Monster! Monster?

Musikclipregisseur Anthony Mandler drehte 18 Jahre lang Videobeiträge für Künstlerinnen und Künstler wie Nelly Furtado, Eminem und Rihanna. Das Gerichtsdrama MONSTER! MONSTER? bildete 2018 sein Filmdebüt. Drei Jahre später erreicht es ohne Kinoauswertung den Streamingdienst Netflix. Ob wir die Geschichte gern im Kino erlebt hätten, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Monster (USA 2018)

Der Plot

Steve Harmon (Kelvin Harrison, Jr.) ist ein 17-jähriger, sehr begabter Schüler, der nach seinem Abschluss am liebsten Filme machen würde. Doch seine Welt und auch die seiner Eltern (Jeffrey Wright, Jennifer Hudson) gerät mit einem Schlag aus den Fugen, als er wegen Mordes angeklagt wird. Steve soll bei einem tödlichen Überfall auf einen Kioskbesitzer dabei gewesen und maßgeblich für das Ableben des Opfers verantwortlich gewesen sein. So schildern es auch Steves vermeintliche Komplizen. Als die Anwälte und Geschworenen bereits ihr Urteil gefällt zu haben scheinen, liegt es an Steve und seiner resoluten Anwältin (Jennifer Ehle), das Gericht davon zu überzeugen, dass ihr Mandant einfach nur zu falscher Zeit am falschen Ort war…

Kritik

Als den Nutzerinnen und Nutzern des Streamingdienstes Netflix dieser Tage der Zugang zu Anthony Mandlers Langfilmdebüt „Monster! Monster?“ ermöglicht wurde, konnten einen die Informationen zu dem Gerichtsdrama erst einmal irritieren. Der VOD-Gigant mit den roten Lettern listete den Film unter Neuheiten, vorab hieß es, der Film sei „exklusiv für Netflix“ entstanden. Gleichwohl gibt der Streamingdienst als Entstehungsjahr der Produktion 2018 an. In diesem Jahr feierte sie schließlich ihre Weltpremiere auf dem Sundance Filmfestival. Haben wir es hier nun also mit einem brandneuen Netflix-Original oder „nur“ mit dem Neuzugang eines gar nicht mehr so neuen Films zu tun? Schaffen wir rasch Aufklärung: „Monster! Monster?“ ist tatsächlich schon drei Jahre alt, hat jedoch seither nie ein Kino von innen gesehen und ging vergangenes Jahr ins Netflix-Portfolio über, nachdem die Entertainment Studios die im April 2019 erworbenen Rechte an die Konkurrenz abgaben. Netflix benannte den ursprünglich „All Rise“ betitelten Film in „Monster“ um (hierzulande trägt er den Titel „Monster! Monster?“) und veröffentlichte ihn nun final für die breite Kundschaft. Warum so ein Ringen um die Nutzungsrechte des Stoffes (und noch dazu so ein langes)? Wir wissen es nicht. Es ist für den Genuss, oder besser: die Würdigung von „Monster! Monster?“ auch kaum von Relevanz. Wenngleich man vermuten möchte, dass der Film noch um Einiges bissiger geraten wäre, wäre er nicht schon 2017, sondern erst ein paar Jahre später entstanden. Dafür sind die darin abgehandelten Themen einfach viel zu aktuell und brisant.

Steve Harmon (Kevin Harrison Jr.) muss wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.

Musikvideoregisseur Anthony Mandler ist nicht der erste Filmemacher, der sich mit der ungerechten Behandlung von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern im US-amerikanischen Justizsystem auseinandersetzt. Allein auf Netflix befasst sich mit „When They See Us“ eine ganze Serie mit einem besonders einprägsamen Fall von Rassismus gegenüber einer Gruppe Jugendlicher, die daraufhin für viele Jahre unschuldig ins Gefängnis musste. Im Kino schlüpfte zuletzt etwa Michael B. Jordan in die Rolle des afroamerikanischen Anwalts Bryan Stevenson, der es sich zum Schwerpunkt gemacht hat, zu Unrecht inhaftierte Schwarze vor der Todesstrafe zu bewahren. Auch „Just Mercy“ beruht auf einer wahren Geschichte – jener von Bryan Stevenson, der bis heute als Jurist und Bürgerrechtler aktiv ist. „Monster! Monster?“ ist anders als „When They See Us“ und „Just Mercy“ ein rein fiktionales Werk. Doch die darin verhandelten Themen, insbesondere der von Rassismus und Vorurteilen verseuchte Blick der vornehmlich weißen Justizmitglieder gegenüber der in diesem Fall angeklagten Afroamerikaner sind – nicht erst seit dem vor wenigen Wochen verhandelten Jahrhundertprozess rund um den gewaltsamen Tod von George Floyd – aktueller denn je. Dass mit Anthony Mandler zudem ein Nicht-Schwarzer auf dem Regiestuhl platznahm, um diesen Stoff für die Leinwand zu adaptieren, tut der „Monster! Monster?“ innewohnenden Wut gegenüber dem System keinen Abbruch. Der an über 100 Musikvideos beteiligte Filmemacher – darunter für Lenny Kravitz, Rihanna oder die Black Eyed Peas – nimmt, basierend auf dem Skript von Cole Wiley und Janece Shaffer (beides Newcomer), in Gänze die Blickwinkel der hier porträtierten Black Community an und erzählt einen Film für sie und von ihnen; ergo: aus ihrer Perspektive.

„‚Monster! Monster?‘ ist ein rein fiktionales Werk. Doch die darin verhandelten Themen, insbesondere der von Rassismus und Vorurteilen verseuchte Blick der vornehmlich weißen Justizmitglieder gegenüber der in diesem Fall angeklagten Afroamerikaner sind – nicht erst seit dem vor wenigen Wochen verhandelten Jahrhundertprozess rund um den gewaltsamen Tod von George Floyd – aktueller denn je.“

Die dafür angewandte Erzählstruktur tut der Geschichte indes nur bedingt gut. „Monster! Monster?“ erzählt im Grunde zwei Geschichten parallel. Auf der einen Seite sind da Ereignisse dieser komplexen juristischen Schlacht vor Gericht, für die sich Steves Anwältin Maureen O’Brien gepfefferte Rededuelle mit der von der Schuld ihres Mandanten von vornherein überzeugten Gegenseite liefert. Darüber hinaus folgt der Film den Vorbereitungen auf die Anhörungen im Gerichtssaal, O’Briens Zurechtlegen einer Strategie und ihren intensiven Gesprächen mit Steve, der ihr gegenüber nicht bloß permanent seine Unschuld beteuert, sondern sie auch direkt an seinen mitunter äußerst schmerzhaften Erfahrungen hinter Gittern teilhaben lässt. Der Part vor Gericht und hinter Gefängnismauern ist sogleich der intensivste von „Monster! Monster?“. Macht er die Auswirkungen von Rassismus auf seine Opfer doch am stärksten greifbar. Im Falle einer Verurteilung muss der ohnehin gepeinigte Steve die Qualen seiner Untersuchungshaft noch viele weitere Jahre ertragen. Seine eigentlich so hoffnungsvollen Aussichten als Nachwuchsfilmemacher: begraben. Kelvin Harrison Jr. („Waves“) spielt wahrlich mitreißend auf und mimt den schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesenen Unschuldigen zwischen rebellischem Trotz und stoischer Ruhe. Mit jedem Besuch seiner Anwältin versteinern seine einst so lebensfrohen Gesichtszüge mehr und mehr, bis die Zeit in Haft all die Lebensfreude aus ihm herausgesaugt zu haben scheint.

Steve (hier mit Nasir „Nas“ Jones) versucht, die Zeit in Haft halbwegs schadenfrei zu überstehen.

Der andere Teil von „Monster! Monster?“ – und leider auch der weitaus weniger gelungene – befasst sich mit den Ereignissen vor der eigentlichen Tat. Die Autoren rekonstruieren nicht bloß den tödlich endenden Überfall auf einen Supermarktinhaber, sondern arbeiten das schulische und private Umfeld ihres Protagonisten Steve akribisch aus. Sie zeichnen den jungen Studenten als strebsamen, vor allem aber charismatischen Filmliebhaber. Wir sehen ihn im liebevollen Umgang mit seinen Eltern sowie im Zwiespalt mit sich selbst, wenn er die Privilegien eines Eliteschülers vor seinen neidvollen Bekanntschaften auf der Straße in Harlem zu verteidigen versucht. Allzu viel über die Leute, von denen sich Steve lieber fernhält, weil sie entweder kriminell sind oder ihn abfällig behandeln, erfahren wir derweil nicht. Auch wenn das im Anbetracht der Tat selbst nicht gerade unwichtig wäre. Stattdessen konzentriert sich alles darauf, Steve als Vorzeigestudenten abzubilden, der während seiner Gerichtsverhandlung sogar von seinem Professor als absolutes Vorbild charakterisiert wird. Es irritiert schon sehr, mit welcher Inbrunst die Verantwortlichen versuchen, jedwede Ecken und Kanten ihrer Hauptfigur in vorauseilendem Gehorsam abzufeilen, bloß um nie einen Hauch von Misstrauen aufkommen zu lassen. Jeder Anflug von „Und was, wenn er es doch war?“ erstickt die berechnende Inszenierung im Keim. Gefällige Musik und poetische, postkartentaugliche Bilder (Kamera: David Devlin, „Semper Fi“) sorgen dafür, dass der Kontrast zwischen dem idyllischen Leben eines Vorzeigestudenten und den Qualen hinter Gittern möglichst groß erscheint. Dabei ist das eigentliche Thema Rassismus ja längst nicht nur dann schlimm, wenn die Betroffenen richtig gute Menschen mit strahlend weißer Weste sind. Aber vielleicht macht die Geschichte aus einer solchen Perspektive die eigentliche Tragweite des Konflikts ja noch ein wenig deutlicher..!?

„Es irritiert schon sehr, mit welcher Inbrunst die Verantwortlichen versuchen, jedwede Ecken und Kanten ihrer Hauptfigur in vorauseilendem Gehorsam abzufeilen, bloß um nie einen Hauch von Misstrauen aufkommen zu lassen.“

Anthony Mandlers Inszenierung macht keinen Hehl daraus, dass „Monster! Monster?“ nicht als Thriller verstanden werden will. Die Macher schüren zu keinem Zeitpunkt Spannung aus der Täterfrage. Auch dass die Hälfte des Films vor Gericht spielt, könnte einen falschen Eindruck entstehen lassen, denn die juristischen Details im US-amerikanischen Rechtssystem behandeln die 98 Filmminuten nur am Rande. Das, worum es in „Monster! Monster?“ eigentlich geht, ist viel größer als dieser eine Prozess. Und die Bühne desselben ist kein Gerichtssaal, sondern existiert überall. Zumindest im Kleinen macht Anthony Mandlers Film greifbar, mit welcher Selbstverständlichkeit strukturierter Rassismus das Leben eines jeden (afroamerikanischen) Menschen von heute auf Morgen zerstören könnte. Schade ist nur, dass den Kreativen die Tragweite ihrer Geschichte offenbar selbst nicht so ganz bewusst war. Ihr Film hätte so viel mehr sein können…

Fazit: „Monster! Monster?“ ist ein gefällig inszenierter Film über einen jungen Mann, der infolge des strukturellen US-amerikanischen Rassismus gegen Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner zu Unrecht des Mordes angeklagt wird. Hauptdarsteller Kelvin Harrison Jr. macht die emotionalen Qualen seiner Figur jederzeit greifbar. Leider wendet das Skript mehr Zeit dafür auf, zu erklären, weshalb es für diese eine Person mit blütenweißer Weste ja besonders schlimm ist, Opfer eines solchen Falles zu werden, anstatt sich von diesem einen fiktiven Beispiel freizumachen und das Problem in seiner Gesamtheit anzugehen.

„Monster! Monster?“ ist ab sofort bei Netflix streambar.

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