The Florida Project

Nach seinem auf dem iPhone gedrehten Transgender-Drama „Tangerine LA“ legt Regisseur Sean Baker mit THE FLORIDA PROJECT nach und liefert einen Film ab, so zerstörerisch und bittersüß, wie das Leben selbst. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Orlando, Florida: Moonee (Brooklynn Prince) ist erst sechs Jahre alt und hat bereits ein höllisches Temperament. Nur wenige Meilen entfernt vom Eingang zu Disneyworld wächst sie in „The Magic Castle Motel“ an einem vielbefahrenen Highway auf. Ihre frühreifen Streiche scheinen Halley (Bria Vinaite), ihre sehr junge Mutter, kaum zu beunruhigen. Da, wie bei allen Bewohnern des Motels “Magic Castle“, ihre finanzielle Lage nicht gerade rosig ist, ist sie gezwungen, auf mehr oder weniger anständige Weise ihre wilde Tochter und sich selbst durchs Leben zu hieven. Moonee und ihre gleichaltrigen Freunde erklären derweil unter den wachsamen Augen des Motelmanagers Bobby (Willem Dafoe) die Welt um sich herum zu einem großen Abenteuerspielplatz…

Kritik

Bis zu seiner fünften Regiearbeit galt Filmemacher Sean Baker als zwar hoffnungsvolles, bislang jedoch weitestgehend unbeachtetes Indie-Darling. „Tangerine LA“ verhalf ihm endlich zu Gehör. Mit ein Grund dafür: Sein authentisches Transgender-Drama wurde vollständig auf einem iPhone gedreht; zum damaligen Zeitpunkt etwas völlig Neues in der Kinowelt. Mithilfe dieser durch die fehlende Distanz entstehenden Unmittelbarkeit gelang es Baker, eine intime Nähe zu seinen Protagonisten aufzubauen. Ein Vorzug, den sich kürzlich auch Steven Soderbergh zunutze machte, um mit einem Apple-Smartphone seinen leider nur mäßig gelungenen Psychothriller „Unsane – Ausgeliefert“ zu realisieren. Für seinen neuesten Film „The Florida Project“ greift Sean Baker nun wieder auf konventionellere Stilmittel zurück. Und trotzdem gelangt er ähnlich nah an seine Hauptfiguren heran, wie zu Zeiten, als er noch mit dem Handy drehte. In „The Florida Project“ beobachtet er – zumeist aus der Perspektive eines kleinen Mädchens – das Leben einer an den Rand der Gesellschaft gedrängten White-Trash-Community, die in einem billigen Motel haust und sich mehr schlecht als rechts durchs Leben schlägt. Ähnlich wie kürzlich in Angelina Jolies Kriegsdrama „Der weite Weg der Hoffnung“ nimmt auch Baker dafür fast ausschließlich die Sichtweise seiner ganz jungen Protagonistin ein und rückt das Geschehen dadurch mitunter in ein für den Zuschauer kaum greifbares Licht. Es ist eine entrückte Form der Romantik, die uns Sean Baker hier präsentiert, gleichermaßen zerstörerisch wie hoffnungsvoll.

Motelmanager Bobby (Willem Dafoe) ist die gute Seele des Billigmotels, in dem Moonee und ihre Mutter Halley leben.

Thematisch erinnert „The Florida Project“ nicht nur an die intensive Milieustudie „Tangerine LA“ (schließlich steht auch hier die Beobachtung einer eigenen, US-amerikanischen Subkultur im Zentrum des Geschehens), sondern vor allem an Andrea Arnolds in 4:3-Format gedrehtes Coming-of-Age-Drama „American Honey“. Darin entließ die Autorenfilmerin ihren zum Großteil aus Laiendarstellerinnen und -Darstellern bestehenden Cast in ein halbimprovisiertes Szenario, das keinem narrativen Aufbau folgte und nicht einmal im Ansatz so etwas wie eine Spannungskurve besaß. Arnold verstand ihren Film als beobachtende, bisweilen voyeuristische Momentaufnahme. Und genau das ist „The Florida Project auch geworden. Nach wenigen Minuten ist klar, wem die Kamera (Alexis Zabe) hier folgt: Im Fokus stehen die junge Mutter Halley, ihre Tochter Moonee sowie die kleine Gemeinschaft an Mitbewohnerin der Billigabsteige in Florida um sie herum. Die Szenen, die Sean Baker hier aneinanderreiht, erscheinen wie zufällig gefilmt; sie geben einen unaufgeregten, gerade deshalb aber so spannenden, da nie gestellt oder konstruiert wirkenden Einblick in ein Leben weit jenseits des Existenzminimums. Die Mutter raucht und verbringt den Tag vor der Glotze, während sich ihre Tochter gemeinsam mit Gleichaltrigen in und um das Motel bei allerlei derben Spielereien vergnügt. Immer ein Auge auf sie habend: Willem Dafoe („Mord im Orient Express“) in der gutmütigen, für den Oscar in der Kategorie „Bester Nebendarsteller“ nominierten Rolle des Motelbesitzers.

Während der Zuschauer die Ereignisse von außen als genauso zerstörerisch wahrnimmt, wie sie eben sind, sorgt die zwischendurch eingenommene Erzählperspektive aus Sicht der idealistischen Tochter für eine Verzerrung des Weltbildes. In bewusst bunten, fast märchenhaften Farben macht die kleine Moonee aus der Situation schlicht das Beste, sieht in ihrer Mutter bei aller Missachtung trotzdem eine liebende Mama, hält die umliegenden, heruntergekommenen Häuser für aufregende Abenteuerspielplätze und genügt sich als Mitglied ihrer Clique, die schon mal ganz selbstverständlich Fremde um Geld anbetteln, um sich davon einfach nur ein Eis zu kaufen. Der starke Kontrast zwischen Moonees Auffassung eines soliden Lebens und der Erkenntnis, dass die Kleine den Ernst der Lage einfach nicht verstanden hat, sorgen dafür, dass sich mehr als einmal ein gewaltiger Kloß im Hals bemerkbar macht. Schließlich hat Moonee ihrer Auffassung nach alles, was sie braucht und ahnt gar nicht, in was für unmenschlichen Zuständen ihre Mutter haust, die sich ohne Job noch nicht einmal das Geld für die wöchentliche Miete im ohnehin schon spottbilligen Motel leisten kann. Gleichermaßen tragen alle Bewohner der so ironisch „Magic Castle“ betitelten Anlage auch eine gehörige Portion Stolz in sich: Da sind Konflikte vorprogrammiert, wenn sich Niemand eingestehen will, dass das Jugendamt einen guten Grund hätte, jeden Moment auf der Matte zu stehen.

Tochter Moonee (Brooklynn Prince) und ihre Mutter Halley (Bria Vinaite) sind ein echtes Dreamteam.

Vereinzelte, eskalierende Spitzen sind es schließlich, die das Geschehen immer wieder punktuell vorantreiben, wenn die (Nicht-)Handlung droht, aufgrund ihrer fehlenden Stringenz doch einmal hier und da auf der Stelle zu treten. Oft sind es nur kleine, subtile Beobachtungen wie ein plötzlich auftauchender Tourist, der sich einen Tick zu lange bei den spielenden Kindern aufhält und von Motelmanager Bobby mit entsprechender Sorgsamkeit der Anlage verwiesen werden. Solche Szenen, genauso wie regelmäßige Fressabende im Diner, oder die Konfrontation mit einer etwas zu aufdringlichen Nachbarin sind es, die einem das soziale Gefüge in dieser Wohnanlage langsam näherbringen und dem Zuschauer aufzeigen, wie diese Menschen in dieser Gesellschaftsschicht ticken. Dass zwischen ihnen enge emotionale Bindungen bestehen – insbesondere zwischen Moonee und ihrer Mutter Halley – steht dabei völlig außer Frage. Stattdessen wirft Sean Baker, der gemeinsam mit Chris Bergoch („Tangerine LA“) auch das Drehbuch schrieb, vor allem die moralische Frage auf, wie weit weg man sich als Mensch von der gesellschaftlichen Norm wegbewegen kann, ohne dabei seine sozialen Pflichten zu vernachlässigen. Die Newcomerin Brooklynn Prince („Robo-Dog: Airborne“) und Bria Vinaite, die zuvor noch nie in einem Film mitgespielt hat, gehen dabei derart in ihren Rollen auf, dass der dokumentarische Ansatz, den „The Florida Project“ auch ohne iPhone-Gimmick beibehält, noch einmal verstärkt wird.

Fazit: „The Florida Project“ ist nach „Tangerine LA“ die zweite authentische Milieustudie von Sean Baker über eine vergessene Community am Rande der Gesellschaft, die vor allem durch die eingenommene Erzählperspektive der jungen Hauptdarstellerin an Brisanz und Emotionalität gewinnt.

„The Florida Project“ ist ab dem 15. März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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