Chernobyl Diaries

Halloween steht vor der Tür und wer nicht zum wiederholten Male auf die angestaubten Klassiker zurückgreifen möchte, der steht wohl die Tage vorm DVD-Regal, auf der Suche nach neuem Erschreckmaterial. Pünktlich zum Fest bringen einige Verleiher Neuheiten auf den Markt. Darunter natürlich auch neue Wackelkamerabilder. Diesmal frisch eingetroffen aus Pripyat, einer Stadt, nahe Tschernobyl. Genauer der Stadt, die durch die Reaktorkatastrophe im Jahr 1986 zu trauriger Berühmtheit gelangte.
Der Plot
Nathalie und Chris, beide glücklich verliebt, sind gemeinsam mit der frisch getrennten Amanda auf Europa-Tour. Auf dem Weg Richtung Moskau treffen sich die drei mit Chris‘ Bruder Paul, der vorab andere Pläne geschmiedet hat. Gemeinsam mit seinen Freunden, einem weiteren Rucksacktouristen-Pärchen und dem obskuren Touristenführer Uri macht er sich auf zu einer Extrem-Tour durch die Stadt Pripyat, ganz in der Nähe des zerstörten Reaktors von Tschernobyl. Hier sei es – so Uri – sicher. In einem alten Bus fährt die Truppe durch die verlassene Stadt, lässt sich vor den maroden Gebäuden fotografieren und macht Bekanntschaft mit tollwütigen Hunden und verwilderten Bären. Als es langsam dunkel wird und die Gruppe den Heimweg antritt, muss sie mit Entsetzen feststellen, dass an den Bus-Kabeln manipuliert wurde. Die sechs sitzen fest und Uri macht sich in die Nacht auf, Hilfe zu suchen. Als dieser nicht zurückkehrt und die Verbliebenen von streunenden Hunden attackiert werden, machen auch sie sich auf, in der Dunkelheit nach Zivilisation zu suchen. Doch diese Idee entpuppt sich schnell als tödlich – denn sicher ist hier gar nichts!
„Sie folgen uns nicht. Sie jagen uns!“
Kritik
Nachdem das „Blair Witch Project“ Ende der Neunziger bewies, wie wenig Aufwand es benötigt, um das Publikum in Angst und Schrecken zu versetzen, brauchte es eine Zeit, bis aus diesem ersten Schritt ein Trend wurde. Franchises wie „Rec“ oder die „Paranormal Activity“-Reihe machten das Found Footage-Genre salonfähig und da sich die Produktion derartiger Filme als ungeheuer rentabel entpuppte, beanspruchten schnell immer mehr Filmemacher dieses Subgenre für sich. Kein Wunder: Ist er in der Produktion doch derart günstig, dass schon verhältnismäßig geringe Einspielergebnisse oftmals zufriedenstellend sind und ein Vielfaches der Produktionskosten wiedereinspielen.
Oren Peli, Regisseur des ersten und Produzent aller „Paranormal Activity“-Teile, bewegte sich auch mit „Chernobyl Diaries“ nicht weit von seiner augenscheinlichen Passion für verwackelte Kamerabilder weg. Zu groß muss die Faszination für diese Filmsparte sein und zu verlockend der (wirtschaftliche) Reiz. So dürfen also auch in seinem neusten Streifen, welchen er produzierte und mit welchem Bradley Parker sein Regie-Debüt feierte, erneut semiprofessionelle Darsteller auf hektisch-verwackelten Bildern begutachtet werden. Keine Musik, keine perfekte Ausleuchtung, keine teuren Kulissen – Atmosphäre mag dennoch entstehen. Denn die Grundidee, mit welcher „Chernobyl Diaries“ vor allem in der ersten Hälfte seiner Laufzeit spielt, ist eine gute. Das Setting der verlassenen Stadt Pripyat wurde zum Großteil in stilvoll-unterkühlten, durchaus morbiden und dabei eingängigen Bildern eingefangen. Obwohl der Streifen nicht an Originalschauplätzen gedreht wurde, zählt vor allem die Authentizität, die die Bilder ausstrahlen, zu seinen großen Pluspunkten. Gerade in diesem Aspekt beweist sich der Nutzen, den die Found-Footage-Machart bergen kann. Denn dank fehlender Perfektion üben die durch und durch realistischen Bilder einen umso erschreckenderen Reiz aus.
Die Fähgkeit einen Reiz auszuüben, sucht man beim Großteil der ohnehin rar gesäten Darsteller leider vergebens. Wenngleich der Genrefan die obligatorische Gruppenzusammenstellung mittlerweile im Schlaf aufsagen kann, so enttäuscht sie in „Chernobyl Diaries“ dennoch. Vor allem, da die Macher aus der eigentlich bunt durchgemischten Gruppe nicht viel herausholten. Die Interaktion der Charaktere untereinander bleibt zumeist unterkühlt und beläuft sich auf ein Mindestmaß an Kommunikation. So etwas wie Nähe zu den Figuren mag während des gesamten Films nicht aufkommen. Dennoch ist man weit davon entfernt, ihr Handeln und ihr Schicksal gleichgültig zu finden. Denn „Chernobyl Diaries“ ist wohl ein Paradebeispiel dafür, wie Filmemacher die Schwächen eines Streifens mit seinen Stärken aufwiegen können.
Den Machern gelang durch kleinste Mittel die Schöpfung beklemmender Spannung. Quälend lange Einstellungen lassen den Zuschauer konsequent auf den kommenden Schockmoment warten, der durch punktgenaue Platzierung schließlich doch unvorbereitet eintritt. Denn anstatt den Schrecken genau dort unterzubringen, wo man ihn vermutet, waren die Macher hier konsequent darin, inkonsequent zu sein und sich nicht darum zu scheren, wo der „Jump-off-the-Seat“-Moment hingehört. Dies hat zur Folge, dass man nur allzu oft denkt, eine spannende Passage überstanden zu haben, nur um wenig später doch noch den finalen Schrecken zu erfahren. Vor allem die Szenerien bei Nacht tragen viel dazu bei, dass das Publikum sich in der Dunkelheit unwohl fühlt. Hier ein Schatten, dort ein Geräusch – und Dank der Handkameraoptik weiß es immer genau so viel wie die Protagonisten auch. Leider muss die stetig aufgebaute, ungreifbare Bedrohung gen Ende schlichter Action und hysterischem Gekreische weichen, was gerade auf verwackelten Bildern schnell an den Nerven des Zuschauers zehren kann.
Leider ist es vor allem der Found Footage-Look, der dem Streifen viel an Glaubwürdigkeit nimmt. Bereits die Tatsache, dass nicht (mehr) darauf hingewiesen wird, bei dem Bildmaterial handele es sich um gefundenes, sollte den geneigte Zuschauer stutzig werden lassen. Zwar zieht dieser Hinweis heutzutage bei niemandem mehr, eignet sich daher nicht einmal mehr als PR-Gag, dennoch ist er fast notwendig, um zu rechtfertigen, weshalb die Wahl auf die Wackelkamera-Machart fiel. Im Fall von „Chernobyl Diaries“ wirkt sie schlussendlich vollkommen deplatziert, da konsequent darauf verzichtet wird, sie in das Geschehen zu integrieren. So bleibt man im Unklaren, wer denn nun der Kameraführer ist, weshalb permanent draufgehalten wird und vor allem die Umstände der Schlusssequenz erlauben den Einsatz der Handkamera schlichtweg nicht. So profitiert zwar die Optik des Streifens vom Found Footage-Trend, Konsequenz, Logik und Glaubwürdigkeit des Plots kranken an ihm jedoch gehörig.
Fazit: „Chernobyl Diaries“ ist über weite Strecken nervenzehrend-spannendes Horrorkino, das dank des realistischen Settings originell und umso spannender daherkommt. Leider stört der unbedacht eingesetzte Wackelkamera-Stil den Gesamteindruck gehörig, wenn man anhand dessen Logik und Konsequenz ein wenig näher betrachtet. Dennoch lohnt sich ein Reinschauen – vor allem zu Halloween!
Found Footage in High Definition? Wem’s gefällt… unsinnig ist es aber ohne Zweifel. Daher von mir eine DVD-Empfehlung und ein Verweis auf das Bonusmaterial, das mit einem unfreiwillig komischen „Verschwörungsvideo“ auftrumpfen kann.