Heilstätten

YouTuber auf Abwegen – im Horrorthriller HEILSTÄTTEN unternimmt Regisseur Michael David Pate nicht bloß einen Ausflug in eines der gruseligsten Anwesen Berlins, sondern auch die YouTube-Szene aufs Korn. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
In den Heilstätten, einem düsteren Ort in der Nähe von Berlin, wollen die erfolgreichsten YouTuber Deutschlands eine 24-Stunden-Challenge um den Thron austragen. Die Geschichte der Heilstätten ist voller Grauen und Brutalität und noch heute halten sich Berichte um paranormale Aktivitäten von diesem Ort. Ausgerüstet mit Nachtsicht- und Wärmekameras wollen die YouTuber diesen Gerüchten nachgehen. Sie bekommen schnell zu spüren, dass man in diesen angsteinflößenden Ruinen sein Glück besser nicht herausfordert. Doch als sie aussteigen wollen, bemerken sie, dass es dafür längst zu spät ist…
Kritik
Es ist schon eine ziemlich bunte Vita, die der gebürtig aus Heide stammende Regisseur Michael David Pate vorweisen kann. Doch auch, wenn es den „Kartoffelsalat“-Macher nach seinem zweimaligen Ausflug ins Horrorkino zwecks DMAX-Doku erst einmal in die Tiefsee zog, scheint der Filmemacher die Faszination für das Genre nicht verloren zu haben. Schaut man sich seine Langfilmprojekte an, möchte man sogar fast von einer Trilogie über die Gefahren des World Wide Web sprechen: Da ist der solide Facebook-Schocker „Gefällt mir“, gefolgt von dem anstrengenden YouTuber-Fanfilm „Kartoffelsalat“ und nun kommt mit dem Found-Footage-Schocker „Heilstätten“ so etwas wie die Kombination aus beidem daher. Auch diesmal spielen Videoblogger die Hauptrolle, allerdings nur bedingt gespielt von Darstellern, die auch im wirklichen Leben solche sind. Trotzdem geht es auch um die Gefahren sozialer Medien, denn in „Heilstätten“ läuft eine Mutproben-Challenge auf der berühmten Videoplattform aus dem Ruder. Dafür entlässt Pate seine Protagonisten für eine Nacht in das wirklich verdammt gruselige Ambiente einer ehemaligen Lungenklink vor den Toren Berlins, in der – das steht für uns nach der Sichtung des Films außer Frage – es garantiert auch im wahren Leben spukt. Als Gruselfilm solide, funktioniert „Heilstätten“ vor allem durch die vielen satirischen Elemente erstaunlich gut, in denen eine Gesellschaftskritik zum Tragen kommt, die besonders für die anvisierte Influencer-Zielgruppe auf ansprechende Weise dargeboten wird.

Theo (Tim Oliver Schultz) bringt seine Freunde zu den Heilstätten, wo die Mutprobe stattfinden soll.
Eigentlich hat das Found-Footage-Subgenre seinen Zenit längst überschritten. Höchstens im Heimkino sind hier und da noch mit Wackelkamera aufgenommene Filme zu finden, doch wenn selbst große Namen wie etwa das „Blair Witch Project“-Sequel „Blair Witch“ trotz ausgeklügelter Marketingkampagne nicht mehr beim Publikum ankommen, ist es normalerweise Zeit, sich anderen Trends zuzuwenden. Jemand wie Michael David Pate, der das Genre gut genug kennt, um im Interview mit uns direkt eine ganze Handvoll Vorbilder als Inspiration für „Heilstätten“ zu nennen, nutzt das Stilmittel Wackelkamera jedoch nicht von ungefähr. Und so ist sein Film der erste im Genre seit Ewigkeiten, der ohne diesen stilistischen Aufzug gar nicht richtig funktionieren würde. Michael David Pate, der auch das Drehbuch zu „Heilstätten“ mit verfasste, macht sich in seiner Regiearbeit nämlich genau das zunutze, was für die 14- bis 25-jährigen ganz alltäglich ist: Die Videoblogger- und Influencer-Idole lassen ihre Kamera schließlich immer eingeschaltet und halten selbst in hanebüchenen Szenerien voll drauf (aktuelles Beispiel: YouTuber Logan Paul filmte eine sich durch Selbstmord das Leben genommene Leiche und stellte das Video anschließend ins Netz). Auch das Austragen mitunter brandgefährlicher Mutproben hat sich auf YouTube längst etabliert. Pate nutzt nun genau so ein Szenario und zieht es einerseits nach bewährten Horrorfilm-Mechanismen. Auf der anderen Seite ist „Heilstätten“ aber auch ein nachdichtendes Schaulaufen von Karikaturen und wird so zu einer äußerst gut funktionierenden Satire auf das knallharte Vlogger-Business.
In dieser streut Michael David Pate immer wieder gekonnte Momente der Entlarvung ein. Die im Laufe des Films gesammelten Erkenntnisse über sich selbst, das geschichtsträchtige Anwesen und die fragwürdige Arbeitsmoral münden in „Heilstätten“ nämlich in ziemlich schmerzvolle Gewalteruptionen. Die FSK-Freigabe ab 16 hat sich der Film somit redlich verdient und so richtig knackig wird es schließlich, wenn sich in der letzten Viertelstunde zusätzlich die Perversion hinter der ganzen Challenge offenbart. Was genau am Ende von „Heilstätten“ passiert, wollen wir aus Spoilergründen an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Es hinterlässt allerdings einen so bleibenden Eindruck, dass sich an der Idee die Geister scheiden müssen; nicht zuletzt, weil sie zwar abgehoben, letztlich aber doch erschreckend nah an der Realität ist. Pate bringt Einiges an Kritik an unserer Allzeit-Online-Mentalität an und befindet sich damit auf jeden Fall auf der Höhe der Zeit. Und auch stilistisch ist „Heilstätten“ mit seinen extrem schnellen und harten Schnitten sowie diversen Texteinblendungen ganz klar ein Film für die Generation YouTube. Das kann unter Umständen bedeuten, dass er schon in zehn Jahren überhaupt nicht mehr funktioniert. Doch wie das mit Zeitdokumenten immer so ist, wissen wir genau das eben wirklich erst in zehn Jahren.
So ehrlich muss man sein: Gerade für horrorerfahrene Zuschauer gestalten sich die Jumpscares und Schockeffekte, ebenso wie eine Handvoll falscher Fährten in „Heilstätten“ ziemlich vorhersehbar. Alles andere als das ist indes das, was über den klassisch eskalierenden Found-Footage-Überlebenskampf hinaus geht. Wichtig dafür sind die Figuren – und mit denen trifft das Skript voll ins Schwarze; sind sie doch jenen Zeitgenossen nachempfunden, die sich zuhauf auf der Videoplattform tummeln. Nilam Farooq („Mein Blind Date mit dem Leben“), die auch im echten Leben als Vloggerin tätig ist, mimt mit Bettyful den überzeichneten Stereotyp der Beauty-YouTuberin und spielt dabei gekonnt mit dem Klischee der lediglich vordergründig auf innere Werte bedachten, in Wirklichkeit jedoch äußerst oberflächlichen Trendsetterin. Emilio Sakraya („Rock My Heart“) und Timmi Trinks („Allein gegen die Zeit – Der Film“) gefallen als Karikaturen der „Generation Prankster“, die für noch mehr Klicks immer noch einen Schritt weitergehen. Sonja Gerhardt („Deutschland 83“) und Lisa-Marie Koroll („Bibi & Tina“) halten sich im Vergleich ein wenig im Hintergrund, während Tim Oliver Schultz („Die Vampirschwestern 3 – Reise nach Transsilvanien“) lange Zeit als wichtigste Identifikationsfigur für das Publikum fungiert, die an das gute Gewissen der Jugendlichen appelliert. Die Darsteller agieren allesamt äußerst authentisch, doch vor allem die stark improvisierten Dialoge fangen den Duktus der Jugend von heute hervorragend ein. Auch wenn das bedeutet, dass Zuschauer abseits dieser Altersgruppe das ein oder andere Mal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen dürften. Doch genau damit trifft Michael David Pate ja auch wieder nur den Nagel auf den Kopf.
Fazit: Michael David Pates Found-Footage-Horrorfilm „Heilstätten“ ist als Gruselerlebnis solide, funktioniert als Satire auf die YouTube-Branche allerdings noch viel besser.
„Heilstätten“ ist ab dem 22. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.3