Hustlers

Vor allem aber schafft Scafaria so eine wichtige emotionale Bindung mit ihren zentralen Figuren: Die Moves-Stripperinnen mögen auch ihre schrilleren, lauteren Momente haben (etwa, wenn sie sich im Ankleideraum des Moves gegenseitig mit guten Neuigkeiten oder derben Sprüchen zu überbieten versuchen), aber „Hustlers“ zeigt, dass solche aufgekratzten Augenblicke, wie man sie aus anderen Filmen kennt, nur ein kleiner Teil des Stripperinnendaseins sind. Scafarias Figuren sind Berufstätige mit unterschiedlich ausgeprägter Zufriedenheit mit ihrem Job, sie sind aufreizende Tänzerinnen, die nach Feierabend aber einfach nur ihre Ruhe haben wollen, und die den herabwürdigenden Blick, den sie oft zu sehen bekommen, kompensieren, indem sie sich mit dem Geld, das nach den notwendigen Ausgaben und den Finanzspritzen für Familienmitglieder übrig ist, Statussymbole kaufen. Selbst bevor sie zu Betrügerinnen werden, treffen die Ladys aus dem Moves nicht immer die beste Entscheidung, aber Scafaria lässt uns so nah und nüchtern an deren Lebenswelt heranrücken, und die Darstellerinnen spielen sie so ausdifferenziert und lebendig, dass ihr Verhalten (vor dem Trickbetrug) durchweg nachvollziehbar ausfällt und man sich mit ihnen „verbrüdert“: Sie sind hart arbeitende Menschen, die als schäbig verkannt werden, weil ehrliche, wortwörtlich körperliche Arbeit von der Gesellschaft gemeinhin schärfer verurteilt wird als das fragwürdige bis illegale Spekulieren mit riesigen Geldsummen.
„Hustlers“ aber verschafft seinen Striperinnen Respekt, und daher ist es verständlich (nicht aber obendrein verzeihlich), wenn Ramona nach dem Platzen der Finanzblase das ehrliche Strippen gegen eine gerissene Trickmasche austauscht. Und da Scafaria in einer sehr eindringlichen, aber keinerlei Elendsvoyeurismus gestattenden (somit inszenatorisch den Anstand wahrenden) Szene vorführt, welche Abwärtsspirale Destiny in der Wirtschaftskrise durchmacht, ist es auch nachvollziehbar, wieso diese vorsichtigere, nachdenklichere Figur auf den Betrugszug ihrer Freundin aufsteigt. Daraufhin begeht Scafaria einen diffizilen tonalen Tanz, den sie makellos meistert: Die Sympathieträgerinnen aus dem Anfangspart des Films schlagen zurück und nehmen sich von den Männern, die nicht nur die USA, sondern die ganze Welt in eine Wirtschaftskrise gescheucht haben, das zurück, von dem sie denken, dass es ihnen zusteht. Das hat anfangs etwas von einer Robin-Hood-Masche, da die betrügerischen Stripperinnen nicht nur sich selbst, sondern auch ihre restlichen, gebeutelten Kolleginnen und Kollegen aus dem Moves bereichern.
Scafaria aber lässt schon zügig Zweifel an dieser Denke aufkommen: Manche der Aktionen von Ramona und Co. inszeniert sie zwar flott und pointiert, aber von Anfang der Masche an zeigt sie auch dramatische Folgen und lässt die moralisch integreren Figuren berechtigte, wohl formulierte Zweifel aussprechen. Sukzessive kippt dieses Verhältnis: Der Spaß an den betrügerischen Possen versiegt, mehr und mehr kommt die Frage auf, ob die Stripperinnen zu dem werden, was sie zuvor verurteilt haben – und die Missgeschicke ufern aus, steigern sich von Slapstick zu brenzligen Situationen, aus denen sich die Protagonistinnen mit Geschick und Entschlossenheit retten müssen. Diesen Wandel markiert Scafaria zudem, indem sie stilistisch eine größere Distanz zur Binnenerzählung aufbaut: Wurde sie lange Zeit nur sporadisch für die Interview-Situation unterbrochen, erhöht die Regisseurin gegen Schluss die Taktung an solchen Elementen. Inszenatorische Einfälle wie akustisch verfremdete Erzählkommentare oder Dialoge, eine emotional nachhallende Szene in völliger Stille, sowie Auseinandersetzungen zwischen Dorothy und ihrer Interviewerin (Julia Stiles), lassen zu, dass das Publikum Abstand von den zuvor sympathisch betrachteten Figuren nimmt. Hier zahlt es sich doppelt aus, wie sehr Scafaria zuvor eine respektvolle Nähe zu ihnen aufgebaut hat – sie nun schwere Fehlentscheidungen treffen und Gier entwickeln zu sehen, enttäuscht mehr und sorgt für eine drastischere Reaktion als hätte Scafaria zuvor weniger Zeit in Identifikationselemente investiert.
Was „Hustlers“ aus dieser Fallhöhe letztlich macht, und wie weit es Destiny, Ramona und Co. noch treiben, wollen wir an dieser Stelle natürlich noch nicht verraten. Aber wir können sagen, dass Scafaria diese Momente der Wahrheit mit Witz und Spannung umsetzt, ohne dabei das melancholische Element ihres Films aus den Augen zu verlieren: „Hustlers“ ist nicht nur eine Abrechnung mit den Männern, die die Finanzblase haben platzen lassen, sowie mit dem Gewissen vernebelnden Element der Gier, sondern auch die einfühlsam gespielte Geschichte einer verlorenen Einzelgängerin, die zwischenzeitlich die Illusion von Kontrolle und Geborgenheit in ihrem Leben hat. Dass Scafaria „Hustlers“ vornehmlich mit Club-Krachern, die eine strenge, schwere Beinote haben, und Chopin untermalt, fügt sich da formidabel. Das gilt genauso für das zumeist dezent unterbelichtete Bild (durch das die Lichter im Moves und der Glanz von Luxuswohnungen oder Luxusläden besonders aufleuchten) und Todd Banhazls semidokumentarisch gleitende Kameraführung, die uns unmittelbar in das Geschehen versetzt, aber den gewieften Betrügerinnen zelebrierende Theatralik verweigert. Oder sollte man es so ausdrücken: „Hustlers“ gönnt es den Performerinnen, von denen er erzählt, einfach nur zu sein, statt in ihren Höhen und Tiefen immer noch eine Show abzuziehen.
Fazit: Mit „Hustlers“ hat Lorene Scafaria einen regelrechten Geniestreich abgeliefert: Dieser Stripperinnenfilm ist gewitzt, ein spannender Wirtschafts- und Gesellschaftskommentar und hinter all dem Gepose, Lug und Trug schlummert zudem die gefühlvoll gespielte Geschichte einer empfindlichen Freundschaft. Absolute Kinoempfehlung.
„Hustlers“ ist ab dem 28. November in den deutschen Kinos zu sehen.