One Night in Miami

Schauspielerin Regina King feiert mit einem Kammerspiel-Streitdrama ihr Spielfilm-Regiedebüt: In ONE NIGHT IN MIAMI debattieren Muhammed Ali, Malcom X und Freunde. Ob das packt und wie die Oscar-Chancen stehen, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: One Night in Miami (USA 2020)

Der Plot

Es ist der 25. Februar 1964: Der junge Cassius Clay (Eli Goree), der bald darauf als Muhammad Ali berühmt werden sollte, hat soeben in einem Boxkampf den favorisierten Sonny Liston (Aaron D. Alexander) bezwungen und somit den Weltmeistertitel im Schwergewicht gewonnen. Das Publikum ist euphorisch aufgrund des sensationellen Matchs und schwärmt feiernd durch die Straßen der Stadt. Nicht aber der Weltmeister selbst: Aufgrund der örtlichen Segregationsgesetze muss er die Nacht im abgeschiedenen Hampton House Motel in einem der historisch schwarzen Viertel von Miami verbringen. Dort zelebriert der Boxer seinen Sieg mit dem politischen Aktivisten Malcolm X (Kingsley Ben-Adir), Spitzensänger Sam Cooke (Leslie Odom Jr.) und Football-Star Jim Brown (Aldis Hodge). Das Quartett hat viel Gesprächsbedarf…

Kritik

Regina King dürfte vornehmlich für ihre schauspielerischen Leistungen bekannt sein – sei es in Serien wie „Southland“ und „American Crime“ oder so unterschiedlichen Filmen wie „Boyz n the Hood – Jungs im Viertel“, „Ray“ und „Beale Street“. Doch King hat bereits Erfahrung als Regisseurin gesammelt – sie inszenierte unter anderem bereits zwei Musikvideos, zwei Episoden von „Scandal“ und sogar sechs Folgen von „Being Mary Jane“. Mit „One Night in Miami“ feiert King nun ihr Spielfilm-Regiedebüt und verschafft uns somit erstmals einen konkreten Einblick darin, was sie als Filmschaffende bewegt: Ihr Debüt ist die Verfilmung eines Theaterstücks von „Soul“-Ko-Regisseur und -Autor Kemp Powers. Im 2013 uraufgeführten Stück „One Night in Miami“ malt er sich aus, wie eine Nacht abgelaufen wäre, in der die befreundeten Malcolm X, Sam Cooke, Jim Brown und Cassius Clay nach dem Weltmeistersieg des Letzteren versuchen, zusammen zu feiern – aber letztlich ideologisch aneinandergeraten.

Leslie Odom Jr. schlüpft in die Rolle von Sam Cooke.

Powers wählte den 25. Februar 1964 nicht zufällig für sein fiktives Vier-Personen-Streitgespräch: Cassius Clay sollte kurz darauf offiziell der Nation of Islam beitreten und als Muhammad Ali noch größere Berühmtheit erlangen. Inspiriert dazu wurde er von Malcolm X, der wiederum aber kurz davor stand, sich von der Führungsspitze der politisch-religiösen Bewegung zu distanzieren. Genauso wie Sam Cooke, der wegen Fragen bezüglich Erfolg und politischer Integrität im Clinch mit sich selbst lag, sollte er nur ein Jahr später sterben. Und Sportstar Jim Brown liebäugelte damit, ins Schauspielfach zu wechseln, um noch mehr Menschen zu erreichen und so weitere Karrieremauern einzureißen, die für Schwarze errichtet wurden. Kings Verfilmung von „One Night in Miami“ stützt sich auf einem Drehbuch von Powers selbst – und konsequenterweise behält der Film die Essenz des Theaterstücks bei: Das fiktive Streitgespräch vierer Größen unterstreicht, dass es keine singuläre schwarze Erfahrung und Sicht der Dinge gibt. Zwar eint die vier Freunde, dass sie alle unter Hass, Beleidigungen, Vorurteilen und struktureller Benachteiligung leiden – aber wie sich dies äußert, variiert. Und noch deutlicher variiert, wie sie damit umgehen: Für den Einen ist es ein Sieg, in weiße Domänen vorzudringen und seine Präsenz zu normalisieren. Für den Nächsten ist Aufklärung das große Ziel. Für den Anderen ist alles unter „die Gesellschaft schmerzlich aufrütteln“ pures Versagen. Und dann ist da die Position dessen, der sich nicht so ganz entscheiden kann.

„Das fiktive Streitgespräch vierer Größen unterstreicht, dass es keine singuläre schwarze Erfahrung und Sicht der Dinge gibt. Zwar eint die vier Freunde, dass sie alle unter Hass, Beleidigungen, Vorurteilen und struktureller Benachteiligung leiden – aber wie sich dies äußert, variiert.“

Die theatralen Wurzeln des Stoffes kann (und will) „One Night in Miami“ in der Charakterzeichnung nicht ganz ablegen: Cassius Clay, Malcolm X, Sam Cooke und Jim Brown führen stilisierte Streitgespräche, mit einer Eloquenz als hätten sie ihre Argumente schon vorab zurechtgelegt. Dennoch sind sie nicht einfach ideologische Positionen auf je zwei Beinen: Durch das filigrane und emotionale Spiel von Eli Goree, Kingsley Ben-Adir, Leslie Odom Jr. und Aldis Hodge gewinnen die vier Figuren eine individuelle Persönlichkeit abseits ihrer Argumente und Erfahrungen. Vor allem Ben-Adir reißt den Film mehrmals an sich, indem er Malcolm X als meinungsstarken, kompromisslosen Aktivisten anlegt, der auch im privaten Umfeld keinen Gang zurückschalten kann – aber auch nervöse Ticks hat und dessen Stimme im Konflikt mit seinen Freunden verletzlich zittert.

„One Night in Miami“ ist ein Kammerspiel, das fast vollständig in einem Hotelzimmer spielt.

Regina Kings Regieführung lässt dem Cast genug Raum, dass er trotz der Schnellfeuerdialoge und gedrängten Monologe atmen kann: Oft sind die Blicke und Gesten zwischen den Zeilen aussagekräftiger als die Worte selbst – und King unterstreicht die Grundstimmung zwischen den Vieren stetig und behutsam durch die Kameraarbeit. Als wäre es ein verbaler Vier-Personen-Boxkampf, ändern sich wiederholt die Machtverhältnisse. Es bilden sich Allianzen, mal gewinnt ein schärfer vorgetragenes Argument, dann eine empathischere Verhaltensweise, und King sowie Kamerafrau Tami Reiker („Beyond the Lights“) lassen dem entsprechend mal locker oder rücken den Diskutanten näher. Während dieses bildsprachliche Element sitzt, sind die filmischeren Elemente aufgesetzt – neue Szenen wie ein ausführlicher Prolog oder einzelne Rückblenden dienen spürbar dem Zweck, „One Night in Miami“ von der Bühne ins Filmische zu übertragen, geraten aber oftmals schwerfällig oder narrativ überflüssig. Das gerät teils auch zulasten der Charakterzeichnung Sam Cookes.  Powers zeichnet ihn aus dramaturgischen Gründen historisch leicht inakkurat und gibt ihm im argumentativen Austausch dafür, dass Malcolm X auf ihm stärker rumhackt als auf Clay und Brown (deren sportlichen Leistungen Malcolm X mehr wertschätzt als Cookes musikalische) und er somit ein Mitleid-Sympathieträger wird, auch einen nötigen, metaphorischen Tritt in den Hintern, auf dass er mehr Rückgrat entwickelt. Dabei hatte der reale Cooke diesen verbuchterweise nicht nötig.

„Regina Kings Regieführung lässt dem Cast genug Raum, dass er trotz der Schnellfeuerdialoge und gedrängten Monologe atmen kann: Oft sind die Blicke und Gesten zwischen den Zeilen aussagekräftiger als die Worte selbst.“

Was in einem reinen Kammerspiel milder wirkt und sich auch als situativ eingefärbte Sichtweise beider Figuren erklären lässt (in der Hitze des Moments diskutieren sie nicht ganz akkurat), bekommt im Film durch Prolog, Rückblenden und Epilog etwas Handfestes verliehen. Historische Korrektheit in einem fiktiven Aufeinandertreffen zu verlangen, ist zweifelsohne gewagt – dass aber in einem Drama, das auf die vielen diffizilen Dilemmata schwarzer Personen der Öffentlichkeit verweist, eine von der Musikgeschichtsschreibung nicht ausreichend gewürdigte, sehr einflussreiche Person stark vereinfacht wird, ist dennoch eine unglückliche Nebenwirkung.

Fazit: Vier fiktionalisierte Interpretationen real befreundeter, historischer Persönlichkeiten ringen in kraftvollen (gelegentlich sehr gestelzten) Dialogen um einen gemeinsamen Nenner, wie sie als Schwarze nicht nur für sich selbst, sondern auch für alle anderen Menschen ihrer Hautfarbe sorgen können. „One Night in Miami“ ist die mildere, aber auch zugänglichere Amazon-Variante des Netflix-Kammerspiels „Ma Rainey’s Black Bottom“.

„One Night in Miami“ ist ab sofort bei Amazon Prime streambar.

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