Genius

Eine ganz besondere Männerfreundschaft: Schauspieler und Regiedebütant Michael Grandage erzählt in GENIUS die wahre Geschichte eines Nachwuchsschriftstellers nach, der sich mit der Frage auseinandersetzen muss, ob ihm oder seinem Lektor die Ehre des ganz großen Erfolges gebührt. Mehr dazu in meiner Kritik.
Der Plot
Neue Worte, radikale Ideen – für Lektor Maxwell Perkins (Colin Firth) ist klar, was einen grandiosen Roman ausmacht: Im New York der 1920er Jahre nimmt er gegen alle Widerstände seines Verlagshauses „Scribner’s Sons“ noch unbekannte aber höchst talentierte Autoren wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald erstmals unter Vertrag. Als der junge Thomas Wolfe (Jude Law) mit einer losen, tausendseitigen Blättersammlung in Perkins‘ Büro auftaucht, sagt ihm sein Instinkt sofort: Hinter diesem Chaos verbirgt sich ein literarisches Genie! Perkins versucht, die überschäumenden Texte des exzentrischen Künstlers zu bändigen, Lektor und Autor kämpfen um jede Formulierung. Es entsteht eine Freundschaft, die sowohl Wolfes Geliebte Aline (Nicole Kidman), als auch Perkins‘ Ehefrau Louise (Laura Linney) eifersüchtig macht und ihre Geduld strapaziert. Dabei gerät Perkins selbst in den Bann von Wolfes faszinierendem Geist. Als der Roman „Schau heimwärts, Engel“ dann tatsächlich ein durchschlagender Erfolg wird, verändert sich die Freude des Schriftstellers jedoch in eine böse Paranoia: Ist es wirklich sein Buch, das die Begeisterungsstürme der Kritiker auslöst? Oder hofiert die Presse statt dessen Perkins‘ „untrügliches Gespür“ für das Neue?
Kritik
„Die Tausend Seiten einer Freundschaft“ hat man sich hierzulande als Untertitel für Michael Grandages Debütfilm „Genius“ ausgesucht. Das klingt sperrig und lang, dabei ist das Biopic des von 1900 bis 1938 in den USA ansässigen Autors Thomas Wolfe gerade einmal 104 Minuten lang. Dass es Drehbuchautor John Logan („James Bond 007: Spectre“) gelungen ist, die dieser Geschichte zugrunde liegende Buchvorlage von A. Scott Berg ähnlich einzukürzen, wie Maxwell Perkins die Romane seines Schützlings Thomas Wolfe, spiegelt in gewisser Weise einen elementaren Handlungspunkt des Filmes wieder; auch in „Genius“ geht es darum, dass zwei Männer unabhängig voneinander an ein und derselben Schriftvorlage rumwerkeln. In der Realität wurde Scott Bergs Buch von John Logan auf Leinwandtauglichkeit zurechtgestutzt, im Film selbst ist es der erfolgreiche Lektor Perkins, der die Werke seines Schützlings auf veröffentlichungstauglich trimmt. Doch während Wolfe durch die Unterstützung seines Mentors und Freundes zu Weltruhm gelangte, bleibt der ganz große Erfolg dieses Biopics bisher aus. Auf der Berlinale erntete der Film verhaltenes Lob, in den USA kam die Produktion nicht über den Status „ferner liefen“ hinaus und auf einschlägigen Bewertungsportalen erhielt „Genius“ nicht mehr als Durchschnittswertungen. Was hat John Logan hier also falsch gemacht, was Maxwell Perkins zu seiner Zeit so hervorragend gelungen ist; ist die Biographie, auf dem der Film basiert, doch weitaus erfolgreicher als die dazugehörige Verfilmung.
Eigentlich hat „Genius“ alles, womit sich – gerade in der Filmaward-Saison – gut auftrumpfen lässt. In den Hauptrollen eine Handvoll erstklassiger Hollywood-Charaktermimen, eine auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte über die Wertigkeit künstlerischen Schaffens, erstklassige Dialoge und eine feine, technische Ausarbeitung; auf dem Papier wirkt das Drama wie prädestiniert für Oscar, Golden Globe und Co. Gleichzeitig ist das Thema Schriftstellerei hier mit weitaus mehr Facetten ausgestattet, als es das Durchschnittsdrama normalerweise zulässt. Der Autor Thomas Wolfe hat nicht etwa vornehmlich mit Schreibblockaden, Alkoholproblemen oder Misserfolgen zu kämpfen, sondern muss sich in erster Linie damit auseinander setzen, wie seine Vision vom literarischen Werk mit den Vorstellungen des potenziellen Lesers genug einhergehen kann, sodass sich Wolfe nicht selbst verleugnet und den umworbenen Buchkäufer mit verqueren Wortschöpfungen respektive einer schier erschlagenen Masse an Seiten gleichsam nicht vor den Kopf stößt. Dieser Prozess des Auslotens von Kompromissen nimmt in „Genius“ eine große Zeit in Anspruch, die zugleich als Triebfeder für die sich sukzessive entwickelnde Freundschaft zwischen den beiden Männern fungiert. Doch was sich im Entstehungsprozess von Wolfes Roman schnell abzeichnet, soll sich im persönlichen Verhältnis von Mentor und Schützling fortsetzen; es geht um Machtverhältnisse, um gegenseitige Zugeständnisse, aber auch um das Durchsetzen des eigenen Willens. So lässt sich das Werk Wolfes als Sinnbild seiner Freundschaft zu Perkins verstehen: Nur, wenn beide am selben Strang ziehen, kann das Buch sein volles Potenzial entfalten.
Die Erkenntnis Wolfes, dass er dafür möglicherweise mehr Kompromisse eingehen muss, als sein Lektor, läutet gleichsam die zweite Hälfte des Filmes ein, in dem das Ringen um richtiges Vokabular und die grammatikalische Kriegsführung nach und nach in den Hintergrund rückt, was „Genius“ viel seiner vorab aufgebauten Dynamik raubt. Fortan rücken die persönlichen Umstände der Protagonisten in den Fokus und Michael Grandage verlässt nach und nach die kreativen Bahnen, um sich in Richtung Konvention zu bewegen. Das Skript beginnt, sich im Kreis zu drehen und befasst sich von nun an nicht bloß verstärkt mit Perkins‘ und Wolfes Ehefrauen, die durch den anspruchsvollen Schreibprozess vernachlässigt wurden, auch die abwechselnd äußerst ehrgeizige, dann wiederum selbstzerstörerische Attitüde von Wolfe wiederholt sich und ist irgendwann nicht mehr dazu in der Lage, seinen Charakter um neue Facetten zu erweitern. Es liegt auf der Hand, wo „Genius“ hin möchte. Selbst die eingangs noch so neutrale Sicht auf die Arbeitsweisen der beiden Männer weicht mehr und mehr dem erhobenen Zeigefinger in Richtung Autor, bis schließlich dann auch er mit genau dem zu kämpfen hat, was John Logan vorher noch so angenehm unkommentiert ließ; letztlich ist auch „Genius“ wieder nur eine Geschichte um einen trinkenden, blockierten, aufbrausenden Schriftsteller.
Unterhaltsam ist all das dennoch, wozu nicht zuletzt die beiden Hauptdarsteller beitragen. Wenngleich man sowohl bei Jude Law („Spy – Susan Cooper Undercover“) als auch bei Firth („Kingsman: The Secret Service“) den Eindruck hat, im Gründe würden beide wieder nur sich selbst spielen, fügt sich ihr naturgegebenes Auftreten gut in den Kontext. Law gefällt in seiner unterschwellig exzentrischen Art, während sich Firth wohl nie ganz von seinem britisch-eleganten Duktus loslösen kann. Doch beide Performances passen letztlich gut in die Dekade zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der die Filmhandlung angesiedelt ist. Nicole Kidman („Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“) bleibt als verzweifelte Wolfe-Gattin lange Zeit blass, bis sie – zu ihrer Rolle der alternden Schauspieldiva passend – endlich kontextgemäß overacten darf; eine der besten Szenen des gesamten Films. Laura Linney („Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“) hat als Ehefrau von Maxwell Perkins hingegen zu wenig Screentime, um „Genius“ eine eigene Note zu geben. So ist es schon ganz gut, dass Jude Law und Collin Firth den Großteil des Films allein bestreiten. Den beiden beim Ringen um die richtigen Formulierungen und zeitgleich um ihre tiefe Freundschaft zuzusehen, ist tragisch und komisch zugleich und auf jeden Fall aber voller Kraft.
Fazit: „Genius“ entwickelt sich von einem spritzigen Gefecht zwischen Autor und Lektor zu einem weitestgehend standardisierten Künstlerporträt, das technisch gefällt, mit guten Darstellern überzeugen kann, dem aber das Besondere fehlt.
„Genius“ ist ab dem 11. August in den deutschen Kinos zu sehen.