Malcolm & Marie

Diesem Filmemacher lässt sich nicht so leicht in die Karten blicken: Nachdem er in seiner aufwühlenden Thrillergroteske „Assassination Nation“ mit dem Internetmob abrechnete, liefert er mit dem in edlem Schwarz-weiß gehaltenen Kammerspiel MALCOLM & MARIE nun ein größtmöglich reduziertes Streit-Liebesdrama ab, das jedoch nicht minder bissig ausfällt. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Malcolm & Marie (USA 2021)

Der Plot

Der arg von sich selbst überzeugte Regisseur Malcolm (John David Washington) und seine Partnerin Marie (Zendaya) kommen eines Abends nach einer rauschenden Filmpremiere nach Hause. Malcolm ist seelig: Presse und Publikum haben Malcolms neuestes Werk, einen Film über eine drogenabhängige Afroamerikanerin, frenetisch gefeiert und ihm scheint großer Erfolg ins Haus zu stehen. Doch der Abend nimmt eine plötzliche Wende, als Marie ihrem Partner ihre Enttäuschung offenbart: Malcolm hat Marie vergessen, in der Dankesrede zu erwähnen – ein Faux Pas, den die junge Frau nicht so einfach vergessen kann. Daraufhin kommen Offenbarungen über die Beziehung der beiden ans Tageslicht, die deren Liebe auf eine harte Probe stellen.

Kritik

Autor und Regisseur Sam Levinson („Assassination Nation“) dürfte sich dieser Tage kaum ernsthaft darüber wundern, dass nicht nur in seinem neuesten Werk „Malcolm & Marie“ viel gestritten wird, sondern auch außerhalb davon – genauer: in der Presse. Die bekommt von dem 36-jährigen Filmemacher nämlich mächtig auf den Deckel. So zumindest die Quintessenz, wenn man sich die vielen Vorab-Kritiken aus Übersee anschaut. Dort kam es kurz nach der Bereitstellung für die berichterstattende Journaille zu einem regelrechten Shitstorm. Der Grund: die Art und Weise, wie sich der von „Tenet“-Star John David Washington verkörperte Protagonist – im Film ein aufstrebender Regisseur – über die Medien, insbesondere die Kritikerinnen und Kritiker echauffiert. Namen großer Tageszeitungen und Onlineportale fallen und in einem Fall wird Washington respektive Levinson in seinem Skript sogar besonders deutlich, wenn er sich „die Weiße von der L.A. Times“ als ultimatives Feindbild seines Hasses aussucht. Berücksichtigt man auch noch, dass Sam Levinson von der Los-Angeles-Times-Kritikerin Katie Walsh einst für sein Vorwerk „Assassination Nation“ schwer gerügt wurde (sie nannte es „einen verpatzten Versuch eines sozialen Kommentars“), liegt die Vermutung nahe, Levinson hätte sich hier tatsächlich persönlich an der schreibenden Kollegschaft abgearbeitet. Doch spätestens, wenn man registriert, dass sich Malcolm in „Malcolm & Marie“ nicht über eine negative Besprechung seines Filmes echauffiert, sondern über eine positive, wird klar: Ganz so einfach sind die Positionen hier doch nicht verteilt; und die Reduktion des Films auf sein Dasein als Kritiker:innen-Abrechnungsfilm viel zu kurz gegriffen.

Zwischen den hochkochenden Streits kommt es zwischen Malcolm (John David Washington) und Marie (Zendaya) zur Annäherung.

Zählt man sämtliche Szenen in „Malcolm & Marie“ zusammen, die davon handeln, dass sich Malcolm in irgendeiner Art und Weise über die Kritiker:innen mokiert, kommt man auf gerade einmal zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten in einem 106-minütigen Film – da liegen die Prioritäten offenkundig woanders. Nämlich auf der Interaktion zwischen „Greatest Showman“-Star Zendaya und Denzel-Washington-Spross John David Washington, die sich hier ein zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen zärtliches wie hochexplosives Streitgespräch liefern, das innerhalb seiner 106 Minuten mehrmals abkühlt und anschließend wieder eskaliert. Man könnte es auf den ersten Blick für forciert halten, ein kammerspielartiges Streitdrama über knapp zwei Stunden aufzuziehen; immerhin droht die Gefahr, dass sich die Figuren über eine solch lange Dauer – der Film spielt bis kurz vor Schluss in Echtzeit – irgendwann argumentativ im Kreis drehen. Dem entgegenzuwirken, indem man als Autor Dialoge entwirft, die innerhalb dieser Streitatmosphäre für den Plot (ergo: den Streit) antreibende Impulse sorgen, ohne die Figuren wahlweise ins lächerlich Streitsuchende oder ins unnötig Devote kippen zu lassen, ist eine große Kunst. Kunst, die in diesem Fall von dem Hauptdarsteller:innenduo ausgeht. Zendaya mimt die offensichtlich gekränkte, unter dieser Kränkung jedoch viele impulsiv an die Oberfläche drängende Facetten verbergende Freundin eines im Rampenlicht stehenden Filmemachers, der die ganz große Karriere selbst verwehrt blieb. Sie ist nicht neidisch, erwartet aber die Anerkennung, die ihr zusteht. Ein Charakterzug, der ihre Marie als selbstbewusste Zeitgenossin etabliert – und dem sie im Laufe des Films mehr als einmal eine verletzliche, unsichere und zutiefst depressive Seite gegenüberstellt. Zendayas Marie ist ein hochkomplexer Charakter. Ihre sprunghafte Art der Argumentation und des Streitens nicht in eine unentschlossen-widersprüchliche Attitüde kippen zu lassen, ist dem darstellerischen Fingerspitzengefühl der Mimin geschuldet. Eine Oscar-Nominierung dürfte in greifbarer Nähe sein.

„Zendayas Marie ist ein hochkomplexer Charakter. Und ihre sprunghafte Art der Argumentation und des Streitens nicht in eine unentschlossen-widersprüchliche Attitüde kippen zu lassen, ist dem darstellerischen Fingerspitzengefühl dieser Mimin geschuldet. Eine Oscar-Nominierung dürfte in greifbarer Nähe sein.“

Ihr eine ganz und gar konträre Figur gegenüberzustellen, hätte möglicherweise für noch mehr Reibungspunkte gesorgt, allerdings den reizvollen Kern in „Malcom & Marie“ unterdrückt: Das permanent auf Augenhöhe stattfindende Streitgespräch ist nicht nur von der gegenseitigen Kritik am jeweils anderen geprägt, sondern erst recht von der zwischendrin immer wieder hervorblitzenden Zuneigung, von den Momenten, in denen Malcolm und Marie in dieselbe Richtung blicken und es dadurch umso schmerzhafter ist, wenn sich abzeichnet, dass diese Ansammlung von Konflikten selbst eine solch eng verbundene Einheit auseinanderreißen kann. Dabei sind die angesprochenen Wertschätzungsdefizite beider Parteien kein oberflächlicher Konflikt, sondern ein tief verwurzeltes Problem, das den gegenseitigen Respekt voreinander massiv infrage stellt. Gleichsam kann eine derart intensive Auseinandersetzung wie diese hier nur dann emotional aufwühlen, wenn eine Basis geschaffen ist. Und diese liefern Zendaya und John David Washington in den Momenten innigster Leidenschaft, in denen sich zeigt, dass die Zuneigung dieser beiden Liebenden noch längst nicht erloschen ist. Doch Sam Levinson zeichnet seinen Malcolm nicht umsonst als impulsiven, sich stark von den äußeren Umständen beeinflussbaren Zeitgenossen – und so schwankt sein Malcolm zwischen reumütiger Erkenntnis und der ego-getriebenen Beweisstellung seines eigenen Marktwerts, den er nicht nur sich selbst, sondern eben auch seiner Freundin immer wieder beweisen muss.

Verschnaufpause auf der Veranda…

Und mit ihnen den Kritiker:innen, was uns wieder zur Ursprungsargumentation führt – der, dass es in „Malcolm & Marie“ um so viel mehr geht als um die Abrechnung mit der rezensierenden Journaille. Dass diese dennoch einen nicht unerheblichen Teil des Films ausmacht, ist konsequent, wenn man sich die Charakterzeichnung einer Figur wie Malcolm anschaut. Einem Mann, den seine Partnerin mit jeder neuen Darlegung eines zwischenmenschlichen Fehlers massiv ins Grübeln ob seines starken Egos bringt, das wiederum maßgeblich mit seiner Anerkennung als Filmemacher verbunden ist. Gerät dieser vermeintliche Haltegriff einer in dieser Nacht permanent emotional schwankenden Figur zusätzlich ins Wanken, da dieser Filmemacher plötzlich nicht mehr nur als Mensch und Freund von seiner Partnerin, sondern auch von der Presse als Regisseur be- und verurteilt wird, steht Malcolm vor dem Nichts. Und so wundert es auch nicht, dass er in seiner hitzigen Argumentation vom Hundertsten ins Millionste gerät, wenn er sich immer weiter vom eigentlichen Angriffspunkt – der Kritik – entfernt, wenn er hier mit metaphorischem Kratzen und Beißen versucht, das letzte Bisschen Ego vom Boden aufzuwischen, was ihm geblieben ist. Eine Trotz- und Verzweiflungstat, die – dargeboten von einem extrovertierten, redegewandten Mann wie Malcolm einer ist – ganz nebenbei auch noch viel Wahres über die Wahrnehmung von Film und Popkultur aussagt und die Mechanismen hinter der Filmbewertung an sich in Frage stellt. Etwas, was die Dialoge nicht forcieren, was allerdings beiläufig abfällt, einfach weil dieser Malcolm so verdammt eloquent ist. Und das gilt längst nicht bloß für das Themensegment des Kritikertums, sondern findet seinen Widerhall zudem in diversen gesellschaftspolitischen Ausschweifungen, in denen Malcolm die Doppelzüngigkeit seines Umfelds, aber – und das ist besonders wichtig – auch seiner selbst entlarvt.

„Das permanent auf Augenhöhe stattfindende Streitgespräch ist nicht nur von der gegenseitigen Kritik am jeweils anderen geprägt, sondern erst recht von der zwischendrin immer wieder hervorblitzenden Zuneigung, von den Momenten, in denen Malcolm und Marie in dieselbe Richtung blicken und es dadurch umso schmerzhafter ist, wenn sich abzeichnet, dass diese Ansammlung von Konflikten selbst eine solch eng verbundene Einheit auseinanderreißen kann.“

Von den Auswirkungen der Corona-Krise geprägt, entstand „Malcolm & Marie“ unter minimalistischen Bedingungen. Zendaya und John David Washington tragen den Film vollständig auf ihren Schultern. In jeder Szene ist mindestens eine/r von beiden zu sehen, die dritte Hauptfigur spielt die Inszenierung selbst. Kameramann Marcell Rév, der auch schon für die Bildgestaltung von Levinsons „Assassination Nation“ verantwortlich zeichnete, setzt auf hochelegante, kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bilder der einzigen Kulisse einer noblen Luxuswohnung und spielt mit Kameraperspektiven, die nicht immer sofort erkennbar machen, ob sich die Figuren nun drinnen oder draußen aufhalten. Die verwinkelte Architektur des Hauses macht es Rév zudem sehr einfach, die emotionale Distanz des Paares auf seine Bilder zu übertragen. Genauso wie der ironischerweise sehr jazzige Score (Malcolm regt sich in einem seiner zahlreichen Monologe über den seinen Film beschreibenden Begriff „jazzig“ auf), der die An- und Entspannung seiner Charaktere optimal untermalt. Es sind einfache, audiovisuelle Mittel, die „Malcolm & Marie“ veredeln und die dadurch nie den Fokus vom Wesentlichen nehmen. Und das Wesentliche ist so viel mehr als eine bloße Abrechnung.

Fazit: Regisseur und Autor Sam Levinson gelingt seinem schlicht aber wunderschön inszenierten Streit-Kammerspiel „Malcolm & Marie“ ein hochkomplexes Drama, das gleichermaßen von seinem hervorragenden Hauptdarsteller:innenduo als auch von den stets lebensechten sowie intelligenten Dialogen und einer herausragenden Beobachtungsgabe zwischenmenschlicher Interaktion getragen wird.

„Malcolm & Marie“ ist ab dem 5. Februar bei Netflix streambar.

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