Raus

Mit der politischen Wandertrip-Dramödie RAUS versucht Regisseur Philipp Hirsch, Weltfluchtspaß, Drastik und Gesellschaftskommentar unter einen Hut zu bringen. Ob es ihm gelingt, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Glocke (Matti Schmidt-Schaller) ist ein rebellischer Jugendlicher: Er protestiert gegen Ungerechtigkeit in der Welt, gegen den Kapitalismus sowie gegen Tierversuche, er macht sich stark für Umweltschutz – und er ist ein Mitläufer. Im Grunde genommen macht er das alles nämlich nur, um das mit Eifeseifer linksaktivistische Mädchen seiner Träume zu beeindrucken. Als eine Protestaktion katastrophal schief läuft und er zum Gespött des Internets wird, sehnt sich Glocke nur noch nach einer einzigen Sache: Einem schnellen Ausweg. Weg von allem, was er anklagt und anzuklagen behauptet, weg von allen, die ihn für seinen ungewollten Internetruhm auslachen. Da stößt er in einer Webcommunity im exakt richtigen Augenblick auf eine Challenge: Ein Aussteiger namens Friedrich ruft im Internet auf, seinem Beispiel zu folgen: Vom Rand eines Waldes aus sollen alle, die der Gesellschaft den Rücken zukehren und ein friedliches, abgeschiedenes Leben führen wollen, mit einer roten Mütze bekleidet auf Hinweissuche gehen. Am Ende wartet eine abgelegene Hütte irgendwo in den Bergen, die er selbst für alle Gleichdenkenden errichtet hat. Neben Glocke machen sich auch ein Reichensöhnchen, eine frühere Rechtsradikale, eine Sex-Influencerin mit antikapitalistischer Weltsicht und ein abenteuerlustiger Typ auf den Weg. Kann diese Gruppe zusammenhalten, um gemeinsam das Ziel zu erreichen?
Kritik
Bei „Raus“ handelt es sich um ein Regiedebüt – und wenn ein Aspekt dieses Films haften bleibt, dann ist es die Inszenierung: Regisseur Philipp Hirsch zeigt sich mit seinem Erstlingswerk als vielversprechendes Talent, das sich vielleicht noch in Sachen tonaler Balance einschleifen muss, aber sehr wohl ein Auge für gute, abwechslungsreiche Bilder hat. Hirsch beginnt sein Aussteiger-Abenteuerdrama mit impressionistischen Bildern, die lose Erinnerungen an Terence Malick wecken. Satt-grüne Nahaufnahmen von Gräsern und Bäumen, klebrig-goldiger Honig, die blasse, blanke Haut zweier Menschen, die munter durch die Natur tollen und sich umschlingen. Doch wie der Erzählerkommentar aus dem Off drastisch klar macht, ist die Welt nicht so, woraufhin Hirsch die Ästhetik seines Films abrupt ändert. In grieseligen Bildern und hektischer Abfolge sehen wir einen Querschnitt des Üblen in dieser Welt sowie seiner medialen Darstellung.
Hirsch behält sein Händchen für eine deutliche Inszenierung auch nach diesem Prolog bei: Zum Auftakt zeigt er den meinungsschwachen Protagonisten Glocke, der nur deshalb die Maske des Rebellen aufzieht, weil er sich so Chancen bei einem Mädchen verspricht, bei einer Aktion gegen einen wohlhabenden Zuhälter. Hirsch inszeniert diese Passage wie einen deutschen (Low-Budget)-Thriller, mit langer Brennweite, gräulich-stählerner Farbästhetik und kühler Musik. Wenn Glockes Mission fehlschlägt und er zur Lachnummer des Internets wird, fängt Hirsch behände den Tonfall sowie den visuellen Stil diverser Web-Communitys ein – und wenn es für Glocke und seine Mitstreiter daraufhin in den Wald hineingeht, geht Hirsch eine stimmige Balance ein, zwischen altmodisch-ruhiger Wildnisromantik und überzogeneren Kamerawinkeln. Mit punktuell gewählten Gesichtsaufnahmen und farbgefilterten, schrägen Naturimpressionen schaffen Hirsch und sein Kameramann Ralf Noack „Raus“ auf Bildebene eine gute Übersetzung des Wandertrip-Kinos für die Generation Social Media.
Doch Hirschs vielversprechende, wenngleich in den tonalen Übergängen noch leicht holprige Regiearbeit wird wiederholt durch das Skript ausgebremst. Denn Hirsch und sein Ko-Autor Thomas Böltken finden in „Raus“ nie einen Ansatz, der dauerhaft greift. Was wie ein Jugendfilm über den Frust mit der ungerechten Welt, Maulheldentum und Digital Detoxing beginnt, schwächt sich alsbald zu einem sehr deutschen Kinderfilm ab: Die Figuren sind dünn entworfene Archetypen, deren (ehemalige) Weltsicht nur angerissen, aber nur sehr grobschlächtig und kurzzeitig im Filmtext behandelt wird. Die Differenzen zwischen dem vermeintlich leichten Mädchen, das die ungleiche Verteilung des Kapitals anklagt, dem reichen Besserwisser und der Neo-Nazi-Aussteigerin sind zunächst blutleer und ohne Biss, die Anspielungen auf die tiefergehenden Dimensionen, die diese Figurenkonstellation mit sich bringt, pendeln sich auf einem „Danach können Eltern mit ihren Kindern diskutieren, wenn der Bedarf besteht“-Level ein.
So sind auch die Stolperschwellen skizziert, die sich auf der Reise gen Friedrichs Hütte ereignen. Ein chauvinistischer Biker, der aber schnell bezwungen ist, und ein arroganter Gastwirt, dem die Wandergruppe nicht fein genug ist, sind, so wie Hirsch und Böltken sie entwerfen, nur Ärgernisse, die acht- bis zehnjährige Kinder erreichen. Für ältere Publikumsmitglieder sind diese Begegnungen aber, auch weil sie keinerlei bleibenden Eindruck auf unsere Figurengruppe hinterlassen, nur lasch – es fehlt ihnen an thematischer Haftung. Das holen Hirsch und Böltken auf atmosphärischer Ebene dann mit einem horrorfilmesk gefilmten, kurzen Ausflug in „Der Herr der Fliegen“-Gefilde nach, der diesem vermeintlichen Kinderfilm eine FSK-Freigabe ab zwölf Jahren einbringt – und inhaltlich erneut kaum Wellen schlägt. Das ist narrativ ernüchternd, da „Raus“ sich selbst mit seiner drastischsten Szene aus Konsequenzen und dramatischer Fallhöhe rauswindet, und pädagogisch fragwürdig, da unsere Helden kurz faschistoide Tendenzen entwickeln und rasch alles vergeben und vergessen ist. So solide Schmidt-Schaller und seine Ko-Stars Enno Trebs, Milena Tscharntke, Matilda Merke und Tom Gronau auch aufspielen, fehlt es „Raus“ einfach an Charakterdichte und erzählerischem Fokus, um zu überzeugen.
Fazit: Mit seinem Debüt zeigt sich Philipp Hirsch als visuell interessanter Regisseur, doch seiner Aussteigergeschichte mangelt es an Dimension in der Figurenzeichnung und an ausgefeilter Dramaturgie.
„Raus“ ist ab dem 17. Januar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.