The Forever Purge

Die „Purge“-Reihe hat sich längst zum weltweiten Filmphänomen entwickelt. Und so steht auch nach dem neuesten Film THE FOREVER PURGE nicht zu befürchten, dass das Erfolgsprojekt von Franchise-Schöpfer James deMonaco jemals enden wird. Damit sich das qualitativ rentiert, müssten die Kreativen langsam aber sicher umdenken. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Die USA in der nahen Zukunft: Die Mauer an der Grenze zu Mexiko wurde erfolgreich errichtet. Noch immer findet jedes Jahr die Purge, die Säuberung, statt: Eine Nacht lang sind alle Verbrechen erlaubt. Doch während selbst deren flammendste Befürworter glauben, dass die wahren Werte verloren gegangen sind, formiert sich mit der Bürgerwehr „Forever Purge“ eine gefährliche Radikale. Ihr Plan ist es, die Regierung zu stürzen und ein Amerika zu errichten, in dem die Purge zum Dauerzustand wird und das Verbrechen regiert. In diesem kurz vor dem Kollaps stehenden Amerika findet sich das mexikanische Pärchen Juan (Tenoch Huerta) und Adela (Ana de la Reguera) wieder. Beide sind erfolgreich den Drogenkartellen ihrer Heimat entkommen. Juan verdingt sich als Rancharbeiter für die wohlhabende Familie Tucker und beeindruckt den Patriarchen Caleb (Will Patton). Doch das schürt den eifersüchtigen Zorn von Calebs Sohn Dylan (Josh Lucas). Da greift am Morgen nach der Säuberung eine maskierte Mörderbande die Tucker-Familie an, einschließlich Dylans schwangerer Frau (Cassidy Freeman) und dessen Schwester (Leven Rambin). Die dramatische Lage zwingt beide Familien, sich zusammenzuschließen und zurückzuschlagen, während die Vereinigten Staaten heillos ins Chaos stürzen.
Kritik
Im Sommer 2019, als die ersten Planungen für „The Forever Purge“ begannen, war noch vom großen Finale die Rede. Nach fünf Filmen und einer aktuell zwei Staffeln umfassenden Serie sollte hiernach endgültig Schluss sein. Doch warum eine noch immer reichlich Milch gebende Kuh frühzeitig abschlachten, wenn auch in naher Zukunft die berechtigte Hoffnung besteht, dass das noch viele Jahre so bleiben wird? Es genügt schon, sich einmal den bisherigen Erfolg vor Augen zu führen: Insgesamt spielten die Filme (den fünften bereits miteingeschlossen) bislang über 450 Millionen US-Dollar ein – bei einem Budget von gerade mal 53 Millionen Dollar (ebenfalls für alle fünf Filme!). Das bewährte Blumhouse-Konzept, lass die (zum Großteil noch unbekannten) Regisseure für wenig Geld Horrorfilme nach ihrem Gutdünken inszenieren und selbst wenn mal ein Kassenflop dabei ist, ist die schiere Masse an daraus entstehenden Kinoproduktionen in der Lage, den ein oder anderen Rohrkrepierer aufzufangen. Es wird noch spannend zu beobachten sein, ob sich dieses Prinzip auch in Zukunft weiterträgt. Schließlich hat vor allem das Studio Universal, das fast jeden Blumhouse-Film ins Kino bringt, während der Pandemiephase seinen Veröffentlichungsrhythmus umgekrempelt und bietet neueste Kinoproduktionen mittlerweile deutlich schneller nach Veröffentlichung als VOD auf den Streamingmarkt. So auch „The Forever Purge“, bei dem zwischen Kino- und Heimkinorelease nicht einmal vier Wochen vergingen. Doch irgendwie passt das in diesem Fall auch zur Filmqualität. Spätestens jetzt fischt James deMonaco nur noch in Direct-to-DVD-Gefilden.
Die deutsche Plakat-Headline „Keine Regeln mehr“ lässt sich auf „The Forever Purge“ auch im übertragenen Sinne anwenden. Innerhalb der im Film kreierten Realität regieren im Anschluss an die jährliche Säuberung weiterhin die Anarchie und Gewalt der vorausgegangenen 12 Stunden – der Grundsatz, dass nur in diesem Zeitraum sämtliche Straftaten, einschließlich Mord, erlaubt sind, gilt nicht mehr. „Forever Purge“ eben. Doch auch innerhalb der „Purge“-Filmreihe sprengt Drehbuchautor und Franchise-Schöpfer James deMonaco (Regie führte mit Everardo Gout diesmal jemand anderes) durch dieses Konzept jedwede seiner einst selbst auferlegten Regeln. Und so hat man erneut das Gefühl, die Macher:innen hätten den Reiz hinter der Purge überhaupt nicht verstanden. Ein Eindruck, den die Verantwortlichen hinter der Filmreihe bislang mit jedem ihrer Teile bestätigten; wenngleich auf sehr vielfältige Weise. Der erste Teil aus dem Jahr 2013 nutzte die Säuberungsprämisse lediglich als Hintergrundrauschen für einen maximal durchschnittlichen Home-Invasion-Trailer, aus dem allenfalls Hauptdarsteller Ethan Hawke herauszustechen wusste. In der Fortsetzung „The Purge: Anarchy“ ging es zwar wenigstens endlich auf die Straße, doch für mehr als ein solides Actionspektakel, das ebenso gut vor der Kulisse eines Bürgeraufstands oder einer Amoksituation hätte stattfinden können, genügte auch das nicht. Die politischen, geschweige denn ethischen Spurenelemente der Grundidee wusste auch dato keiner auszuloten. Immerhin im dritten Teil „The Purge: Election Year“, der wie die Faust aufs Auge in den absurden Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton passte und durch seine vereinzelt eingeworfenen satirischen Spitzen den bislang besten Teil der Reihe darstellt, rückte das Franchise zumindest halbwegs in jene fiesen Sphären, wo es hingehört, während der vierte Teil „The First Purge“ die Ursprünge der Säuberung thematisierte, dabei aber die Schwächen des zweiten Teils wiederholte.
„Man hat erneut das Gefühl, die Macher:innen hätten den Reiz hinter der Purge überhaupt nicht verstanden. Ein Eindruck, den die Verantwortlichen hinter der Filmreihe bislang mit jedem ihrer Teile bestätigten.“
Teil fünf nun rückt vollends weg von der „12 Stunden-Begrenzung“ seines Straftatenerlasses und erzählt ganz einfach von einer radikalen Terrororganisation, die mordend und metzelnd durch die Straßen fährt und bevorzugt mexikanische Bürgerinnen und Bürger niedermeuchelt. Dass diese sich zu dieser Aktion hat von der Purge inspirieren lassen, ist so ziemlich der einzige (und letzte) Bezug zur Ursprungsreihe. Ansonsten wäre „The Forever Purge“ auch durchaus als ein Film durchgegangen, der ein von der Trump-Regierung gezeichnetes, natürlich (beziehungsweise: hoffentlich) überspitzt dargestelltes Amerika der Zukunft abbildet. Die Mauer zu Mexiko steht und der Rassenhass hat überhandgenommen. Da muss man es schon fast als konsequent bezeichnen, dass die in „The Forever Purge“ als Antagonisten gezeichnete Charaktere auf den ersten Blick als radikale Rassisten zu erkennen sind – etwa an einem fetten Hakenkreuz-Tattoo direkt auf der Wange. Und wer weiß, was sich noch so für Abgründe auftun, wenn die rosafarbenen Killerhasen erst einmal ihre Masken abnehmen!? So oder so findet eine in den bisherigen Teilen zumindest im Ansatz vorhandene Sezierung des „ganz normalen Bürgers“ hier nicht mehr statt. Die bis an die Zähne bewaffneten Mörder wären mit Sicherheit auch ohne eine Säuberung auf ihre Feindbilder losgegangen. Aber vielleicht hätten sie für diese nicht so kreative Fallen aufgestellt; Zumindest in der ersten halben Stunde ginge „The Forever Purge“ auch noch als eine Art „Straßenvariante“ von „Saw“ durch. Und selbst wenn solche Ideen mit der Zeit immer weiter von der minimalistischen Franchiseidee weggerückt sind, so übten in den „Purge“-Filmen bislang zumindest die kreativen Maskeraden, Waffen und Mordideen der Purger eine fiese Faszination aus. Getreu dem Motto: Wenn man schon einmal im Jahr Menschen killen darf, dann wenigstens auf kreative Weise!
Eine (überdeutlich als solche erkennbare) Falle, aus der eine Ziege befreit werden will, woraufhin der/die mutige Ziegenretter:in erst zwischen den Gitterstäben eingeklemmt, anschließend auf die Falle heraufgezogen wird und hier schließlich auf ihre blutige Vollstreckung warten muss, macht schon allein aus technischer Sicht wirklich was her, auch wenn man sich bei den stumpfen Rassistenkillern schon fragt, weshalb die sich in ihrer „Wir ballern einfach alles nieder, was uns in die Quere kommt!“-Mentalität noch die Mühe machen, überhaupt solche aufwändigen Fallen zu bauen. Doch sei es drum: Immerhin präsentiert uns der hier auch wieder als Autor tätige James deMonaco damit wenigstens eine Szene, die im Nachgang im Gedächtnis bleibt. Ansonsten fällt an „The Forever Purge“ nicht nur durch die klischeehafte Charakterzeichnung sämtlicher Figuren – also auch der Guten – negativ auf, sondern vor allem durch seine einseitig-unkreative Inszenierung. Eine Szene etwa, in der sich die Opfer der Forever-Purger vor ihnen und ihren Schusswaffen in einem Wagen verstecken und den darauffolgenden Kugelhagel über sich ergehen lassen müssen, fängt Kameramann Luis David Sansans („Das Belko Experiment“) als stumpfes Schuss-Gegenschuss-Geballer ein, aus dem heraus sich überhaupt keine Spannung entwickeln kann. Erst recht dann nicht, wenn einem die da gerade angegriffenen Menschen völlig gleichgültig sind. Hieraus entwickelt sich schließlich auch die Tonalität für den Rest des Films: eine riesengroße, einem emotional fernbleibende Straßenschlacht und Gewalteskalation, die, wie alles zuvor auch, an einem vorbeirauscht.
„An ‚The Forever Purge‘ fällt nicht nur durch die klischeehafte Charakterzeichnung sämtlicher Figuren – also auch der Guten – negativ auf, sondern vor allem durch seine einseitig-unkreative Inszenierung.“
Dabei wäre „The Forever Purge“ wie geschaffen dafür, ähnlich des dritten Teils den Finger in die (politische) Wunde zu legen. Dass sich mittlerweile selbst die neuen Gründerväter, sie Entwickler der Purge, von ihrer Idee distanzieren, ist lediglich eine Randnotiz wert, obwohl sich hier endlich einmal die Gelegenheit böte, der Idiotie hinter der Purge tiefgreifend auf den Grund zu gehen. Und wer sich immerhin ein bisschen Gore erhofft – immerhin der vierte Film bot dahingehend ja ein paar Schmankerl – der wird ebenfalls enttäuscht. Stattdessen kriegt er am Reißbrett entworfene, vorhersehbare Jumpscares en Masse. Und auch das will man im Jahr 2021 einfach nicht mehr sehen.
Fazit: Mit „The Forever Purge“ führen Franchiseschöpfer James deMonaco und sein Regisseur Everardo Gout einmal mehr vor Augen, dass er die fantastische Idee hinter der Säuberung nicht verstanden hat, sondern sie erneut als Grundrauschen für einen austauschbaren Horror-Actionfilm nutzt, der auch ohne den Säuberungsgedanken funktioniert hätte. Naja, oder eben nicht.
„The Forever Purge“ ist ab dem 12. August 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.