Nerve

Henry Joost und Ariel Schulman begannen ihre Regiekarriere mit einer Dokumentation über die Gefahren des World Wide Web. Jetzt treiben sie mit NERVE das virtuelle Geltungsbedürfnis auf die karikatureske Spitze und inszenieren einen High-Tech-Thriller, der die social-media-besessenen Teenies da packt, wo es wehtut. Mehr dazu in meiner Kritik.
Der Plot
Auf Vees (Emma Roberts) Highschool gibt es so gut wie kein anderes Gesprächsthema mehr als die immer riskanter werdenden Challenges, die das illegale Online-Game „Nerve“ seinen Spielern stellt. Um einmal so wie ihre Freundin Sydney im Mittelpunkt zu stehen meldet sich die eher schüchterne Vee kurzentschlossen selbst bei „Nerve“ an. Angetrieben vom Kick des Verbotenen bricht Vee mit ihrem ebenso attraktiven wie mysteriösen neuen Game-Partner Ian (Dave Franco) schnell alle Tabus: keine Challenge ist ihnen zu riskant. Über Nacht werden Vee und Ian die Sensation des immer gefährlicher werdenden Spiels! Doch als Vee herausfindet, dass ihre gesamten Social Media Accounts gehackt wurden, und versucht, aus dem Spiel wieder auszusteigen, muss sie feststellen, dass es dafür längst zu spät ist…
Kritik
„Bist du ein Watcher, oder ein Player?“ Diese Frage müssen die Teens und Twens in Henry Joosts und Ariel Schulmans pulsierendem High-Tech-Thriller erst beantworten, bevor sie an dem Hype ihrer aktuellen Generation mitwirken können. NERVE heißt er – ein Onlinegame, in dem die Grenzen zwischen World Wide Web und Real Life so lange miteinander verschwimmen, bis die Teilnehmer (die Player) und die Zuschauer (die Watcher) nicht mehr wissen, wann aus Spaß bitterer Ernst wird. Das Ganze präsentiert sich als Ansammlung von Mutproben, die von den Watchern an die Player via Smartphone herangetragen werden. Mittendrin: Die kesse Teenagerin Vee, die es mit ihrer Teilnahme an NERVE allen denen beweisen will, die sie für eine Langweilerin halten. Onlinesucht, Gruppenzwang und das virtuelle Geltungsbedürfnis – die beiden Regisseure, die ihre Karriere ausgerechnet mit „Catfish“ begangen – einer Dokumentation über die Gefahren des Internets – treffen mit „Nerve“ den aktuellen Social-Media-Zeitgeist fast schon ein wenig zu genau. Unter Zuhilfenahme brandaktueller Electro-Beats und einer von Neonfarben durchzogenen Bildsprache treiben die „Paranormal Activity 3“-Macher die hochmodernen Thematiken auf eine karikatureske Spitze, die ihrem Film jedwede Subtilität raubt. Gleichzeitig ist die Inszenierung ihres High-Concept-Thrillers damit aber auch exakt auf die Sehgewohnheiten ihres Publikums zugeschnitten, dessen Aufmerksamkeitsspanne heute kürzer ist, denn je. Einen moderneren Film als „Nerve“ wird man dieses Jahr wohl kaum zu sehen bekommen.
Seit der Durchschnittskonsument acht Stunden täglich in den virtuellen Welten des World Wide Web verbringt, haben auch Hollywoodregisseure diese Thematik für sich entdeckt. Im Genrekino hat sich spätestens seit „Unknown User“ ein neuer Trend in Richtung High-Tech-Horror entwickelt, doch gerade unter den jüngeren Zuschauern findet man jene Zielgruppe, die für Derartiges so richtig empfänglich ist. Kein Wunder also, dass Filme wie „#Zeitgeist“ und „Disconnect“ an den Kinokassen untergingen; richteten sich diese doch vornehmlich an eine ältere Generation. Das Duo Joost-Schulman hat das verstanden und baut in „Nerve“ nun ganz und gar auf Teenies als Publikum. Die Hauptfiguren sind Jugendliche, die zwischen High School, Partys und dem drögen Alltag auf der Suche nach sich selbst sind. Schon in der ersten Einstellung wird indes deutlich: Für die Heranwachsenden von heute spielt sich ein Großteil des Lebens im Internet ab. Diese Erkenntnis verstehen die Regisseure zunächst gar nicht als Anklage. Vielmehr ist es ein Hinweis auf sich ändernde Gewohnheiten, neue Schwerpunkte im Leben eines Pubertierenden, aber auch der Verweis darauf, dass wir alle mittlerweile zwei Leben haben. Das Online-Game NERVE soll diese zusammenbringen, was die Macher in einer Szene besonders stark zum Ausdruck bringen, als sich die von Emma Roberts („American Horror Story“) zurückhaltend gespielte Vee für ihre Teilnahme an NERVE entscheidet. Aus der Ego-Perspektive des Computers klickt die Blondine auf den „Player“-Button und kapituliert sich so direkt in die virtuelle Welt des Mutproben-Games. Was anschließend folgt, ist an Plakativität kaum zu übertreffen; wir sehen, wie NERVE sämtliche Online-Daten von Vee sammelt und für sich beansprucht. Zeitgleich geben die Regisseure damit aber auch an zwar wenig subtiles, aber für die Zuschauer visuell ansprechend aufbereitetes Statement in Richtung Datensicherheit ab.
Generell legt Drehbuchautorin Jessica Sharzer („American Horror Story“) nicht das größte Feingefühl in die Ausarbeitung von Szenerie und Figuren. Die Charaktere decken sämtliche Menschentypen ab; von der geltungssüchtigen Zicke über das schüchterne Mauerblümchen bis hin zum coolen Draufgänger bot schon der Roman von Jeanne Ryan nicht mehr Details als die klassischen Schul-Stereotypen. Für die Teenies ist indes immer eine Figur zur Stelle, mit deren Gedanken und Handeln es sich irgendwie identifizieren lässt. Insbesondere das Mutprobenprinzip von NERVE lädt dazu ein, sich selbst die Frage zu stellen, ob man sich unter einen fahrenden Zug legen, einen Fremden küssen oder einem Officer die Waffe klauen würde, um seine Zuschauer glücklich und sich selbst ein Stückchen reicher zu machen. So erweist sich auch tatsächlich der Teil in „Nerve“ am interessantesten, in welchem das Duo aus Emma Roberts und Dave Franco („Die Unfassbaren 2“) von seinen Watchern durch die City geschickt wird; eine Szene, in welcher der blinde Ian auf dem Motorrad von Vee durch den Verkehr Manhattans gelenkt wird, strotzt vor atemberaubender Dynamik und unterstreicht gleichsam die mitunter arg effekthascherische Attitüde des Films. Auf der anderen Seite geraten zwar die Charaktermomente zwischen den beiden zur einem glaubwürdigen Prozess des Verliebens, des Weiteren büßt „Nerve“ immer dann an Drive ein, wenn sich der Thriller den anderen wenigen Figuren widmet. Die von Emily Meade („Money Monster“) nah am Overacting verkörperte Sydney kann so wenig aus ihrer Figur herausholen, das ihr Wandel von Vees bester Freundin zum eifersüchtigen Biest (und zurück) vollkommen unglaubwürdig gerät.
Im Anbetracht der mitunter arg lieblosen Detailarbeit geschieht dann auch, was kommen muss: Obwohl „Nerve“ am Zuschauer regelrecht vorbeirauscht, was der Kurzweil nur zuträglich ist, bleibt als bleibender Eindruck lediglich hängen, dass die Weiten des Internets auch ihre Schattenseiten haben können; eine innovative Message sieht anders aus. Gleichzeitig hat diese sehr klar formulierte Intention der Macher auch ihre positiven Seiten: Als pulsierender Techno-Thriller aufbereitet und nahezu frei von jedweden Längen lässt sich diese simple Botschaft möglicherweise direkt auf Augenhöhe an die Kids herantragen. Darüber hinaus lassen Henry Joost und Ariel Schulman den erhobenen Zeigefinger weitestgehend außen vor, indem sie auf die Anwesenheit von Erwachsenen verzichten und die Teenies ihre Erfahrungen selbst machen müssen. Auch die technische Umsetzung ist ganz dem heutigen Zeitgeist entsprechend. Wenn auch ein wenig aufdringlich, gefällt vor allem der Soundtrack als Ansammlung moderner Electro- und Technobeats sowie die äußerst kontrastreiche, in Neonfarben getränkte Bildsprache. Während sich gewisse logische Ungereimtheiten die meiste Zeit über in einem erträglichen Rahmen halten, provoziert der Schlussakt den Gutwillen des Publikums umso mehr. Ein wenig mehr Geschmack und Anspruch sollte man der Jugend von heute dann doch zutrauen.
Fazit: Trotz unübersehbarer Schwächen in Charakterzeichnung und handlungsbasierender Logik kann man „Nerve“ eines nicht absprechen: Er trifft den aktuellen Social-Media-Zeitgeist besser, als jeder andere Film, der derzeit ebenfalls versucht, die Teens bei ihrer Onlinesucht zu packen. Auch wenn der Thriller gen Ende absolut irrwitzige Wendungen nimmt, die bereits in einem Großteil der Trailer vorweggenommen wurden, besticht der Film mit Kurzweil und seinem hypermodernen Erscheinungsbild. Die Glaubwürdigkeit der Prämisse sollte man jedoch nicht hinterfragen.
„Nerve“ ist ab dem 8. September bundesweit in den Kinos zu sehen.
Darf ich dich als erfahrene Filmguckerin mal fragen, wie du Dave Francos Darbietung in diesem Film fandest?
Klar darfst Du! Wie alle Performances in diesem Film (mit Ausnahme der Darstellerin von Figur Sydney) fand ich die Performances solide aber nicht hervorstechend. Daher bin ich auch nicht extra auf sie eingegangen. Wenn etwas weder positiv, noch negativ daherkommt, lasse ich es im Text oft weg, um mich interessanteren Dingen zu widmen. 🙂 Liebe Grüße