Baymax – Riesiges Robowabohu

Mit ihrem 54. abendfüllenden Spielfilm BAYMAX – RIESIGES ROBOWABOHU greifen die Disney-Animation-Studios erstmals auf ein Marvel-Comic als Vorlage zurück. Wie passend, dass der Mäusekonzern die Filmstudios des Comicgiganten vor einigen Jahren erst gekauft hat. Geht diese künstlerische Kollaboration auf, oder verderben zu viele Köche den Brei? Das und mehr verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Hiro Hamada liebt Roboter über alles. Der talentierte Junge ist so verrückt nach ihnen, dass er mittlerweile in diesem Bereich in seiner Heimatstadt San Fransokyo einen gewissen Ruf hat. Selbst sein bester Freund Baymax ist ein Roboter – allerdings beeindruckt dieser zunächst mehr mit seiner imposanten Statur als mit seinem Können. Ziemlich tollpatschig, aber stets um das Wohl aller bemüht, steht er Hiro immer mit Rat und Tat zur Seite – ob der will oder nicht. Als sich in San Fransokyo etwas Mysteriöses anbahnt, überschlagen sich die Ereignisse und Hiro und Baymax werden vor die größte Herausforderung ihres Lebens gestellt. Zusammen mit ihrer ebenso begabten wie durchgeknallten Clique müssen sie zu einem echten Team werden und zeigen, was sie drauf haben, um die Stadt vor einer dunklen Bedrohung zu retten…
Kritik
Zwei einflussreiche Coups der vergangenen Jahre sorgten unter internationalen Filmfans gleichsam für Skepsis wie Frohlocken. Beide Male ist die einflussreiche Walt Disney Company darin involviert. 2009 kaufe der Mäusekonzern den Comicgiganten Marvel für über vier Milliarden Dollar, nur vier Jahre später wechselte die Filmschmiede Lucasfilm für einen ähnlich großen Betrag den Besitzer. Während Brancheninsider hinter diesen Millionengeschäften gern über die sich auftuenden Chancen fachsimpeln, schlugen nicht wenige Skeptiker des Familienfilmimperiums in die Kerbe derer, die in „Star Wars“ schon Micky Maus und in „The Avengers“ einen Gastauftritt von Peter Pan vermuteten. Auch, wenn es sich bislang nur erahnen lässt, dass in „Das Erwachen der Macht“ keinerlei Nebenrollen an Donald, Pluto und Co. vergeben werden, konnte insbesondere Marvel schon vielfach unter Beweis stellen, dass der Mutterkonzern Disney bei der Inszenierung diverser Comic-Actioner offenkundig erstaunlich wenig mitzureden hat. Der bislang einzige, eindeutige Querverweis der Marvel Studios in Richtung Zeichentrickklassiker ist und bleibt bislang der erste Trailer zum neues „Avengers“-Abenteuer „Age of Ultron“, in welchem unter Zuhilfenahme einer finsteren Remix-Version des berühmten „Pinocchio“-Songs „I’ve Got no Strings“ mit den Ähnlichkeiten zwischen dem titelgebenden Bösewicht und dem hölzernen Marionettenjungen kokettiert wird. Der neueste Streich der Disney-Animation-Studios ist daher nicht bloß deren 54. abendfüllendes Familienabenteuer, sondern auch eine Bewährungsprobe: Funktioniert die direkte Symbiose aus Marvel-Abenteuer und Animationsmärchen tatsächlich so, wie es sich Optimisten vorab ausmalten, oder sollen am Ende doch die Nörgler damit Recht behalten, dass Marvel und Disney einfach nicht zusammenpassen?
Um es vorwegzunehmen: „Baymax – Riesiges Robowabohu“ nimmt den Kritikern den Wind aus den Segeln und trägt diesen sogleich zu den Verantwortlichen, die sich ab sofort deutlich leichter damit tun werden, Marvel-Comics in animierter Form für die Leinwand adaptieren zu lassen. Dies ist nicht wirklich überraschend, denn die Graphic-Novel-Grundlage „Big Hero Six“ hat nicht unbedingt die Marvel-DNA, mit der das „Avengers“-Universum auftrumpfen kann, sondern erinnert in ihrer Fantasywelt mit ihren vielen kleinen Kuriositäten mehr an „Guardians of the Galaxy“. Auch diese kunterbunte Heldentruppe hätte man sich durchaus als 3D-Animationsfilm vorstellen können, doch da unter dem Label Disney bevorzugt auf die gesamte Familie als Zielgruppe geschielt wird, ist die vom Tonfall her ein wenig friedlicher gesinnte „Big Hero Six“-Reihe wie gemacht, um das für die Marvel Studios neue Animationsterrain einmal auszuprobieren. So kommt es auch, dass sich der typische Comic-Actionspaß und der familienfilmkonforme Mix aus moralisch aufgeladener Tragik und typischem Disney-Humor nicht nur die Waage halten, sondern auch erstaunlich gut voneinander profitieren. Treibende Kraft hinter diesem Umstand ist eine Geschichte, die bereits in der ersten halben Stunde mit ebenjener Ernsthaftigkeit daherkommt, wie sie bereits 2013 vom Animationsmärchen „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“ eingeführt wurde. Gewiss: Mit dem Tod von Mufasa in „Der König der Löwen“, der Ermordung von Bambis Mutter und der unterschwelligen Rassismus-Thematik in „Pocahontas“ waren die Disney-Meisterwerke noch nie völlig frei von bodenständigen Botschaften. Und doch fühlt sich der plötzliche Tod eines zu Beginn als Hauptfigur eingeführten Charakters in „Baymax“ viel geerdeter und somit weitaus realistischer an, als in den tierischen Pendants diverser Zeichentrickklassiker.

Die Detailvielfalt in „Baymax – Riesiges Robowabohu“ findet nicht nur in der Figur Baymax ihre Höhepunkte, sondern allen voran im Design der fiktiven Stadt San Fransokyo
Wie schon in „Frozen“ führt auch Disneys neuester Streich den Trend zur übersichtlichen Vermischung realistischer und fantastischer Elemente fort und geht damit wiederum in bester Marvel-Tradition vor. Schon visuell kreieren die Macher die perfekte Illusion und erschaffen aus Tatsachen eine Fantasy-Welt: Die Macher lassen die beiden Weltmetropolen San Francisco und Tokio verschmelzen. Es entsteht die fiktive Stadt San Fransokyo, eine atemberaubende 3D-Welt, mit der die verantwortlichen Animatoren ein Ausrufezeichen hinter die Möglichkeiten der modernen Computeranimation setzen. Während die steilen Straßen und die kühlen Hochhäuser eindeutig dem amerikanischen San Francisco entlehnt sind, sind die japanischen Einflüsse in der Häusergestaltung und dem Design der Figuren allgegenwärtig. Die vielen Einzelheiten der Animation beim ersten Blick auf die einzelnen Szenen zu entdecken, kommt einem Ding der Unmöglichkeit gleich; so sehr fesselt die naturgetreue Maßarbeit der Gestalter, deren Liebe zum Detail in der optischen Aufmachung von Baymax selbst ihren Höhepunkt findet. Der Roboter, der an eine Mischung aus Marshmellow und einem berühmten Autoreifenhersteller-Maskottchen erinnert, existiert zwar nur auf der Leinwand. Doch schon die szenische Vorstellung der Hauptfigur lässt erahnen, welches Hintergrundwissen sich die Macher angeeignet haben müssen, um Baymax auch nur zu animieren. Daneben wirkt das Design der menschlichen Haupt- und Nebenfiguren fast schon minimalistisch und geht ein wenig weg vom naturgetreuen Antlitz des Menschen. Mit übergroßen Nasen, hervorgehobenen Augenbrauen und nicht ganz realistischen Körper-Proportionen macht man sich die Freiheiten des Animationsfilms zunutze – und hat Erfolg. Baymax bleibt durchgehend der Mittelpunkt des Geschehens, dem in der deutschen Fassung übrigens ein brillant aufgelegter Bastian Pastewka seine Stimme leiht (Hier geht’s zum Interview!).
Neben der nahe an der Perfektion befindlichen Animationstechnik unterstreicht ein treibender Orchesterscore von Henry Jackman („Ralph reicht’s“) das Geschehen, während der Titelsong „Immortals“ von Fall Out Boy zwar nicht die Chance auf einen Kultklassiker hat, die Seele des aufbegehrenden, jugendlichen Films jedoch perfekt untermauer. Die Geschichte selbst folgt einerseits den gängigen Erzählstrukturen klassischer Familienfilme, kombiniert diese aber – wie eingangs erwähnt – mit einem guten Schuss Abenteueraction, die zu keinem Zeitpunkt dem typischen Superheldenfilm-Pathos frönt, sondern bis zum Schluss fast wie ein Antihelden-Abenteuer funktioniert. Hiro und seine Freunde sind keine geborenen Weltenretter, sondern kämpfen mit ganz alltäglichen Problemen, in die sich Jung und Alt hineinversetzen kann. Dies führt dazu, dass sich „Baymax – Riesiges Robowabohu“ sowohl in Gänze ohne Leerlauf, als auch dynamisch sehr ausgewogen präsentiert. Der tragische Unfall zu Beginn des Films sowie der obligatorische Endkampf fügen sich in das Storykonstrukt und sorgen für ein absolut rundes Erscheinungsbild. Für Abstriche in der B-Note sorgt da ein stellenweise leider etwas zu einfach gestricktes Drehbuch, das zwar genau auf die junge, vielleicht sogar noch mitknobelnde Zielgruppe abgestimmt ist, den erwachsenen Kinogänger jedoch möglicherweise ein Stück weit langweilen könnte, sofern sich dieser denn revolutionäre Sprünge im Storytelling erhofft. Auch die Charakterzeichnung einiger Nebenfiguren bleibt zu Gunsten des Protagonisten-Duos stellenweise auf der Strecke, was sich mit etwaigen Fortsetzungen jedoch locker ausgleichen ließe.
Fazit: „Baymax – Riesiges Robowabohu“ ist ein herausragendes Stück Animationskino, das nicht nur visuell einmal mehr neue Maßstäbe setzt, sondern auch auf der Erzählebene immer wieder Neues ausprobiert. Mit Baymax, einem neuen Kinomaskottchen, und reichlich unkonventionellen Helden nehmen Disney und Marvel ihr Publikum mit auf eine spannende Reise in eine atemberaubende Welt, bei der die kleinen Schwächen in Storytelling und Figurenzeichnung alsbald vollkommen in den Hintergrund rücken. Die zeitlose Inszenierung, der charmante Witz und die liebenswürdigen Charaktere laden dazu ein, „Baymax“ mehr als einmal im Kino anzusehen.
„Baymax – Riesiges Robowabohu“ ist ab dem 22. Januar bundesweit in den Kinos zu sehen – auch in 3D!
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