Gelobt sei Gott

Mit seinem nunmehr 20. (!) Spielfilm innerhalb von gerade einmal 22 Jahren fasst der gebürtig aus Paris stammende Autorenfilmer François Ozon ein derart heißes Eisen an, dass man es auf der Leinwand noch glühen zu sehen scheint. Doch GELOBT SEI GOTT ist keine plumpe Provokation, sondern emotionales Wachrüttelkino. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Im Jahr 2014 in der französischen Metropole Lyon fasst Banker und Familienvater Alexandre (Melvil Poupaud) den Entschluss, sich seinen stets wieder aufbrechenden Traumata zu stellen. Der streng gläubige Katholik wurde in den Achtzigern von einem Pater (Bernard Verley) über drei Jahre lang immer wieder sexuell missbraucht. Um den Täter zur Rechenschaft zu ziehen, das ihn schützende System aufzubrechen, aber auch, um seine Kinder vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren, bittet Alexandre beim zuständigen Kardinal Barbarin (Francois Marthouret) um ein Gespräch – und findet zwar Gehör, aber keinerlei Aussicht auf Hilfe. Zu allem Überfluss erfährt er sogar, dass der ihn einst missbrauchende Pater, der sich im Zusammenhang mit den Anschuldigungen als Pädophiliekranker schuldig bekannt hat, noch immer im Amt ist und mit Kindern arbeitet – für Alexandre ein Schlag ins Gesicht. Daraufhin erstattet er Anzeige bei der Polizei und begibt sich auf die Suche nach weiteren Missbrauchsopfern. In Francois (Denis Ménochet) und Gilles (Eric Caracava) findet er zwei, die sich an der Seite von Alexandre ebenfalls öffentlich gegen ihren Peiniger stellen wollen…
Kritik
2016 gewann Tom McCarthys Journalistendrama „Spotlight“ den Oscar in der Königskategorie „Bester Film“. Darin geht es um eine Gruppe von Reportern des Boston Globe, die Ende der Siebzigerjahre den rituellen Missbrauch von Kindern in der römisch-katholischen Kirche in Boston aufklären konnte. Der ganze Film war ein Schlag in die Magengrube. Und wenn man bis heute eine Sache nicht vergessen kann, dann ist es vor allem der Rolltext am Ende des Films, der anhand einer Auflistung sämtlicher bekannter kirchlicher Missbrauchsfälle rund um den Globus die Ausmaße dieses Skandals erst so richtig sichtbar macht. Für den Regisseur François Ozon, der seinen letzten Film „Der andere Liebhaber“ aus der Vagina einer Frau begann, ist dieses immer wieder die Schlagzeilen beherrschende Thema mit dem Oscar-Gewinn von „Spotlight“ aber noch längst nicht abgeschlossen. Sein anklagendes, auf wahren Ereignissen beruhendes Drama „Gelobt sei Gott“ stellt sich zu einhundert Prozent auf die Seite der Opfer und schildert den Kampf gegen Windmühlen, den Alexandre, Francois und Gilles gern auf sich nehmen, um endlich Genugtuung abseits klassischer Rachemotive zu erfahren. Wer Böses tut, muss sich den Folgen eben stellen.
Gleichzeitig ist der Terminus „Böses tun“ hier nicht unbedingt zielführend gewählt. In „Gelobt sei Gott“ geht es nicht um einen klassischen Konflikt zwischen Täter und Opfer (Ozon stellt sich so rigoros auf die Seite der drei Männer, dass es schlicht nicht möglich ist, die Seite der Kirche einzunehmen, schweige denn auch nur zu verstehen – selbst dann nicht, als sich der beschuldigte Pater auf Pädophilie als Krankheit beruft) und es ist auch nicht das Ziel der Missbrauchten, Pater Bernard Preynat möglichst schnell hinter Gitter zu bringen. Seine Taten sind schließlich längst verjährt, eine direkte Verurteilung scheint also nicht mehr möglich (tatsächlich musste sich der echte Pater Preynat noch Anfang 2019 vor Gericht – auch wie es dazu kam, wird im Film genau erläutert). Stattdessen geht es den drei Männern vielmehr darum, das System, in dem die Geistlichen unter dem Schutz von wegblickenden Mitwissern ihre Taten ungehindert ausführen können, zu zerschlagen. Aus diesem Grund gründeten die drei Männer 2014 den Verein „La Parole Libérée“, zu Deutsch: „Das befreite Wort“, mit dem sie sich an weitere Opfer richten und das Thema Kindesmissbrauch aus der Tabuzone befreien wollen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, den schuldigen Pater noch nach der Verjährung seiner Taten einer gerechten Strafe zuzuführen.
Die ausladenden 137 Minuten vergehen im Falle von „Gelobt sei Gott“ wie im Flug. Der Grund dafür ist François Ozons effektive Inszenierung in Kombination mit dem smarten, von ihm selbst verfassten Drehbuch. Denn die Ereignisse rund um die frühen Vorfälle und die späte Aufbereitung werden nacheinander aus der Sicht von Alexandre und den anderen beiden Männern erzählt. Das ermöglicht dem Zuschauer nicht nur einen mannigfaltigen Einblick darin, wie unterschiedlich menschliche Seelen Schreckenstaten verarbeiten, sondern entlockt der Szenerie stets neue tonale Facetten und Blickwinkel. Mithilfe seiner exakt komponierten Aufnahmen und Bilder, die im krassen Gegensatz zu seinen sonst eher schwelgerisch fotografierten Filmen stehen, lässt Ozon „Gelobt sei Gott“ stets zwischen Drama und Thriller wandeln, erlaubt sich zwischendurch aber auch Humor, wenngleich dieser niemals forciert oder gar auf Pointe geschrieben ist. Es ist vielmehr die Unverfrorenheit der französischen Geistlichen, deren Aussagen zu sexuellem Missbrauch von solch einer Trockenheit geprägt sind, dass man sich das Lachen nicht verkneifen kann (etwa weil der Ausruf „Gott sei Dank“ im Zusammenhang mit einer Missbrauchs-Pressekonferenz extrem zynisch klingt), eh man sich dem wahren Horror ihrer Worte bewusst wird.

Kardinal Barbarin (François Marthouret) bei der Firmung von Alexandres Sohn Gauthier Guérin (Max Libert).
Fazit: „Gelobt sei Gott“ ist alles andere als leicht verdaulich, aber er macht es dem Zuschauer leicht, einen Zugang zu ihm zu finden. Ein starkes, wichtiges Stück großes Kino, wie es auch schon „Spotlight“ war.
„Gelobt sei Gott“ ist ab dem 26. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.