Disconnect

Mit seinem Episodendrama DISCONNECT liefert Spielfilmdebütant Henry Alex Rubin eine packende Sozialstudie vor brandaktuellem Hintergrund. Dabei überlässt er das Drehbuch einem namhaften Cast, der mit kleinen Gesten große Emotionen erzeugt. Ein Jammer, dass dieser Streifen hierzulande unterging. In meiner Kritik zum Film erfahrt ihr Genaueres.
Der Plot
Der erfolgreiche Anwalt Rich Boyd (Jason Bateman) lebt für seinen Beruf. Das Smartphone ist zu seinem ständigen Begleiter geworden. Dabei übersieht er, dass das Leben seines Sohnes Ben (Jonah Bobo) langsam aus den Fugen gerät. Erst recht, als sich seine Internetbekanntschaft als böser Streich von Mitschülern entpuppt. Es kommt zum Eklat… Das Ehepaar Derek (Alexander Skarsgård) und Cindy Hull (Paula Patton) hat sich nach dem Tod des gemeinsamen Kindes auseinandergelebt. Und es kommt noch schlimmer: Als ihr Konto leer ist, wird ihnen klar, dass sie Internetbetrügern auf den Leim gegangen sind. Unter den kritischen Augen seiner Frau begibt sich Derek auf einen alleinigen Rachefeldzug… Die ehrgeizige Jung-Journalistin Nina (Andrea Riseborough) plant eine Enthüllungsstory über einen Online-Porno-Ring. Sie nimmt Kontakt zum minderjährigen Kyle (Max Thieriot) auf. Zunächst fassen beide Vertrauen zueinander. Doch was als Recherchearbeit begonnen hat, erweist sich schnell als ein gefährliches Netz aus Lügen und Gewalt…
Kritik
Vor allem hierzulande sind die allgemeingeltenden Gefahren des Internets ein gern genommenes Streitthema diverser Journalisten. Markus Lanz, Anne Will, Günther Jauch: Sie alle scheinen die Erfindung des World Wide Web so schnell wie möglich wieder rückgängig machen zu wollen, wenn man ihren Kommentaren auf dem Parkett deutscher Polittalkshows Glauben schenkt. Facebook beraubt uns unser aller Privatsphäre und Twitter stellt mindestens einmal am Tag den Teufel in Person. Doch nicht die Bekundung, vor dem Internet einen gewissen Respekt an den Tag zu legen, ist an dieser Stelle das Problem, sondern die Verallgemeinerung der Umstände. Selbstverständlich ist Internetkriminalität ein allgegenwertiges Problem und natürlich sollte man mit wachsamen Augen surfen. Das Wissen darum scheint jedoch niemanden daran zu hindern, weiterhin möglichst hochtrabend vor dem World Wide Web zu warnen. Dokufilmer und Regieassistent Henry Alex Rubin („Durchgeknallt“) nutzt die Prämisse Internetkriminalität für die Inszenierung seines Episodendramas „Disconnect“. Dabei haben weder seine Dialoge, noch die Filmgestaltung etwas von den belehrenden Worten unserer Lieblings-Talkmaster. Ohne erhobenen Zeigerfinger, dafür von einer beeindruckenden Intensität kreiert Rubin einen packenden Nischenfilm, der ohne eine Lobby aufbauen zu können im Kino unterging.

Bei der Familie Boyd dominiert das Smartphone den Alltag.
Kreditkartenbetrug, Internetmobbing und falsche Identitäten bilden die Storygrundlage für eine verstörend realistische Gegenwartsstudie, die uns Filmemacher Henry Alex Rubin mit seinem ersten Langspielfilm „Disconnect“ präsentiert. Zurückgreifen kann er dabei auf einen Cast, der für die Ausmaße dieses recht übersichtlich gehaltenen Films beachtlich und sicherlich auch der Qualität des überzeugenden Drehbuchs geschuldet ist. Andrew Stern, der hier sein Leinwanddebüt gibt, verwebt in „Disconnect“ mehrere Handlungsstränge zu einem großen Ganzen und achtet dabei sowohl auf eine rhythmische Erzählstruktur, als auch darauf, eine allgegenwärtig gedrückte Atmosphäre an den Tag zu legen. Die einzelnen Storys, deren inszenatorische Dichte für sich allein stehend jeweils auch einen einzelnen Film tragen könnte, beobachten das Seelenleben ihrer Protagonisten ganz genau und entfalten dabei eine immense Wucht, die sich schnell in das Gehirn der Zuschauer einbrennt. Dabei ist das Publikum ebenso wenig vor krassen Wendungen gefeit, wie vor pessimistischen Schicksalen oder einem steten Realismus folgenden Plot. Das macht „Disconnect“ unweigerlich zu einem Nischenfilm, dessen Zielgruppe sich ganz weit weg vom Hollywood-Blockbuster befindet, allerdings auch zu einem echten Geheimtipp für alle Arthouse-Fans.
Der vornehmlich im Komödien-Genre anzutreffende Jason Bateman („Wie ausgewechselt“) nimmt in „Disconnect“ die Rolle eines gestressten Anwalts ein, der auf sehr mitfühlende Weise den Bezug zur Realität innerhalb seiner Familie verliert und erst durch einen dramatischen Zwischenfall wieder ein Gefühl für das Wesentliche bekommt. Seine Aussage „Alles was mir wichtig ist, befindet sich in diesen vier Wänden.“ steht dabei stellvertretend für seine an den Tag gelegten Emotionen und vor allem im krassen Kontrast zu der permanent aufs Smartphone fokussierten Figur, die er zu Beginn noch verkörpert. Überhaupt stellt seine Episode den stärksten Vertreter und kann mit beachtlichen Darstellerleistungen auftrumpfen, was vor allem für die das Geschehen dominierenden Jungdarsteller gilt. Der durch „Supernatural“ und „Under the Dome“ bekannt gewordene Colin Ford brilliert als heranwachsender Proll, der mit sich und seiner Umwelt hadert und die fehlende Liebe aus dem Elternhaus damit ausgleicht, seine Mitschüler fertigzumachen. Dabei ist der innere Zwiespalt seiner Figur so fein herausgearbeitet, dass seine Charakterisierung sowie die herausragend emotionale Spielweise Fords dazu beitragen, dass der Zuschauer mit dem Richter in sich mehr als einmal in die Bredouille gerät. Jonah Bobo („Crazy, Stupid, Love“) gibt den Außenseiter ohne viel Drama, dafür mit dem Mut, vor der Kamera blankzuziehen – seelisch, aber auch im wahrsten Sinne des Wortes. Max Thieriot kann nach seiner verpatzten Darbietung im missratenen Horrorthriller „House at the End of the Street“ endlich wieder brillieren und verkörpert den Callboy Kyle, der unter seiner oberflächlich selbstbewussten Schale einen sensiblen Kern versteckt. Ganz ohne Klischees zu bedienen und auf Stereotypen zurückzugreifen, mimt er diese anspruchsvolle Figur auf eine authentische Weise und überzeugt vor allem im Zusammenspiel mit Andrea Riseborough („Oblivion“) als toughe Reporterin, die mit der Zeit immer mehr zu einer Ermittlerin in einem Kriminalfall wird. Alexander Skarsgård („Melancholia“) und Paula Patton („Mission Impossible: Phantom Protokoll“) stehen derweil im Mittelpunkt der unauffälligsten, vielleicht aber sogar eindringlichsten Episode, die sich mit dem Wirtschaftssektor des Internets auseinandersetzt und dabei das Seelenleben der Opfer am intensivsten hervorkehrt. Die Qualität der Dialoge ist herausragend; zudem lädt das Schicksal des Ehepaares Derek wohl am ehesten zur Identifikation ein.
„Disconnect“ steht und fällt mit dem Ensemble. Erst die auf den Punkt gecasteten Darsteller hauchen dem anspruchsvollen Skript Leben ein. Doch auch die technischen Aspekte sind Teil dieses akribisch inszenierten Dramas, das visuell an „L.A. Crash“ erinnert und dessen Plotentwicklungen deutlich thrillerinspiriert sind. Kameramann Ken Sang, der sich mit „Project X“ und „Quarantäne“ vermehrt dem Found-Footage-Stil widmete, liefert elegante, sehr düstere Bilder, die zwar eine melancholische Stimmung versprühen, dabei jedoch keine Meinung – etwa die eingangs erwähnte Ansicht vieler zum Internet – vorgeben. Im Stil eines Film Noir bewegt sich Sang beobachtend, vor allem in der Episode im Max Thieriot, fast schon voyeuristisch durch die Szenerie und trifft den Nagel damit auf den Kopf. Dabei verzichten die Macher in allen Belangen auf eine visuelle Darstellung des Internets selbst. „Disconnect“ ist kein Film über das Internet, sondern nutzt das World Wide Web lediglich als Rahmenbedingung für die Darstellung mehrerer Einzelschicksale. Dass der Film hierzulande nicht einmal hunderttausend Besucher zum Lösen eines Kinotickets überzeugen konnte, liegt wohl an dem missratenen Marketing: Mit einer Kopienanzahl von lediglich 31 und einem damit einhergehenden Eröffnungsergebnis von 4.797 Besuchern am ersten Wochenende, hatte der Streifen hierzulande gar keine Gelegenheit, sich eine Fanbase aufzubauen. Trotz der durchgehend positiven Kritiken, die hierzulande gar noch besser ausfielen als in Übersee, verbuchte man „Disconnect“ als wenig erfolgversprechenden Titel. Schade, dass der Streifen sich so wohl ausschließlich auf ein Fachpublikum sowie Mund-zu-Mund-Propaganda verlassen muss.
Fazit: „Disconnect“ entpuppt sich als der Geheimtipp des Kinojahres. Beginnend von Alwonations eindringlich pulsierendem Eröffnungssong „Sail“ über einen überragenden Cast bis hin zu drei packenden Finals kreiert Henry Alex Rubin ein an den klassischen Film Noir angelehntes Thrillerdrama der alten Schule und setzt mit seiner Thematik moderne Akzente. Packend, emotional und verdammt gut aussehend.