Ruf der Wildnis

„Drachenzähmen leicht gemacht“-Regisseur Chris Sanders legt mit der Jack-London-Buchverfilmung RUF DER WILDNIS seinen ersten Realfilm ab, kann dabei aber noch nicht so ganz aus seiner Haut. Ob es dem Film gut tut, dass sämtliche Tiere darin animiert sind, das verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Bucks glückliches Hundeleben wird vollkommen auf den Kopf gestellt, als er seinem Zuhause in Kaliforniern entrissen wird und sich plötzlich in der fremden Wildnis Alaskas zu Zeiten des Goldrauschs wiederfindet. Er wird in ein Rudel von Post-Schlittenhunden gesteckt und muss sich hier erst einmal behaupten. Nachdem Buck einen gefährlichen Befehl verweigert, wird er lebensgefährlich verletzt. Zum Glück findet ihn John Thornton (Harrison Ford), der Buck wieder aufpäppelt und gesundpflegt. Die beiden werden unzertrennliche Freunde und für Buck beginnt das Abenteuer seines Lebens, bis er schließlich seinen wahren Platz in der Welt findet.

Kritik

Es ist schon bezeichnend, dass in einer einzigen deutschen Kinostartwoche zwei Filme erscheinen, in denen ein Hund die Hauptrolle spielt. Zum einen im Hinblick auf die fahrlässige Verleiherplanung; Irgendjemandem muss hier entgangen sein, dass sich „Ruf der Wildnis“ und „Lassie – Eine abenteuerliche Reise“ gegenseitig kannibalisieren könnten. Sollten sich hier beide Parteien aber doch so ihre Gedanken gemacht haben, könnte diese parallele Startterminplatzierung auch zeigen, dass man genau darum weiß, dass sich die Zielgruppe der zwei Filme (eigentlich!) nicht überschneiden sollte. Immerhin ist „Lassie“ ein klassisches, ab null Jahren freigegebenes Kinder- und Familienabenteuer, „Ruf der Wildnis“ dagegen basiert auf dem weltbekannten Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Jack London, dessen Werke, von „Wolfsblut“ bis „Der Seewolf“, ja eigentlich nicht gerade dafür bekannt waren, besonders kinderfreundlich zu sein. Ganz gleich, dass wie in „Ruf der Wildnis“ schon mal ein Hund im Zentrum der Erzählung steht. Im Anbetracht des fertigen Films ist von der Romanvorlage allerdings nur noch die Quintessenz – ein Vierbeiner auf einem Streifzug durch die raue Wildnis Alaskas zu Zeiten des Goldrauschs – übriggeblieben. Die nunmehr neunte (!) Verfilmung seit 1935 ist die mit Abstand zahmste, was nicht zuletzt auch damit zusammenhängt, dass den allesamt vollständig am Computer entstandenen Tiere – von Hunden bis Rentieren – eine derart menschliche Mimik zugestanden wurde, dass man eigentlich nur darauf wartet, dass sie im nächsten Moment miteinander reden. Weshalb man „Ruf der Wildnis“ also nicht direkt als Animationsfilm adaptierte, ist ein Rätsel.

Für Buck beginnt ein neues Leben als Hund eines schlittenfahrenden Postboten (Omar Sy).

Regisseur Chris Sanders hat sich mit Animationsfilmen wie „Lilo & Stitch“ und „Drachenzähmen leicht gemacht“ einen Namen gemacht. Nach insgesamt drei Ausflügen ins Trickfilmfach legt er mit „Ruf der Wildnis“ nun seinen ersten Realfilm vor, in den er seine Kenntnisse aus diesem Segment allerdings ein weiteres Mal einfließen lassen kann. Sämtliche Tiere in „Ruf der Wildnis“ entstanden am Computer. Und nicht nur das: Wo sich andere Filmemacher und -Studios bemühen, CGI-Tiere von Film zu Film realistischer und naturgetreuer aussehen zu lassen, bis sie – wie beispielsweise im Falle von Jon Favreaus „König der Löwen“ – nicht mehr von ihren realen Vorbildern zu unterscheiden sind, setzt das Team hinter „Ruf der Wildnis“ ganz besonders auf Verniedlichung. Allen voran der fellige Protagonist Buckley besitzt eine fast schon menschliche Mimik, mit der er auf sein Umfeld reagiert. Zuneigung, Wut und Abscheu stehen ihm dabei ebenso ins Gesicht geschrieben wie deutlich komplexere Gefühlsregungen. Und genau das wirkt befremdlich. Denn in dem realistischen, rauen Setting eines Alaska zur Goldrauschzeit wirkt es mitunter schlicht und ergreifend albern, wenn sich ein sich eigentlich glaubhaft ins Setting fügender Hund schadenfroh oder trotzig zeigt. Hier beißt sich der Anspruch an einen vorherrschenden Realismus (mit dem den Jack-London-Werken entsprechend ja auch immer eine gewisse körperliche Härte einhergeht) mit cartoonesken Trickeelementen, bis der letzte Schritt eigentlich nur noch der wäre, dass es den Tieren in „Ruf der Wildnis“ möglich wäre, miteinander in menschlicher Sprache zu kommunizieren. Wobei man das ehrlicherweise gar nicht braucht: Die Mimik der Vierbeiner ist schließlich derart ausgeprägt, dass man auch ohne Worte versteht, was diese sich hier gerade zu „sagen“ haben.

Nun muss man „Ruf der Wildnis“ immerhin zugutehalten, dass er sich dem häufig an „König der Löwen“ entgegengebrachten Vorwurf der fehlenden Emotionalität nicht stellen braucht. So ungewohnt und unpassend verniedlichend die menschliche Tiermimik auch wirkt, so sehr trägt sie doch im Laufe des Films auch dazu bei, dass man mit Bucks Schicksal mitfiebert. Insbesondere ab des Auftretens von Einsiedler John entsteht dank des authentischen Spiels von Harrison Ford („Blade Runner 2049“) eine glaubhafte Chemie zwischen echtem Menschen und falschem Hund; etwas, was zuletzt etwa bei „Die fantastische Reise des Dr. Dolittle“ so gar nicht aufkommen mochte, weil am Set einfach noch gar nicht feststand, wo denn später die animierten Tiere im Bild zu sehen sein würden. In „Ruf der Wildnis“ dagegen spielen die Schauspieler jederzeit aktiv die in der Postproduktion hinzugefügten Tiere an. Die Illusion der Mensch-Hunde-Freundschaft geht also tatsächlich auf. Erst recht, weil es etwa mit einem auf den Alkoholkonsum seines Herrchens Acht gebenden Buck einige wirklich rührende Szenen in den Film geschafft haben. Rührend bedeutet in diesem Fall allerdings noch lange nicht kinderfreundlich. Denn wer sich anhand der bisherigen Beschreibung einen familiengerechten Abenteuerfilm vorstellt, dem verhagelt Chris Sanders mit einigen sehr derben Momenten ein solches Erlebnis. Vor besonders düsterer Kulisse findet hier menschliche Gewalt gegen Tiere ebenso statt wie Gewalt unter den Tieren selbst. Und auch der Abgesang des Feindes wird hier auf eine bemerkenswert nihilistische Weise zelebriert, sodass „Ruf der Wildnis“ wohl noch am ehesten als „Hundefilm für Erwachsene“ (oder zumindest nicht ganz junge Zuschauer) durchgehen sollte.

Mercedes (Karen Gillan) überschätzt die Dicke des Eises…

Bis es allerdings soweit ist, spendiert Chris Sanders seinem Publikum großgedachtes Abenteuerkino, dass der Oscar-prämierte Kameramann Janusz Kaminski (für „Schindlers Liste“ und „Der Soldat James Ryan“) in ganz und gar berauschenden Panoramen einfängt. Wenn Omar Sy („Plötzlich Papa“) in der Rolle des Schlittenhunde treibenden Postboten hier durch die schneebedeckte Landschaft Alaskas rast, kann man sich an der ehrfurchtgebietenden Natur um ihn herum kaum sattsehen; zumindest so lange, bis die nahende Lawine allzu sehr als Produkt aus dem Computer zu erkennen ist. Und das an die Tom-Waits-Episode in „The Ballad of Buster Scruggs“ erinnernde Goldsucher-Tal, in dem John und Buck hier nach dem Edelmetall suchen, gehört jetzt schon zu den spektakulärsten Setpieces des Kinojahres 2020. Hier erlaubt sich Drehbuchautor Michael Green („Mord im Orient Express“) immer wieder auch Humor; etwa, wenn John gerade nicht hinsieht und sein treuer Vierbeiner einen riesigen Klumpen Gold aus dem Bach fischt, diesen allerdings wieder fallen lässt, als sein Herrchen ihm keinerlei Beachtung schenkt. Hier findet die Form des leicht überhöht erzählten Realfilms über eine innige Mensch-Tier-Freundschaft mit den Stilmitteln der hier angewendeten Hundeanimation stimmig zusammen. Doch im nächsten Moment steht dann eben doch wieder der schießende Bösewicht auf der Matte und man weiß nicht so recht, ob das alles hier nun eine locker-beschwingte Abenteuerkomödie sein soll, oder doch raues Erwachsenenkino, in das sich rein zufällig ein ganz besonders tapsiger Hund hineingemogelt hat.

Fazit: Viel besser als erwartet aber noch immer zu unentschlossen, um richtig gut zu sein: „Ruf der Wildnis“ ist zu kindlich für ein erwachsenes Jack-London-Publikum und zu düster für Kinder. Das bedeutet jedoch nicht, dass einem die Freundschaft zwischen dem vollanimierten Vierbeiner und dem Vollbart tragenden Harrison Ford nicht doch immer wieder zu Herzen geht.

„Ruf der Wildnis“ ist ab dem 20. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • OMG – die Verfilmung ist absolut genial!
    Ich sehe nicht mehr sonderlich viel oder gerne fern, aber auf den freute ich mich und blieb dann gebannt vor dem Fernseher sitzen. Das schaffte seit langer Zeit nichts mehr in dieser Weise.
    Unbedingt ansehen!

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