegeben. Zwar spielen im fertigen Film Hunde eine nicht unwichtige (symbolische) Rolle und auch den stets sehr rough drehenden und um eine größtmöglich authentische Darstellung sozialer Milieus bemühten Regisseuren Benny und Josh Safdie („Heaven Knows What“) wäre ein solcher Coup irgendwie zuzutrauen. Doch tatsächlich hat ihr „Good Time“ eine solch reißerische PR gar nicht nötig.  Ihr pulsierendes Thrillerdrama rund um einen missglückten Banküberfall steckt voller Adrenalin und Dynamik und präsentiert darüber hinaus einen Hauptdarsteller in nie da gewesener Höchstform.

Constantine (Robert Pattinson) muss sich etwas einfallen lassen, um seinen Bruder auch ohne Kaution freizubekommen.

Benny Safdie führt gemeinsam mit seinem Bruder Josh nicht bloß Regie, er steht an der Seite von Robert Pattinson auch als zweite Hauptfigur vor der Kamera. Trotzdem ist er einen Großteil des Filmes gar nicht zu sehen; stattdessen hängen seine Existenz und das damit einhergehende Verantwortungsgefühl von Seiten seines Bruders wie ein Damoklesschwert über der Handlung. Der Film beginnt mit einem für Außenstehende kaum nachzuvollziehenden Therapiegespräch in einer Einrichtung für geistig Zurückgebliebene. Nick muss assoziative Fragen beantworten, wird dadurch allerdings an die Misshandlungen seiner Großmutter erinnert und fängt aus dieser Hilflosigkeit heraus an zu weinen. Als wenig später sein älterer Bruder Constantine auf der Matte steht, um ihn aus der Klinik herauszuholen, scheint es fast wie eine Rettung für die geschundene Seele; nur dass man bereits kurz darauf erfährt, dass diese Tat vor allem daher rührt, dass Constantine einen Komplizen für einen Banküberfall braucht – und sein ahnungsloser, sich leicht abzurichtender Bruder ist da nun mal ideal. Dieses Wechselspiel aus gegenseitiger Abhängigkeit und echter emotionaler Bindung wird zur Antriebsfeder sämtlicher Ereignisse in „Good Time“, denn der Überfall geht schief und während der hilflose Nick von der Polizei geschnappt wird, kann Constantine die Cleverness aufbringen, um zu fliehen. Die anschließenden Pläne, seinen Bruder erst aus dem Knast und später aus dem Krankenhaus zu befreien, resultieren erneut aus zwei unterschiedlichen Erkenntnissen: Zum Einen ist da die familiäre Bindung und somit eine gewisse Selbstverständlichkeit darin, füreinander einzustehen. Zum Anderen besteht immer auch noch die Gefahr, Nick könnte seinen Bruder (vermutlich noch nicht einmal aus bösem Willen) an die Cops verraten – und die Machtverhältnisse sind auf einmal umgekehrt.

Robert Pattinson, der sich nach seinen mehrjährigen „Twilight“-Engagement weitaus schwerer damit getan hat, sein Glitzervampir-Image abzulegen, als etwa ein Daniel Radcliffe, ist dabei die Seele des Films und liefert in „Good Time“ nicht weniger als die bislang beste Leistung seiner Karriere ab. Mit angedeutetem Vollbart und einer beeindruckenden Energie verkörpert er den runtergerockten Kleinganoven mit gutem Herzen als zwischen zwei Extremen changierenden Antihelden, dessen Motivation bei aller Illegalität stets nachvollziehbar bleibt. Im Zusammenspiel mit seinem Filmbruder lässt er immer wieder auch seine zerbrechliche Seite hervorblitzen, genauso wie auf seinem Streifzug durch das nächtliche New York deutlich wird, dass er eigentlich gar nicht in diese (Unter-)Welt gehört, sich aber trotzdem wie selbstverständlich darin zurechtfindet. Über seinen Constantine ließen sich vermutlich seitenlange Charakterprofile schreiben; in jeder Szene offenbart sich eine neue Facette des faszinierenden jungen Mannes, der sein Herz an Vierbeiner verloren hat (eine Szene, in der sich ein Handjob an einem Hund angeboten hätte, lässt sich in „Good Time“ dennoch weit und breit nicht ausmachen), sich eine liebevolle Beziehung zu seiner Freundin Corey (Jennifer Jason Leigh, „The Hateful 8“) wünscht, bei seinen Raubzügen äußerst zurückhaltend vorgeht und sich dennoch gegen abgefuckte Gangster behaupten kann. In den wenigen Szenen, in denen Benny Safdie als zurückgebliebener Nick auftritt, lässt sich Pattinson dann allerdings doch kurz die Show stehlen; trotz der sichtbaren Überforderung vom ganz normalen Alltag lässt Safdie es nie zu, Mitleid für seine Figur hervorzurufen – sein Nick weiß nämlich doch ziemlich genau, was er will.

Constantine und seine Freundin Corey (Jennifer Jason Leigh).

Auf seinem Weg durch die Unterwelt von New York muss sich Constantine durch einige handelsübliche Gangsterfilm-Twists schlagen, die „Good Time“ auf der Handlungsebene gar nicht so spektakulär aussehen lassen. Viel interessanter ist dagegen die Darstellung des Big Apple; die US-amerikanische Weltmetropole wird alsbald zur dritten Hauptfigur, in deren Aufmachung sich das Fingerspitzengefühl der Safdie-Brüder widerspiegelt, die schon immer sehr genau darin waren, Milieus abseits der Mittel- und Oberschicht in all ihren Facetten zu zeigen. Auf die Charakterisierung der Nebenfiguren trifft das nicht ganz zu. Hier halten die Macher an Bewährtem fest und fahren die üblichen Stereotypen der Drogenszene auf. Ausgleichen können die Safdies diese fehlende Variation, indem sie nicht die typischen Nebenrollen-Gesichter besetzen. So gibt es ein Wiedersehen mit dem markanten Barkhad Abdie („Captain Philipps“), die Newcomerin Taliah Webster („Hair Wolf“) hinterlässt einen bleibenden Eindruck, genauso wie Ron Braunstein alias Necro, mit dem die Regisseure bereits in „Heaven Knows What“ zusammenarbeiteten. Darüber hinaus gelingt ihnen ein smartes Spiel mit den Erwartungen auf technischer Ebene: Während der treibende Synthie-Score von Daniel Lopatin („The Bling Ring“) Achtzigerjahre-Flair versprüht, könnte die flirrende Kammeraarbeit von Sean Price Williams („Thirst Street“) nicht moderner sein.

Fazit: Mit „Good Time“ gelingt den Safdie-Brüdern ein visuell und akustisch einprägsamer, dynamisch inszenierter, erzählerisch allerdings nicht ganz so cleverer Gangsterthriller, der allein schon aufgrund eines überragenden Robert Pattinson einen Blick wert ist.

„Good Time“ ist ab dem 2. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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