Die Misswahl

In ihrem neuesten Film DIE MISSWAHL wirft Regisseurin Philippa Lowthorpe einen aufschlussreichen, wachrüttelnden, jedoch keineswegs plump urteilenden Blick hinter die Kulissen ebenjenes Schönheitswettbewerbes, der Anfang der Siebzigerjahre von einer Gruppe von Frauenaktivistinnen geentert wurde. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Misbehaviour (UK/FR 2020)

Der Plot

London, 1970: Sally Alexander (Keira Knightley) hat es satt, als Frau ständig benachteiligt zu werden. Insbesondere der alljährliche „Miss World“-Wettbewerb steht für sie sinnbildlich für ein veraltetes Frauenbild. Zusammen mit der rebellischen Jo Robinson (Jessie Buckley) will sie die Öffentlichkeit auf die Missstände in der Gesellschaft aufmerksam machen. Unterdessen reisen die Teilnehmerinnen der bevorstehenden Misswahl an und bereiten sich auf das TV-Ereignis des Jahres vor – 100 Millionen Zuschauer werden zu der von Komiker Bop Hope (Greg Kinnear) moderierten Show weltweit an ihren Fernsehgeräten erwartet. Während Außenseiterin Miss Grenada (Gugu Mbatha Raw) und ihre Konkurrentinnen das Posieren in Badeanzügen üben, schmiedet die „Women’s Liberation Movement“ um Sally und Jo einen Plan, der die Welt endlich wachrütteln soll…

Kritik

Es entspricht dem aktuellen Zeitgeist, dass sich Filmemacherinnen und Filmemacher zunehmend genderbedingter Ungerechtigkeit annehmen. Dies geschieht mal aus der Perspektive eines Einzelschicksals heraus („Colette“), dann wieder als allumfassendes Porträt eines bestimmten Missstandes („Suffragette“). Mit ihrem auf wahren Ereignissen basierenden Drama „Die Misswahl“ schlagen Regisseurin Philippa Lowthorpe („Call the Midwife“) sowie ihre Drehbuchautorinnen Rebecca Frayn („The Lady – Ein geteiltes Herz“) und Gaby Chiappe („Ihre beste Stunde“) nun in dieselbe Kerbe. Im Zentrum steht einmal mehr der Appell an weibliche Selbstbestimmung, ausgehend von einer Miss-World-Wahl Anfang der Siebzigerjahre in London. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, das Prinzip eines Schönheitswettbewerbes nach fragwürdigen Idealen zu hinterfragen; so einfach das auch wäre, wenn man sieht, wie sich die Veranstalter während ihrer Show permanent selbst der Misogynie entlarven. Die Filmemacherinnen gehen in ihrer Kritik weitaus subtiler vor, indem sie eben nicht nur die Oberflächenreize auf Skandalwirkung abklopfen, sondern sich trauen, auch die andere Seite der Medaille zu betrachten – so eine Misswahl ist zwar eine Fleischbeschau, aber bedeutet gerade deshalb für einige Teilnehmerinnen auch ein Schritt in Richtung Selbstbestimmung. Ganz schön paradox.

Nachdem sie ein Plakat ‚umgestaltet‘ hat, flieht Jo (Jessie Buckley) gemeinsam mit Sally (Keira Knightley) vor der Polizei.

Wenn Keira Knightleys Filmtochter zu Beginn von „Die Misswahl“ ausgelassen vor dem Fernsehgerät herumtanzt und mit Staunen die schönen Frauen bei ihrem Gang über den Laufsteg verfolgt, dann steckt in dieser Szene ein Großteil ebenjener thematischen Komplexität, durch die sich der Film im Gesamten auszeichnet. Die mit den Hintergründen und Abläufen einer solchen Misswahl vertraute Sally schüttelt über das junge Mädchen nur den Kopf, will sie direkt vom Fernsehgerät wegschaffen, damit dieses nicht bereits in so jungem Alter Zeuge einer medialen Ausschlachtung weiblicher Körper wird. Dass die all die jungen Frauen allerdings einfach nur schön anzusehen findet, ist ganz selbstverständlich – doch in ihrem jungen Alter ist die Gefahr für ein falsches (Körper-)Vorbild automatisch gegeben. Am anderen Ende des Wohnzimmers sitzt derweil Sallys Mutter, die in der rigorosen Ablehnung ihrer Tochter gegenüber dem Schönheitszirkus allenfalls übertriebene Fürsorge, in der Misswahl-Präsentation der Models allerdings keinerlei Probleme erkennt. Das war eben schon immer so. Drei Generationen, drei unterschiedliche Reaktionen auf das Gezeigte: Faszination, Abscheu und Gleichgültigkeit – und im weiteren Verlauf von „Die Misswahl“ kommen sogar noch weitere hinzu, von denen sich allenfalls die frauenfeindlichen Organisatoren und Moderatoren eindeutig einer Seite zuordnen lassen; derjenigen, die die Frauen für eine Art der Unterhaltung opfern, die mit dem Begriff „Fleischbeschau“ noch gut bedient ist.

„Drei Generationen, drei unterschiedliche Reaktionen auf das Gezeigte: Faszination, Abscheu und Gleichgültigkeit – und im weiteren Verlauf von „Die Misswahl“ kommen sogar noch weitere hinzu.“

Nun wäre es für die Filmemacherin ein Leichtes gewesen, „Die Misswahl“ als einen banalen Gut-gegen-Böse-Kampf zu inszenieren; das „Gut“ verkörpert von den Aktivistinnen, die die Misswahl unterwandern wollen, und das „Böse“ eben von den Veranstaltern, deren vermeintlich süffisante Kommentare bestenfalls Anzüglichkeiten, im schlimmsten Fall derbe Abwertung des weiblichen Geschlechts sind. Doch so eine Misswahl besitzt eine Kehrseite – für einige der von Weither angereisten Anwärterinnen auf den Titel der „Miss World“ bedeutet ausgerechnet das Recht darauf, den eigenen Körper von fremden Männern bewerten zu lassen, eine Form der Selbstbestimmung. Etwas, was man erst einmal sacken lassen muss. Denn auch wenn man nun nicht plötzlich auf die Idee käme, das Konzept des Schönheitswettbewerbes vollständig zu hinterfragen (in „Die Misswahl“ stehen genug Szenen für sich, die die Motivation der Frauengruppe zu jedem Zeitpunkt deutlich machen und richtig erscheinen lassen), so ist es den Filmemacherinnen doch besonders wichtig, allumfassend über dieses Thema zu berichten, an dessen Ende immer die Problematik einer patriarchal geprägten Gesellschaft steht. Das macht „Die Misswahl“ nicht minder kraftvoll, dafür umso warmherziger und darüber hinaus auch noch ziemlich unterhaltsam.

Bei den Teilnehmerinnen der Miss World, hier bei Miss Grenada (Gugu Mbatha-Raw), wird Maß genommen.

Durch die vielen verschiedenen Erzählperspektiven ist „Die Misswahl“ bei einer Laufzeit von 106 Minuten nicht nur angenehm kurzweilig, sondern arbeitet sich dabei auch munter durch verschiedene Genres; alle mit einem anderen tonalen Schwerpunkt. Wenn die Aktivistinnen ihren Auftritt bei der Miss-World-Wahl in bester Heist-Movie-Manier vorbereiten, dann gibt es hier durchaus komische Momente, die sich schon allein aus der Interaktion der Frauen untereinander ergeben. Keira Knightley („Official Secrets“) mimt die engagierte, jedoch gleichermaßen rationale Aktivistin, die ihren in ihren Mustern und Ansichten mitunter festgefahrenen Frauen neue Perspektiven aufzeigen kann (sie ist es beispielsweise, die auf die Idee kommt, die Medien in ihren Plan direkt miteinzubeziehen – denn wie soll jemand von der Aktion mitbekommen, wenn man die Zusammenarbeit mit den Medien vermeiden will?). Jessie Buckley („I’m Thinking of Ending Things“) als impulsives Gegenstück, das lieber zuerst handelt und anschließend nachdenkt, vereint die Aufopferungsbereitschaft der selbst viel an Ansehen riskierenden Gruppe in einer Person und sorgt für einige spannende Reibungspunkte mit Knightley.

„Durch die vielen verschiedenen Erzählperspektiven ist „Die Misswahl“ bei einer Laufzeit von 106 Minuten nicht nur angenehm kurzweilig, sondern arbeitet sich dabei auch munter durch verschiedene Genres; alle mit einem anderen tonalen Schwerpunkt.“

Doch „Die Misswahl“ ist auch ein klassisches Drama, das sich mit der Perspektive auf die Teilnehmerinnen zu einigen starken Statements hinreißen lässt. Und nicht zuletzt kann Philippa Lowthorpe ihrem Film sogar einige zarte Crime- und Satire-Elemente abgewinnen. Insbesondere letztere sind dabei so tief der Realität verwurzelt, dass einem das Lachen sehr schnell im Halse stecken bleibt. Denn die hier so zugespitzt wirkenden Dialoge sind bisweilen eins zu eins aus der Realität übernommen.

Fazit: Keira Knightley kämpft für weibliche Selbstbestimmung – und Regisseurin Philippa Lowthorpe bereitet dieses Anliegen als gleichermaßen kraftvolles wie warmherziges Leinwandereignis auf. Dafür entlarvt sie auf der einen Seite die Mechanismen der Schönheitsindustrie, widmet sich aber auch aufrichtig all jenen, für die ebendiese Branche mehr ist als reine Unterhaltung.

„Die Misswahl“ ist ab dem 1. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.

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