Big Eyes

Tim Burton widmet sich nach Jahren des visuellen Exzesses wieder dem Charakterdrama und inszeniert mit BIG EYES die Geschichte eines Maler-Ehepaares, das vor Jahrzehnten die Kunstwelt in Euphorie versetzte. Wie sich Burton abseits skurriler Fantasywelten schlägt und ob das Künstler-Biopic auch für branchenfremde Zuschauer etwas taugt, das verrate ich in meiner Kritik zum Film.
Der Plot
San Francisco in den 60er Jahren: Margaret (Amy Adams), geschieden und alleinerziehend, lernt bei einer Kunstausstellung Walter Keane (Christoph Waltz) kennen und lieben. Mit dem charmanten, eloquenten Mann erhofft sie sich endlich das schöne Leben, von dem sie bislang nur geträumt hat. Überzeugt vom künstlerischen Talent seiner Frau, versucht Walter ihre Bilder zu Geld zu machen. Nur leider will keine Galerie die Gemälde von Kindern mit großen, traurigen Augen ausstellen. Kurzerhand verkauft Walter die Bilder selbst und gibt sich als Urheber der „Big Eyes“ aus. Schon bald macht der brillante Geschäftsmann mit dem Verkauf von Postkarten, Postern und Drucken Millionen – zu tausenden finden die „Big Eyes“ ihren Weg in die Wohnzimmer Amerikas. Unter der führenden Hand von Walter hütet auch Margaret das Geheimnis, wer die Bilder erschaffen hat. Doch bald kann sie nicht länger mit der Lüge leben…
Kritik
Der Name Tim Burton wurde in den vergangenen Jahren vorzugsweise mit überbordenden, knallbunten Fantasyfilmen in Verbindung gebracht. Nach Produktionen wie „Alice im Wunderland“, „Charlie und die Schokoladenfabrik“ oder dem zuletzt optisch ein wenig zurückhaltenderen, jedoch nicht weniger extravaganten Vampirstück „Dark Shadows“ wechselte das Image des visionären Geschichtenerzählers zum fantastischen Farbenspieler mit Hang zum visuellen Exzess. Darüber ist rasch vergessen, mit welcher Passion sich der Filmemacher schon immer für die Schicksale vermeintlich bedauernswerter Außenseiter interessierte und aus ihnen andersartige, unkonventionelle Helden formte. Auch der Lebensweg der Künstlerin Margaret Keane ist wie prädestiniert dafür, um von Tim Burton für die Leinwand adaptiert zu werden.
Dass diese auf dem Papier wie geschaffene Kollaboration vielmehr dem Zufall entsprang, ist budgetbedingten Produktionsschwierigkeiten geschuldet, denn ursprünglich wollten die Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski das tragikomische Biopic im Alleingang fertigstellen. Nachdem das Projekt der beiden mitten im Schaffensprozess feststeckte, holten die Schreiber, die schon für „Ed Wood“ mit ihm zusammenarbeiteten, Tim Burton mit ins Boot, und gaben ihm einmal mehr sogleich die Regiezügel in die Hand. Sein in „Ed Wood“ an den Tag gelegtes Gespür dafür, einen von der Kritik gescholtenen (Film-)Künstler zum Publikumsliebling zu machen, wiederholt der Inszenator in „Big Eyes“. Zwar hatten Margaret und Walter Keane anders als Ed Wood nie den fragwürdigen Titel der „schlechtesten Maler (respektive des schlechtesten Regisseurs) aller Zeiten“ inne, doch zu Schaffenszeiten waren ihre Werke als purer Kitsch verschrien, die nicht im Ansatz ihr Geld wird seien. Mit „Big Eyes“ schafft Burton eine Hommage an die Leidenschaft und eine Ode daran, mit eisernem Willen für die Gerechtigkeit einzustehen.
Die Rollenvergaben an Amy Adams (gewann für diese Rolle den Golden Globe) und Tarantino-Liebling Christoph Waltz („Django Unchained“) passen aus Figurensicht wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Während Adams („American Hustle“) entgegen ihrer zumeist sehr toughen Rollenauswahl hier erstmals als zurückhaltende und ihrem Mann untergeordnete Madame funktioniert und davor eigenen Angaben zufolge zunächst großen Respekt hatte, gibt sich Waltz in seinem typisch überheblichen Duktus und damit als aufbrausendes Pendant zu seiner Frau. Waltz genießt sich als selbstsicherer Lebemann, der jedwede Formen der Eigenvermarktung wie aus dem Effeff beherrscht. Doch diese ob ihrer großen Gestik mancherorts fehlplatzierte Attitüde stellt sich der Filmdynamik immer wieder in den Weg. Trotz des überhöhten Egos von Walter Keane bricht das Verhalten der Figur teilweise so harsch, dass der Tonfall des Films ungenau wird und unübersichtlich zwischen Drama und Komödie schwankt. Dies ließe sich vielleicht mithilfe von unterschiedlichen Sichtweisen erklären, doch das Drehbuch legt sich auf eine nüchterne Betrachtung fest und in dieser Position gibt es nur wenige Möglichkeiten der Genre-Variation.
Entsprechend ihrer Rolle hat Amy Adams dem nur schwer etwas entgegenzusetzen. Die bezaubernde Aktrice funktioniert in ihrer stillen Resignation ganz hervorragend als Darstellerin von Margaret Keane, die erst mit der Zeit bemerkt, welche Ungerechtigkeit ihr widerfährt. Adams‘ Darstellung balanciert gekonnt zwischen unterwürfig-vorsichtig und aufbegehrend-mutig und schafft es famos, diesen Sinneswandel subtil darzubringen. Und Christoph Waltz? Der stellt sich ganz in den Dienst des Drehbuchs, sodass die fehlgeleiteten Monologpassagen seiner Figur nicht etwa auf ein ungenaues Spiel Waltz‘ zurückzuführen wären, sondern vom konturlosen Drehbuch herrühren. Erst, wenn Keane im Schlussakt schließlich in Gänze über die Strenge schlägt, kommen Waltz‘ Spielweise und die Grundrichtung des Films wieder zusammen, denn der beispiellos-unterhaltsame Gerichtsprozess, mit dem die Geschehnisse aus „Big Eyes“ sogleich zu einem runden und moralisch absolut korrekten Schluss finden, ist wie geschaffen für einen solchen Egomanen wie Walter Keane, um sich vollkommen bodenlos zu profilieren. Ebenjene Verhandlung wird für ihn zu einer echten One-Man-Show, einschließlich eines fasziniert dreinblickenden Publikums.
Aus technischer Sicht ist „Big Eyes“ gerade auf visueller Ebene ein Fest für Kenner der Kunstszene. Nicht nur, dass Tim Burton diverse real existierende Portraits des Keane-Ehepaares in unterschiedlichen Stufen der Fertigstellung nachzeichnen ließ, um für eine durchgehende Wahrung der Authentizität zu sorgen, auch optisch weiß der Regisseur respektive sein Kameramann Bruno Delbonnel („Dark Shadows“) seinen Film sehr elegant in Szene zu setzen. Passend zum Thema orientiert sich die visuelle Aufmachung des Films an Elementen der Kunstwelt und wählt etwa den Goldenen Schnitt als Orientierungspunkt für die Aufteilung einzelner Szenenbilder. In solchen Kleinigkeiten erkennt man einen „echten Burton“, denn ansonsten erinnert nur wenig in „Big Eyes“ an das Schaffen des Filmemachers aus jüngerer Vergangenheit. Danny Elfman („Fifty Shades of Grey“) komponiert zur Dekade der Sechziger passende Klänge, mit denen er sich in Zurückhaltung übt. Besonders ausdrucksstark sind die Kompositionen Elfmans nicht, dafür wird Lana Del Rays Song „Big Eyes“ so punktgenau im Film platziert, dass ein derartiger Minimalismus einmal mehr die Unaufgeregtheit des Drehbuchs unterstreicht – und damit aber auch hervorhebt, inwiefern Christoph Waltz‘ Figur hier fast zur Karikatur seiner selbst verkommt.
Fazit: Zurück zu den Wurzeln: Tim Burton beweist mit „Big Eyes“, dass die spannendsten Geschichten immer noch das Leben schreiben. Sein Künstlerportrait ist ebenso authentisch wie amüsant und ist trotz seines unentschlossenen Grundtons zwischen Drama und Komödie noch immer sympathisch genug, um, genau wie die Portraits von Margaret Keane, einen hohen Wiedererkennungswert zu besitzen. Einzig Christoph Waltz hätte sich bis zum furiosen Schlussakt gern drosseln dürfen – seine typische Attitüde eines Hans Landa oder Dr. King Schultz passen vielleicht zu den Werken Quentin Tarantinos, nicht aber zu einem Burton, der sich endlich wieder einmal abseits seiner präferierten Fantasywelten beweist.
„Big Eyes“ ist ab dem 23. April bundesweit in den Kinos zu sehen.
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