Night Moves

Ein bisschen Öko, ein bisschen Drama, ein bisschen Thriller: Mit diesen Zutaten inszeniert die US-Independentfilmerin Kelly Reichardt mit NIGHT MOVES eine packenden Charakterstudie über drei Naturschützer, die den ganz großen Coup planen, ohne mit Konsequenzen zu rechnen. Wer sich so etwas anschauen soll? Hoffentlich so einige, denn das hier ist richtig gutes Kino!
Der Plot
Josh (Jesse Eisenberg), Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard) haben sich mit Leib und Seele dem Umweltschutz verschworen. Ihr nächster Coup soll weit über reduzierten Stromverbrauch und Fahrradfahren hinausgehen: Mithilfe einer riesigen Explosion wollen die drei einen großen Staudamm dem Erdboden gleichmachen und hoffen so, ein Statement gegen die Ausbeutung des Planeten zu setzen. Trotz akribischer Vorbereitung soll bei diesem Vorhaben etwas gewaltig schief gehen und es dauert nicht lange, bis aus dem eingeschworenen Team Kontrahenten werden…
Kritik
Dem momentan vielerorts getätigten Ausruf, die Filmemacher des 21. Jahrhunderts würden sich vornehmlich auf hohe Budgets, Effektspektakel und Bombast konzentrieren, arbeitet seit jeher eine Kontrawelle entgegen. Kammerspiele à la „Der Gott des Gemetzels“ oder der erst kürzlich veröffentlichte „No Turning Back“, verfilmte Theaterstücke wie die Oscar-nominierte Familientragödie „Im August in Osage County“ oder der mit einem Minimalbudget ausgestattete Science-Fiction-Streifen „The Signal“ beweisen, dass die erzählerische Wucht einer Story nach wie vor nicht von hohen Produktionskosten abhängig ist; und dass ein hohes Budget nicht automatisch bedeutet, dass erzählerische Raffinesse auf der Strecke bleibt – „Edge of Tomorrow“ ist dafür das beste Beispiel. Die in Florida beheimatete Filmemacherin Kelly Reichardt, die mit ihrer melancholischen Sinnsuche „Old Joy“ auch über Festival-Kreise hinaus bekannt wurde, gehört seit zwei Jahrzehnten zur US-Independent-Szene und ist eine Meisterin der reduzierten Inszenierung. Ihr beim Festival im US-amerikanischen Deuville ausgezeichnetes Thrillerdrama „Night Moves“ erzählt auf minimalistische Weise von einem Alltagsszenario, das nach und nach von seinen facettenreichen Figuren geformt wird und eine enorme Sogkraft entwickelt. Schließlich sorgt die unberechenbare Ausgangslage für einnehmenden Thrill, was die Frage aufwirft, ob Reichhardts Streifen auch bei mehrmaligem Sehen funktioniert.
„Night Moves“ funktioniert von Beginn an nicht wie ein konventioneller Thriller. Die Filmemacherin, die bei ihrer sechsten Langfilmarbeit auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnete, greift auf ein recht banales Ausgangsszenario zurück, um ausschließlich mithilfe ihrer starken Charaktere und allerhand Story-Umbrüchen ein intensives Kinoerlebnis zu kreieren. Die erste Hälfte des Streifens konzentriert sich ganz auf die drei Protagonisten sowie deren Vorbereitungen auf die Tat. Das ist, zugegebenermaßen, nicht übermäßig spannend, denn während dieser Zeit passiert auf der Leinwand selbst nicht viel. Doch allein das Wissen um die Unberechenbarkeit der Prämisse sorgt für allgegenwärtiges Unbehagen. Stark geschriebene, hintersinnige Dialoge und ganz fein agierende Darsteller sorgen durchgehend für Gänsehaut. Insbesondere die Interaktion zwischen dem 2016 in „Batman vs. Superman: Dawn of Justice“ spielenden Jesse Eisenberg und der merklich gereiften Dakota Fanning („Krieg der Welten“) ist von einer steten Disharmonie geprägt. Als Dritter im Bunde agiert „The Killing“-Star Peter Sarsgaard, dessen unnahbare Aura zur schwer einzuordnenden Atmosphäre des Films passt. Was die mal wie Freunde, mal wie eine Zweckgemeinschaft erscheinenden Jugendlichen verbindet, ist dagegen die unerschütterliche Aufopferungsbereitschaft, im Sinne der Natur zu handeln.
Nach dem augenscheinlich geglückten Anschlag auf den Staudamm steigert sich die Intensität weiter. Ohne zu viel verraten zu wollen, geistern alsbald Nachrichten durch die Presse, der Dammbruch habe möglicherweise ein Todesopfer gefordert. Diese Information inszeniert Reichardt nicht als überbordenden Plottwist. Stattdessen bleibt die Regisseurin ihrem reduzierten Tempo treu und legt nach und nach immer mehr Details offen, welche die Gesinnung der drei Hauptakteure in ein ganz neues Licht rücken. Die nahezu pedantisch herausgearbeiteten Charakterzüge von Josh, Dena und Harmon sorgen innerhalb diverser Sinneswandel für enorme Fallhöhen und rechtfertigen ohne weiteres den Status „Thriller“. Gleichzeitig gibt Reichardt in „Night Moves“ tiefe Einblicke in die Seelenleben sämtlicher Akteure, sodass sich ebenjener Thrill mit einem starken Charakterdrama verbindet. Diese Kombination beeindruckt vor der Schlichtheit der Kulisse enorm und kristallisiert sich dadurch erstrecht als Dreh- und Angelpunkt heraus. Dabei wird die eingangs stark in den Vordergrund gerückte Öko-Thematik zwar nach und nach an den Rand gedrängt; angesichts des neuen Schwerpunkts, der sich als viel eindringlicher erweist, ist dies jedoch zu verschmerzen. So bietet „Night Moves“ auch bei mehrmaligem Sehen immer wieder neue Erkenntnisse. Der menschliche Geist ist schließlich unergründlich. Erst recht dann, wenn der Zuschauer sich nach und nach selbst die Frage stellt, wie er in der Situation unserer Hauptfiguren reagieren würde.

Mit dem Boot begeben sich die Drei auf geheime Mission.
Technisch präsentiert sich „Night Moves“ so unverfälscht wie ein Dogma-Film. Zu imposanten, die Schönheit und Gewalt der Natur hervorhebenden und dabei durchgehend unverfälschten Bildern, die überdeutlich die Handschrift des eher grobmotorisch veranlagten Kameramannes Christopher Blauvelt („The Bling Ring“) tragen, serviert Komponist Jeff Grace („The Innkeepers“) einen bedrohlich-ruhigen Score mit zur Szenerie passenden Stimmungs-Akzenten. Damit unterstreicht er die Bedeutung sämtlicher Dialoge und gibt in temporeicheren Szenen den Ton an.
Fazit: „Night Moves“ beeindruckt im Detail und erzählt eine realistische Geschichte ohne Effekthascherei. Stattdessen gibt Kelly Reichardt einen geerdeten Einblick in das Seelenleben von Menschen, deren Gesinnung eigentlich so löblich ist, welche die Tragweite ihres Handelns jedoch unterschätzten. Schließlich begreift der Zuschauer, dass die Grenzen zwischen Legalität und Verbrechen für die Protagonisten längst verschwommen sind. Schlussendlich kann alles passieren – so unberechenbar ist Kino selten. Ein Film, der im Gedächtnis bleiben wird.
„Night Moves“ ist ab dem 14. August in ausgewählten Kinos Deutschlands zu sehen.