Lomo – The Language of Many Others

Das Jugenddrama LOMO – THE LANGUAGE OF MANY OTHERS zeigt, was passiert, wenn Jugendliche durch das Internet den Bezug zur Realität verlieren. Leider gelingt es auch der Regisseurin Julia Langhof nicht, diese eigentlich hochmoderne Prämisse entsprechend zeitgeistig umzusetzen. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Familie Schalckwyck lebt in einem wohlhabenden Bezirk Berlins, Mutter Krista und Vater Michael wollen ihren Kindern Karl und Anna alle Möglichkeiten bieten. Die Zwillinge stehen kurz vor dem Abitur. Während die ambitionierte Anna schon ziemlich genau weiß, wie ihr Leben verlaufen soll, widmet Karl lieber seine ganze Aufmerksamkeit seinem Blog „The language of many others“. Dort postet er unter anderem auch persönliche Aufnahmen seiner eigenen Familie, was Karls Verhältnis zu seinem Vater vor eine Zerreißprobe stellt. Als Karl sich in seine neue Mitschülerin Doro verliebt, glaubt er endlich zu wissen, was er will. Auch Doro findet Gefallen an ihrem eigensinnigen und rebellischen Mitschüler, lässt ihn jedoch nach einer kurzen Affäre wieder fallen. Für Karl ist jetzt klar: Nichts ist wahrhaftig, alles ist Willkür. Desillusioniert beginnt er ein gefährliches Spiel. Er veröffentlicht ein intimes Video von sich und Doro, und lässt mehr und mehr seine Follower die Macht über sein Leben übernehmen – am Ende sogar über Leben und Tod…

Kritik

Das Presseheft beschreibt „Lomo“ als „sozialkritisches Porträt einer Generation, für die Blogs, Social Media und digitale Communities selbstverständlicher Teil ihres Lebens geworden sind“. Glaubt man der Regisseurin Julia Langhof (inszenierte vorab unter anderem eine Episode zur Doku-Reihe „Wild Germany“) und ganz nebenbei auch diversen anderen nationalen sowie internationalen Filmemachern, ist das World Wide Web also ausschließlich zu verteufeln. Schaut man sich an, welchen Stellenwert das Internet in der Realität für uns Menschen einnimmt, ist es schon erstaunlich, dass es in Filmen vorwiegend dann zum Einsatz kommt, wenn es zu einer Katastrophe führt. Aber das ließe sich soweit noch nachvollziehen, wenn man bedenkt, dass es das Publikum wohl kaum interessieren würde, dabei zuzusehen, wenn Jemand einfach so und ohne Folgen im Internet surft. Wie in allen anderen erzählerischen Gebieten auch, ist es eben deutlich spannender, sich mit den Abgründen einer Sache zu befassen. Und dazu gehört eben auch das Thema „Digitale Vernetzung“. Besonders schwierig ist bei Filmen darüber vor allem die Tatsache, dass kein Trend so schnell an Relevanz verliert, wie einer, der sich online abspielt. Was jetzt brandaktuell ist, kann in einem Jahr nahezu lächerlich wirken. Langhofs „Lomo“ feiert erst jetzt seinen offiziellen deutschen Kinostart und ist bereits in diesem Moment Schnee von gestern. Allenfalls die Botschaft ist noch zeitgemäß – aber die ist eben auch schon ganz schön abgegriffen.

Jonas Dassler spielt Karl, den Urheber des Blogs „Lomo“.

Julia Langhof führte bei „Lomo – The Language of Many Others“ nicht bloß zum ersten Mal Regie bei einem Langspielfilm, sie schrieb gemeinsam mit Thomas Gerhold auch das Drehbuch. Die Idee hinter der Geschichte ist spannend: Ein Junge (Jonas Dassler) lädt auf seinem Blog Videos hoch, in denen er seine Familie heimlich filmt und ihr Verhalten mit Ausschnitten aus anderen Videos vergleicht. Dazu greift er schon mal zu übelsten Provokationen – etwa dann, wenn er seinen Vater (Karl Alexander Seidel) vor versammelter Familie am Esstisch fragt, ob er und seine Mutter noch regelmäßigen Geschlechtsverkehr haben. Immer wieder lässt er seine Umgebung mit moralisch fragwürdigen Methoden ordentlich auflaufen. Und auch, wenn dahinter nicht etwa reine Böswilligkeit steckt, sondern so etwas wie ein radikaler Kunstwille, ist dieser Karl ein ziemliches Arschloch. Dass er für seine Internetcommunity trotzdem zu einer Art Idol wird, ist dann wiederum gar nicht so abwegig: Schaut man sich die Aufrufzahlen großer YouTuber an, geht es da selten nach Sympathie, sondern vorwiegend um den Content; und auch da wiederum steht weniger die Qualität im Vordergrund. Das Blog-Projekt „Language of Many Others“ besitzt also tatsächlich eine gewisse Faszination, ständig unterfüttert von Karls mal mehr, mal weniger absurden Theorien über menschliches Zusammenleben. Sich über den Blog-Inhalt hinaus auch für Karl selbst zu interessieren, fällt dagegen schwer. Für „Lomo“, der mit fortschreitender Dauer auch die emotionalen Aspekte der Story immer weiter beleuchtet, ist das nicht unbedingt von Vorteil.

Bis hierhin krankt „Lomo“ erst einmal hauptsächlich an seinen Figuren. Diese sind nicht bloß unausstehlich, sondern einfach kaum interessant und stecken gerade im Hinblick auf die Nebencharaktere voller Klischees. Karls Schwester Anna (Eva Nürnberg) ist nicht einfach bloß das komplette Gegenteil ihres Bruders, sondern auch eine klassische Streberin mit betont überambitionierten Zukunftsplänen (ihr anvisierter Studiengang sorgt in ihrem Umfeld erst einmal für verdutzte Gesichter). Vater Paul und Mutter Krista (Marie-Lou Sellem) sind ein typisches Berliner Großverdiener-Paar, das die Nase immer einen Tick zu weit oben trägt und die Online-Tätigkeiten ihres Sohnes auch abseits seiner fragwürdigen Methoden verteufelt. Hinzu kommen eine Handvoll Freunde und Bekannte, allesamt ziemlich klar auf einen jeweiligen Spleen reduzierbar. Vor allem aber geht es in „Lomo“ um die große Lücke, die zwischen der einen zur nächsten Generation klafft, wenn es darum geht, die Selbstverständlichkeit des Internets zu erfassen. Karls Jahrgang scheint mit dem World Wide Web verschmolzen zu sein, seine Eltern hingegen völlig überfordert. Für Zwischentöne ist in diesem Film kein Platz, was das Drama lange Zeit zu einer ziemlich plakativen, belehrenden Angelegenheit macht. Erst recht, wenn man sich anschaut, auf welche Katastrophe(n) Karls Blogaktivitäten am Ende hinauslaufen.

Karl wird von der verführerischen Doro (Lucie Hollmann) fallengelassen…

Doch selbst wenn man die Botschaft, dass man den Bezug zur Realität nie verlieren sollte, als „zeitlos“ und ja irgendwie auch als nicht gerade falsch abstempelt, verfehlt „Lomo“ bis zum Schluss seine Wirkung. Die hier dargestellten Online-Aktivitäten sind nämlich völlig realitätsfern. Karl als Blogger eine derartige Popularität zuzugestehen, wie sie sonst noch nicht einmal YouTube-Stars erreichen, ist schon an der Realität vorbei. Dass in die entsprechend weitreichenden Folgen von Karls‘ Handeln dann aber nur eine kleine Auswahl an Menschen hineingezogen wird, spricht nicht gerade dafür, dass sich hier zuvor irgendjemand damit auseinandergesetzt hat, wie Social-Media-Plattformen funktionieren. Denn selbst so etwas Harmloses wie eine Schwangerschaft hat der Vlog-Ikone Bibi Heinicke alias Bibis Beautypalace Schlagzeilen in allen erdenklichen Medien eingebracht. Hier besitzt die Hauptfigur angeblich eine ähnlich große Fangemeinde, doch letztlich spielt er für die Welt an sich kaum eine Rolle. „Lomo“ erinnert damit an Filme wie den überhöht inszenierten, satirisch gedachten „Nerve“, der vor einigen Jahren vor dem Mitläufertum im Internet warnte, das zu Challenges und Mutprobenvideos führte. Dabei legten die Macher zwar vorwiegend Wert auf kurzweilige Unterhaltung und eben nicht darauf, was in der Realität möglich wäre, ihr ernstes Anliegen blieb dabei allerdings nicht unverborgen. „Lomo“ dagegen wäre gern das genaue Gegenteil, ist aber weder das Eine, noch das Andere und mit Ausnahme, dass auch hier immer wieder Bildschirme und Videos in die Handlung mit eingebunden werden, erinnert nichts daran, dass dieser Film von heute ist.

Fazit: Das zähe Erzähltempo und die klischeebehaftete Handlung drücken das positive Erscheinungsbild der ansonsten durch und durch modernen Inszenierung weit unters Mittelmaß. „Lomo – The Language of Many Others“ bestätigt den Eindruck, dass das Internet für Filmemacher immer noch Neuland ist.

„Lomo – The Language of Many Others“ ist ab dem 12. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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