Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot

Auf der Berlinale sorgte das Philosophendrama MEIN BRUDER HEISST ROBERT UND IST EIN IDIOT für heftige Kontroverse. Doch Philip Gröning liefert hier eine Provokation mit Ansage, die so plump daherkommt, dass sie schlussendlich keine mehr ist. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Sommerhitze. Eine Tankstelle auf dem Land, Kornfelder, Wind und ferne Berge. Die Zwillinge Robert (Josef Mattes) und Elena (Julia Zange) liegen im Gras und bereiten sich auf Elenas Abiturarbeit in Philosophie vor. 48 Stunden lang sind die sommerliche Wiese, ein Wald, ein See ihr Universum. 48 Stunden ist die Tankstelle ihr einziger Kontakt zur Außenwelt. 48 Stunden, sich von Kindheit und der Symbiose der Zwillingswelt zu lösen. Zwillingsspiele, Wetten, Gespräche über Philosophie. Und je mehr sie kämpfen, um voneinander loszukommen, desto mehr zieht es sie in ihre gemeinsame Welt. Als das Wochenende vorbei ist und die Sonne wieder über der Tankstelle aufgeht, ist nichts mehr, wie es vorher war. Zu sehr eins zu sein, um zwei zu werden. Und zu wenig eins zu sein, um eins zu bleiben. Ende der Kindheit. Ende der Welt.

Kritik

Anfang des Jahres sorgten die Filmfestspiele in Berlin wiederholt für Aufsehen aufgrund ihrer Filmauswahl. Sowohl der One-Take-Terroranschlag „Utøya 22. Juli“, das sich mit körperlichen Tabus befassende Doku-Drama „Touch Me Not“, als auch Philip Grönings knapp dreistündige Philosophiestunde „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ sorgten für Kontroversen, letzterer sogar für Buhrufe. Trotzdem feiert das deutsche Feuilleton den Film über ein Geschwisterpärchen, das die meiste Zeit über im Gras liegt und den Philosophen Martin Heidegger rezitiert, bis das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den beiden in der letzten Dreiviertelstunde eskaliert. Und zugegeben: Wer mit den Thesen des „Sein und Zeit“-Schöpfers auch nur ein bisschen vertraut ist, mag im Schwadronieren von Bruder und Schwester die Quintessenz dessen wiedererkennen, womit Heidegger Ende der Zwanzigerjahre die Fundamentalontologie begründete. Das Problem ist dabei nur, dass das alles andere als filmisch ist. Philip Gröning („Die Frau des Polizisten“), der nicht bloß die Regie übernahm, sondern auch das Drehbuch verfasste (zusammen mit Co-Autorin Sabine Timoteo, „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“), verliert sich zusammen mit seinen Figuren so dermaßen in der Ergründung des menschlichen Seins, dass er darüber die Schöpfung plausibler Charaktere vergisst. Und mit denen steht und fällt nun mal der Film, der sich infolgedessen endlos zieht und schließlich in ein Finale mündet, das so banal, so reißerisch und plump ist, dass es einem nicht gleichgültiger sein könnte.

Eine Grille hört „La Javanaise“ von Serge Gainsbourg

Philosophie ist eines dieser Themen, die nicht selten im Auge des Betrachters liegen. Die einen erkennen sie in allen möglichen Dingen, die anderen nie. Und die vielfältigen Thesen großer Philosophen erschließen sich bei Weitem nicht jedem. Im Falle von „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ will Philip Gröning um alles in der Welt verhindern, dass seinem Publikum die Philosophie seines Films verborgen bleibt. Und so lässt er seine Figuren nicht bloß in gefühlt endlosen Dialogen Dinge sagen, die Jugendliche in ihrem Alter niemals so sagen würden (Hauptsache das, was sie sagen, erinnert irgendwie an die Thesen Heideggers). Er beginnt seinen Film auch direkt mit einer Szene, von der man ebenso gut meinen könnte, dass es sich bei ihr um einen Schnittfehler handelt: Für den Bruchteil einer Sekunde sehen wir das Protagonistenpärchen im Gras liegen, eh der eigentliche Film beginnt. Die einen werden sich fragen, was es damit auf sich hat, die anderen, die vielleicht schon im Vorfeld wissen, was sie in den nächsten 176 Minuten (!) erwartet, erkennen darin womöglich den ersten Kommentar auf die Frage, was Zeit ist, wo die Gegenwart aufhört und die Zukunft beginnt. „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ beginnt zweifelsohne ambitioniert, Gröning folgt einem peniblen Konzept. Es gehe „um das Wesen der Zeit, um Philosophie, Leben, Sex und Tod“, heißt es im Presseheft. Vielleicht ist es also Sinn und Zweck, dass man im Nachhinein am eigenen Leib spürt, dass man da gerade drei Stunden Zeit mit zwei Menschen verbracht hat, die in jeder Hinsicht abstoßend sind – so lang haben sich drei Stunden selten angefühlt.

Was im Nachgang der Berlinale vor allem für Gesprächsstoff sorgte, war die letzte Dreiviertelstunde von „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“. Bis es in dieser zu einer Katharsis kommt, deren Verlauf durch die vielen im Vorfeld getätigten Andeutungen und Gesten der Zwillinge alles andere als überraschend ist, befasst sich das Skript mit der Beziehung zwischen Robert und Elena. Doch obwohl der auch als Kameramann tätige Gröning aus der vorherrschenden Idylle das Optimum an schwer greifbarer Spannung herausholt, indem er immer wieder die für das bloße Auge kaum sichtbaren Details fokussiert, die so gar nicht in das friedliche Bild eines harmlosen Sommertages passen wollen (da werden Erinnerungen an Lars von Triers „Antichrist“ wach, in dem ebenfalls die abseitigen Abgründe der Waldflora und -Fauna zu unheilvollen Vorboten wurden), bleiben die schwadronierenden Teenies vollkommen eindimensional. Die Doppelbödigkeit der Prämisse entsteht einzig und allein aus der starken Kameraarbeit. Elena und Robert dagegen können den ersten Eindruck, zwei verzogene Gören mit Heidegger-Faible zu sein, die sich hinter Zitaten verstecken, um sich selbst nicht offenbaren zu müssen, zu keinem Zeitpunkt widerlegen. Gröning verwechselt ausufernde Rituale, kreischende Streitgespräche und plumpe Dreistigkeit mit tiefgründiger Charakterzeichnung. Und so muss am Ende passieren, was passiert, einfach nur, weil es einem die beiden Figuren vorab schon permanent ins Gesicht gebrüllt haben (es gibt sogar das selbst für Serienmörderfilme mittlerweile zu plakative Motiv dessen, der zuerst Tiere quält, bevor er sich am Menschen abarbeitet zu sehen). Das ist allenfalls Provokation mit Ansage – und dadurch erst recht keine mehr.

Gewalt schlummert in uns allen. Elena (Julia Zange), Erich (Urs Jucker) und Robert (Josef Mattes)

Gerade bei Geschichten, die über einen längeren Zeitraum von wenigen Figuren getragen werden (müssen), ist es besonders wichtig, auf irgendeiner Ebene mit ihnen zu connecten. Das muss nicht einmal über Sympathie geschehen. Manchmal reichen schon besonders interessante Weltsichten oder auch nur ein bestimmter Charakterspleen, um Interesse für die im Film agierenden Menschen zu schüren. Doch wem bereits die beiden Reisenden in Hans Weingartners gefeiertem Roadmovie „303“ zu aufgesetzt weise waren, dem sei gesagt, dass man sich am Ende von „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ ohne langes Überlegen wieder in die Gesellschaft von Jule und Jan zurückwünscht. Auch die Gespräche zwischen den beiden wirkten mitunter zu konstruiert, um authentisch zu sein. Darüber hinaus riss das Ende dem Konzept des Films den Boden unter den Füßen weg. Doch gleichzeitig handelten und debattierten die beiden Protagonisten auf Augenhöhe mit dem Publikum – in mindestens einem der unzähligen Diskussionsansätze fand sich über kurz oder lang jeder Zuschauer wieder. Josef Mattes („Groupies bleiben nicht zum Frühstück“) und Julia Zange („Der lange Sommer der Theorie“) verkörpern Robert und Elena dagegen als einander und den Zuschauer von Anfang an auf Distanz haltendes Zwillingspaar, dessen (familiäre) Beziehung zueinander zu jedem Zeitpunkt Behauptung ist. Die beiden könnten ebenso gut Freunde, Fremde oder eben nichts von alledem sein. Die beiden definieren sich einzig und allein über ihre von oben herab vorgetragenen, philosophischen Ergüsse, sodass der von den Machern beabsichtigte Tabubruch im Finale nicht zündet. Was bleibt, sind drei Stunden des vermeintlich intellektuellen Austauschs. Ohne Erkenntnis.

Fazit: Ist „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ philosophisch, weil die ganze Zeit über Philosophie gesprochen wird? Vielleicht. Sind die beiden Hauptfiguren, denen man ihr Bruder-Schwester-Verhältnis zu keiner Sekunde abnimmt und wodurch für das alles andere als skandalöse Finale keinerlei emotionale Fallhöhe entsteht, ätzend und unausstehlich? Auf jeden Fall! Muss man den Film sehen? Definitiv nicht.

„Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ ist ab dem 22. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Mein Filmemacher heißt Philip und ist ein Idiot. Aber wir leben ja in einer Zeit, wo zunehmend die Geisteskranken Hochsaison haben. Von wegen intellektuell, das ist einfach ein widerliches Machwerk mit aufgesetzter Pseudophilosophie, in jeder Beziehung grottenschlecht und langweilig!

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