Madame

Aschenputtel im Jahr 2017: Regisseurin Amanda Sthers führt in ihrer zweiten Arbeit MADAME eine Haushälterin und einen reichen Geschäftsmann zusammen – das kann nicht gut gehen. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Die Dinnerparty von Societylady Anne (Toni Collette) steht unter keinem guten Stern: Aufgrund des unangekündigten Besuch ihres Stiefsohns (Tom Hughes) gibt es 13 Tischgedecke. Eine Katastrophe für die perfektionistische Hausherrin und ihren geschäftstüchtigen Ehemann Paul (Harvey Keitel). Kurzerhand muss die langjährige Angestellte Maria (Rossy de Palma) als 14. Gast einspringen – und prompt verliebt sich ihr wohlhabender Tischherr, der Kuntsthändler David (Michael Smiley), in sie. Die um ihren Ruf besorgte Anne setzt nun alles daran, das entstandene Chaos ins Gleichgewicht zu bringen – während Maria an ihrer neuen Rolle immer mehr Gefallen findet…

Kritik

Große gesellschaftliche Unterschiede spielten in der Populärkultur schon immer eine Rolle. Angefangen bei „Romeo und Julia“ über „Aschenputtel“ bis hin zu diversen Nicholas-Sparks-Verfilmungen scheinen wir es einfach ungeheuer faszinierend zu finden, wenn sich Jemand aus der sogenannten Oberschicht in eine Person der Unterschicht verguckt. Nun beschreibt Regisseurin Amanda Sthers („Je vais te manquer“) ihre erst zweite Regiearbeit „Madame“ selbst als eine Art „modernes ‚Cinderella‘„, denn in ihrer Geschichte verliebt sich ein gewöhnliches Hausmädchen in einen wohlhabenden Mann der High Society. Sogar ein Schuh spielt eine Rolle, doch hat das in diesem Fall nichts mit dem vermeintlichen Gedanken zu tun, dass der Prinz seine zukünftige Prinzessen anhand ihres Schuhwerks wiedererkennt, sondern offenbart die teils äußerst materialistischen Gedanken der Oberschicht: Hausherrin Anne stellt nämlich fest, dass ihre Angestellte ja schon allein deshalb nicht zu ihrer Klientel gehören könne, weil der Luxusschuhdesigner Manolo Blahnik keine High Heels in ihrer Größe 43 anfertigen würde. Somit rollt die auch für das Drehbuch verantwortliche Amanda Sthers eigentlich nur bewährte Themen auf und entlarvt die Oberschicht dadurch einmal mehr als nach außen hin makellose, nach innen dafür umso hässlichere Gesellschaft, die ihrem materiell unterlegenen Proletariat auf menschlicher Ebene deutlich hinterher hinkt. Doch mit spitzfindigen Beobachtungen und doppelbödigen Dialogen gelingt es ihr, der altbekannten Prämisse genug neue Facetten abzugewinnen, um aus „Madame“ einen kurzweilig-sehenswerten Film zu machen.

Auftritt Maria (Rossy de Palma) – wird sie ihrer neuen Rolle als Dame der Gesellschaft gerecht?

Die 1964 geborene Spanierin Rossy de Palma („Julieta“) entspricht auf den ersten Blick nicht dem von Medien propagierten Schönheitsideal. Trotzdem ist sie völlig zu Recht eine der bestbezahlten, spanischen Schauspielerinnen aktueller Stunde und außerdem die Muse von Pedro Almódovar und dem Modedesigner Jean Paul Gaultier. Schaut man sich ihre Performance in „Madame“ an, steht die Faszination für ihre Person einmal mehr außer Frage: Als von jetzt auf gleich aus ihrem Alltag als Haushaltshilfe gerissene Angestellte, die ganz plötzlich selbst die Privilegien der High Society genießen darf, manövriert sich de Palma in ihrer betonten Unbeholfenheit zwar nah an die Grenze zur Karikatur. Doch ihre eigentlich um keinerlei Aufsehen und Natürlichkeit bemühte Figur der Maria verpackt ihre Unsicherheit so charmant, dass es überhaupt kein Wunder ist, dass die um Haltung bemühte Gesellschaft von der so zwanglos daherkommenden Fremden angetan ist – zumal man ihr ja vorher gesagt hat, dass es sich bei ihr um „eine von ihnen“ handelt. Mit ihrer ehrlichen Art und dem einen oder anderen Schmuddelwitz bringt sie endlich einmal Leben in die Bude. Ein Umstand, der von der stets überkorrekten Anne gar nicht gern gesehen wird. Dabei verwechselt die von einer starken Toni Collette („Im Himmel trägt man hohe Schuhe“) verkörperte Gastgeberin Manieren mit Gepflogenheiten: Auch wenn sich Maria nicht auf Anhieb in die stocksteife Gesellschaft fügt, verhält sie sich nie ungalant. Eine Beobachtung, auf die Amanda Sthers größten Wert legt und auch ihre weitere Handlung aufbaut.

In seiner Konzentration auf nur einen einzigen Schauplatz, gepaart mit der ungeheuren Dynamik, die sich aus den Dialogen entwickelt, stellt die erste halbe Stunde deutlich das stärkste Drittel des Filmes dar. Doch das Kammerspielflair wird nicht aufrecht erhalten; nutzt Sthers den Auftakt doch lediglich, um einzuläuten, worum es ihr wirklich geht: Für sie ist das Dinner nämlich bloß der Auftakt, um das Entlarven von „Aschenputtel“ und Co. als Klein-Mädchen-Fantasie einzuläuten. Die Liebe zwischen Maria und David steht nämlich von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Regisseurin hat es dabei mitnichten auf den simplen Clash zwischen arm und reich abgesehen (so lässt sie etwa bis zuletzt offen, ob David nicht längst hinter die wahre Existenz seiner Angebeteten gekommen ist und auch ein plötzlicher Kontaktabbruch nach einer Finte von Seiten Annes wird nicht näher erklärt); im Gegenteil: Gemeinsame Unternehmungen finden sowohl im Kino um die Ecke statt, als auch auf einem noblen Ferienanwesen unter anderen High-Society-People, und in beiden Fällen haben die äußeren Umstände keinerlei Auswirkungen auf die Harmonie innerhalb des Paares. Stattdessen legt sie das Hauptaugenmerk darauf, wie die sich in ihrer Existenz bedroht sehende Gastgeberin auf die Liebelei reagiert; erkennt diese doch plötzlich, wie einfach es scheint, Teil der Upper Class zu werden.

Hausmädchen Maria arbeitet seit vielen Jahren für Anne Fredericks (Toni Collette)

Toni Collette spielt die Entwicklung von der ehemals so zuvorkommenden Chefin hin zur plötzlich eine ihrer Angestellten diskriminierende Herrin mit abscheulicher Raffinesse. Die Darstellerin setzt nicht auf große Gesten sondern inszeniert den Sinneswandel so subtil, dass man selbst als Zuschauer erst spät erkennt, was für Hintergedanken Collettes Anne hegt. Nach und nach drängt sich der Vergleicht mit „Cinderella“ erneut auf, denn es dauert nicht lange, bis man auch in dieser Anne die böse Stiefmutter Aschenputtels erkennt, die für ihre Stieftochter nichts übrig hat, außer ihre Fähigkeiten als Haushaltshilfe zu nutzen. Als ihre Figur schließlich sogar dazu übergeht, Maria zu erpressen, indem sie sie dazu anhält, den Kontakt zu David zu beenden, um ihren Job nicht zu verlieren, weicht die beiläufig geäußerte Kränkung Annes der Aggression. Besonders erschütternd ist eine fast schon beiläufig inszenierte Szene, in der Marias Kollegen sich selbst und die anderen Hausmädchen ganz selbstverständlich mit Sklaven vergleicht – und sich ihrem Schicksal dabei unaufgeregt fügt. Und schaut man sich ihre Abhängigkeit vom Wohlwollen ihrer Chefin an, ist das letztendlich gar nicht so weit hergeholt. Die Unaufgeregtheit setzt sich bis hin zum äußerst prägnanten (und alles andere als märchenhaften) Ende fort, das den Zuschauer bewusst mit der einen oder anderen offenen Frage zurücklässt. Die bittersüße Note, mit der „Madame“ seine Protagonistin aus den Klauen ihrer Chefin entlässt, muss man schließlich erst einmal schlucken.

Fazit: „Madame“ beginnt als schwarzhumorige Kammerspiel-Komödie über die oberen Zehntausend und mündet anschließend in ein Gesellschaftsdrama, das trotz seiner fortwährend leichtfüßigen Inszenierung nicht die Augen vor der Realität verschließt und sogar auf ein Happy End verzichtet.

„Madame“ ist ab dem 30. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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