Elser

Heutzutage hat nicht mehr jedes noch so gut gemeinte Drama, das sich mit der NS-Zeit befasst, einen wirklichen Mehrwert. Zu sehr ähneln sich die einzelnen Erzählungen in Inszenierung und Aussage, doch ausgerechnet Oliver Hirschbiegel, dessen Ruf dank „Diana“ zuletzt ein wenig angeknackst war, gelingt mit ELSER der Beweis, dass das Thema in den richtigen Händen eben doch noch immer dieselbe Relevanz hat wie vor Jahrzehnten. Lest mehr zum Film in meiner Kritik.

Elser

Der Plot

Während der Jubiläumsrede Hitlers am 8. November 1939 wird ein Mann an der Grenze zur Schweiz wegen des Besitzes verdächtiger Gegenstände festgenommen. Nur Minuten später explodiert im Münchner Bürgerbräukeller unmittelbar hinter dem Rednerpult des „Führers“ eine Bombe und reißt acht Menschen in den Tod. Der Mann ist Georg Elser (Christian Friedel), ein Schreiner aus dem schwäbischen Königsbronn. Als man bei ihm eine Karte des Anschlagsortes und Sprengzünder findet, wird er dem Chef der Kripo im Reichssicherheitshauptamt Arthur Nebe (Burghart Klaußner) und dem Gestapochef Heinrich Müller (Johann von Bülow) zum Verhör überstellt. Von ihnen erfährt Elser, dass sein Vorhaben gescheitert ist – dass der Mann, den er töten wollte, um das Blutvergießen des gerade begonnen Weltkriegs zu verhindern, den Bürgerbräukeller 13 Minuten vor der Explosion verlassen hat. Tagelang wird Elser von Nebe und Müller verhört, tagelang hält er ihren Fragen stand. Bis er schließlich gesteht – und die Geschichte seiner Tat schildert…

Kritik

„Noch ein Nazi-Drama?“ Diese Frage stellt man sich automatisch, wenn man sich anschaut, welche Filme es in den vergangenen Jahren vorzugsweise in die Vorauswahl für den Auslandsoscar geschafft haben. Die Deutschen suhlen sich – so scheint es – allzu gerne in ihrer Position. Da ist es nur konsequent, das Thema der NS-Zeit aus möglichst vielen Perspektiven auch auf der Leinwand durchzukauen. Filmemacher Oliver Hirschbiegel, der jetzt mit „Elser“, einer Geschichte über einen Hitler-Attentäter nachlegt, wurde selbst mit einem solchen Film berühmt: Sein oscarnominiertes Drama „Der Untergang“ machte aus ihm so etwas wie den deutschen Newcomer der Regieszene, doch mit dem zuletzt gescholtenen Prinzessinnen-Biopic „Diana“ schaffte es Hirschbiegel, seinen guten Ruf mit einem Schlag selbst zu zerstören. Von der Presse zerrissen  konnte sich schließlich kaum mehr jemand vorstellen, dass der Regisseur sich seinen Ruf des vielschichtigen Geschichtenerzählers selbst wiederherstellen würde, doch jetzt beweist es Hirschbiegel seinen Kritikern ein zweites Mal. Auf gewohntem Terrain bewegt sich der Filmemacher so stilsicher, dass sich „Elser“ fast als Fingerübung bezeichnen ließe; sein Film ist eine Mischung aus brutalem Kammerspiel, das in seiner Drastik über weite Strecken an Steve McQueens „12 Years a Slave“ erinnert, und einem klassischen Weltkriegsdrama, erzählt aus der Sicht der Menschen, die zu jener Zeit die größten Leidtragenden des Terrors waren: den Zivilisten.

Christian Friedel

Hirschbiegel erzählt seinen Film nicht chronologisch, sondern teilt ihn gewissermaßen in zwei Teile auf. „Elser“ beginnt in der Nacht des missglückten Anschlages und erst nach und nach, durch die Erzählungen Georg Elsers sowie eingestreuten Rückblenden, ergibt sich aus den verschiedenen Bruchstücken des Bild eines großen Ganzen. Welche Szenen verstörender sind, darauf mag man sich nach einer Zeit kaum festlegen, wenngleich die brutalen und visuell nur schwer zu ertragenden Folterszenen dazu einladen, in ihnen das Optimum der Grausamkeit zur damaligen Zeit zu sehen. Doch nach und nach zeigt sich: Auch die Machtlosigkeit der Dorfbewohner, die die Verbreitung des Nazitums schweigend hinnehmen und sich ihr beugen mussten, sind emotional nicht weniger fordernd. Hirschbiegel jongliert in seiner Inszenierung gekonnt mit den beiden Attributen subtil und brachial, wird dabei jedoch nie trivial oder einfältig und legt das Hauptaugenmerk auf seine Figuren sowie deren vom zweiten Weltkrieg beeinflusste Charakterentwicklung. Allen voran Christian Friedel, der Georg Elser mit immenser Hingabe verkörpert, ist es zu verdanken, dass der Zuschauer von Beginn an einen Zugang zur Figur erhält und das, obwohl sein Film in seiner Aufteilung eigentlich länger bräuchte, um dem Zuschauer nahe zu gehen. Wenn der Zuschauer Zeuge wird, wie Elser in den Räumen der Gestapo grausam misshandelt wird, weiß er bis dato nicht viel über den Charakter selbst – und doch leidet man bis zum Äußersten mit, denn man weiß: Hier gibt es keine Moral und keine Gerechtigkeit.

Einfache Sätze, wie ein Dialog zwischen den beiden Wachhabenden, die befinden, dass „sie entscheiden, was wahr ist, und was nicht“, machen deutlich, dass es aus diesem Gefängnis, im wahrsten Sinne des Wortes, kein Entkommen gibt. Trotzdem stören sich beide Zeitebenen hier und da gegenseitig; vermutlich wäre „Elser“ gar noch intensiver geraten, hätte sich der Regisseur gemeinsam mit seinen Drehbuchautoren Léonie-Claire und Fred Breinersdorfer („Der Chinese“) der Chronologie der Ereignisse untergeordnet. Auch bewegt sich die Geschichte in ihren Rückblenden teils sehr weit vom Fokus des Films weg. Neben den politischen Belangen zeichnet der Regisseur die persönlichen Hintergründe seines Protagonisten ebenso facettenreich nach und erzählt gleichsam aus dem Privatleben Friedrich Elsers, das nicht minder tragisch vonstatten ging. Das wirkt an manchen Stellen ausufernd und trotz seines Detailreichtums nur schwammig bis grob nachskizziert, doch so schafft es „Elser“ immerhin, sich bevorzugt auf sein Alleinstellungsmerkmal als Biopic dieser interessanten Figur zu verlassen. Und trotz des Wissens um den Ausgang der Geschichte ist der Spannungsbogen beispielhaft: Bis zum Schluss bleibt insgeheim die Frage, welches Schicksal Elser wohl ereilen mag.

Elser

Christian Friedel („Das weiße Band“), der in den emotionalen Momenten bis zum Exzess agiert und leidet, ohne seine enorme Würde zu verlieren, gelingt es, in den Rückblenden voll von Lebensmut und Optimismus zu sein. Friedel schafft es, die Faszination für den Menschen Georg Elser nachdrücklich zu unterstreichen, denn sein Charakter ist voller Gegensätze. Sein Aufbegehren gegen das NS-Regime steht im krassen Kontrast zu seiner liebenswürdig-zurückhaltenden Art, die jedwedem Streit aus dem Weg geht und sich dennoch nicht vor der Faszination des Bösen verschließt. Katharina Schüttler („Oh Boy“) spielt ihre Figur der Elsa hingegen vielmehr zurückhaltend und schmerzvoll, ergänzt sich gleichsam mit Georg Elser und gibt authentisch eine intensive Leistung zum Besten. Zum Symbol des Bösen werden darüber hinaus Burghart Klaußner („Nachtzug nach Lissabon“) und Johann von Bülow („Das Labyrinth des Schweigens“) in ihren Rollen der brutalen Gestapo-Offiziere. Mit ihrem düsteren Charme und ihrer rhetorischen Fähigkeiten schaffen sie es bisweilen, nicht nur ihre Opfer, sondern auch das Publikum ansatzweise einzulullen, um ebenjene Beschwichtigung eine Szene später mit diversen unmenschlichen Handlungen wieder zunichte zu machen. Eine Meisterleistung mit Aussichten auf diverse deutsche Filmpreise.

Fazit: „Elser“ ist ein beklemmendes Zeitdokument über einen mutigen Mann, dessen fesselnder Geschichte bis heute viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Regisseur Oliver Hirschbiegel treibt sein Ensemble zu Höchstleistungen an und beweist, dass ein weiteres Drama über den Nationalsozialismus vollkommen gerechtfertigt ist, solange man ein solch bewegendes Schicksal erzählt, wie im Falle von Georg Elser. Die drastischen Verhörszenen kratzen jedoch bisweilen hart an der Grenze des visuell erträglichen und werden dem weniger hart gesottenen Zuschauer ordentlich aufs Gemüt schlagen – also ganz so, wie es sich bei dieser Thematik gehört.

„Elser“ ist ab dem 9. April in ausgewählten Kinos Deutschlands zu sehen.

Ein Kommentar

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