Wir sind Champions

Spanien schickt die Sportkomödie WIR SIND CHAMPIONS ist Oscar-Rennen 2018 – und damit einen Film über behinderte Menschen, der tatsächlich mit solchen gedreht wurde. Mehr dazu und weshalb wir diese Entscheidung zwar nachvollziehen, aber nicht teilen können, verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Irgendwie läuft es momentan bei Marco (Javier Gutiérrez) nicht rund. Als Co-Trainer einer spanischen Basketballmannschaft heimst nur der Trainer das Lob und die Anerkennung ein und auch privat könnte es nicht schlechter laufen: Seine Ehe steht kurz vor dem Aus. Frustriert über sein Leben, und dass immer nur die anderen Gewinner sind, kommt es auf dem Spielfeld zum Eklat. Er beschimpft das Team, wird vom Feld geschmissen, betrinkt sich und baut einen Autounfall, was ihm prompt einen Gerichtsprozess beschert. Doch das Urteil ist so gar nicht nach seinem Geschmack. Er soll in seiner Freizeit gemeinnützig eine ganz besondere Basketballmannschaft trainieren: Ein Team, bestehend aus Menschen mit geistiger Behinderung. Und was er mit ihnen erlebt schüttelt sein Weltbild ordentlich durcheinander…

Kritik

Zum Teil aus einer gefühlten Hysterie heraus, zu einem viel größeren hingegen durchaus berechtigt, wurde die Besetzungspolitik vieler internationaler Blockbuster in den vergangenen Jahren verstärkt kritisiert. Wenn in einer Vorlage aus einer asiatischen Figur plötzlich eine westliche wird (Beispiel: Scarlett Johansson in „Ghost in the Shell“), dann geht das für viele Liebhaber der Vorlage häufig zu weit. Es war ein weiteres Mal Marvel-Star Johannson, die in die Kritik geriet, als sie in Rupert Sanders‘ Projekt „Rub & Tug“ für die Rolle eines transsexuellen Mannes besetzt werden sollte. Nach herbem Gegenwind trat sie schließlich zurück; eine transsexuelle Figur solle gefälligst auch von einem echten Transsexuellen verkörpert werden. Doch nicht nur in den USA schlagen bei derart streitbaren Besetzungscoups immer häufiger die Wellen der Empörung hoch. Als vor zwei Jahren die französische Komödie „Mein ziemlich kleiner Freund“ über einen kleinwüchsigen Mann erschien, wunderten sich viele, dass dieser von dem künstlich am Computer verkleinerten Megastar Jean Dujardin verkörpert wurde und nicht etwa von einem echten Kleinwüchsigen. „Wir sind Champions“, der spanische Beitrag für die kommende Oscar-Verleihung, muss von dieser Seite schon mal keinerlei Kritik fürchten. In der Komödie von Javier Fesser („Camino“) spielen echte geistig und körperlich behinderte Menschen geistig und körperlich behinderte Figuren. Das bringt der Sportcomedy einen enormen Sympathie- und Originalitätsbonus ein, aber einen guten, gar oscarwürdigen Film macht das noch lange nicht aus und so steht das inszenatorische Statement im starken Kontrast zur finalen Qualität.

Trainer Marco (Javier Gutiérrez) und Spieler Juanma (José de Luna).

Obwohl Vieles an „Wir sind Champions“ aus dem reinen Klischee heraus entsteht, ist der in Spanien zu einem absoluten Überhit avancierte Film (aktuell steht er hinter „Avengers: Infinity War“ und „Jurassic World: Das gefallene Königreich“ auf Platz drei der erfolgreichsten Filme des Jahres 2018) erst einmal auf einem sehr richtigen Pfad, wenn es darum geht, dem Zuschauer die noch nicht mal zwingend ablehnend gemeinten Berührungsängste mit den Hauptfiguren zu nehmen. Das Drehbuchautorenduo aus Javier Fesser und David Marqués („En fuera de juego“) geht überhaupt nicht zimperlich zur Sache. Ihre behinderten Menschen sind ganz so, wie sie das wahre Leben geformt hat. „Wir sind Champions“ duldet keinerlei mainstreamtaugliche Weichspülung. Und so riskieren die Macher eben auch, dass der Film seine Zuschauer in einigen extravaganten Momenten durchaus verlieren könnte. So etwa in einer Szene, in der eine der Figuren ihre kaum zu bändigende Freude über den bevorstehenden Wettkampf lautstark mit den Insassen eines Busses zeigt. Man erwischt sich selbst plötzlich bei dem Gedanken, genervt zu sein. Und das ist auch völlig in Ordnung! „Wir sind Champions“ fordert kein Mitleid ein, kurzum: Auch ein schwerbehinderter Mensch kann ein Arschloch, ein Idiot, oder zeitweise auch einfach nur ätzend sein. Dass die Verantwortlichen diese ungeschönte Wahrheit zu Gunsten eines massentauglichen Feelgood-Erlebnisses nicht beschönigen, ist ein bemerkenswerter Pluspunkt, den der Film immer wieder zwischendurch ausspielt und das Authentizitätslevel dadurch weiter in die Höhe schraubt.

An die Hand nimmt einen dabei die Hauptfigur des eitlen Trainers Marco, dessen beste Zeiten vorbei sind, der das allerdings so gar nicht wahrhaben will. Um einer höheren Strafe zu entgehen, wird er nach einem Vorfall zum Training mit der Behinderten-Mannschaft verdonnert. Und seine Skepsis gegenüber den Hauptfiguren ist in all ihren bisweilen ausgeprägt-schmerzhaften Facetten, in die sich durchaus Vorurteile mischen, stets nachvollziehbar. Dass all das so gut funktioniert, liegt daran, dass sich die Macher nie über die Figuren lustig machen; den Status als Komödie verdient sich „Wir sind Champions“ stattdessen durch jede Menge Komik, die aus der harmlosen Situation heraus entsteht – und weil derjenige, der sich zum Affen macht, vorwiegend der Einzige im Raum ist, der eben nicht behindert ist. Auch das starke Spiel von Javier Gutiérrez („Assassin’s Creed“), womit er dem Film über viele drehbuchbedingte Allgemeinplätze hinweghilft, sowie die losgelöste Interaktion der eben nicht als Schauspieler tätigen Laien, verhelfen dem Film zu einem absolut authentischen Feeling. Doch all das wird immer wieder zunichte gemacht, wenn die Autoren Szenen in „Wir sind Champions“ platzieren, die bei aller Austauschbarkeit zuvor der so gewissenhaft erzählten Geschichte die symbolischen Beine wegziehen und die Komödie dadurch doch weitaus klischeehafter machen, als sie es eigentlich ist.

Marco beim Training mit Fabián (Julio Fernández) und Manuel (Stefan López).

Symptomatisch dafür steht eine Szene, in der der unter einer starken Wasserphobie leidende Juanma (José de Luna) von seinem Trainer und dem Rest des Teams mithilfe einer kleinen Flunkerei in die Gemeinschaftsdusche gelockt und anschließend im Hau-Ruck-Verfahren von seiner Angst befreit wird. Die Tat an sich ist nicht nur moralisch höchst fragwürdig, vor allem zieht Javier Fesser diese Szene mit der Dramaturgie eines Gags auf, an dessen Ende so etwas wie eine Pointe steht. Auch wenn die Figur von dieser Tat profitiert und das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit duscht, stellt sich die Inszenierung hier plötzlich auf die Seite der Umstehenden, die mit dem Finger auf einen Mann in der Mitte zeigen; und das fühlt sich auf einmal ganz schön befremdlich an. Von derartigen Szenen gibt es in abgewandelter Form immer mal wieder welche. Sie sorgen für (zugegebenermaßen garantiert nicht beabsichtigte) Brüche innerhalb der Erzählung und nehmen dem Gesamterlebnis dadurch die Unbeschwertheit und Offenheit, die den Film ansonsten durchgehend auszeichnen könnte. Und sobald man auf diese Schwachpunkte aufmerksam gemacht wird, fällt einem dann plötzlich auch auf, dass „Wir sind Champions“ erzählerisch letztlich doch auch wieder nur ein Sportfilm von vielen ist, an dessen Ende sich die Underdogs gegen die Champions duellieren müssen. Immerhin hier findet die Geschichte einen stimmigen, durchaus überraschenden Schlusspunkt.

Fazit: Der Überraschungshit aus Spanien kommt nach Deutschland! Vieles deutet daraufhin, dass der Oscar-Kandidat ein richtig feines Statement für die Berücksichtigung behinderter Menschen im Mainstream-Film setzen könnte. Inszenatorisch tut er das auch. Doch das unausgegorene Skript zieht der süßen Geschichte mit zweifelhaften Einzelszenen immer wieder die symbolischen Beine weg.

„Wir sind Champions“ ist ab dem 20. September in den deutschen Kinos zu sehen.

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