Enemy

Nach Denis Villeneuves Entführungsthriller „Prisoners“ legt der kanadische Regisseur mit dem abgehobenen Verwirrspiel ENEMY nun die Regie-Arbeit nach, die eigentlich als Test-Shoot vor „Prisoners“ gedacht war. Es ist ein Glücksfall, dass Villeneuve seinem Publikum den Streifen nicht vorenthält – im Stile großer Surrealisten wie David Lynch und David Cronenberg ist „Enemy“ hochspannend, nervenzerreißend und beunruhigend. Bis zum wirklich aller letzten Take.
Der Plot
Dem Geschichtsprofessor Adam (Jake Gyllenhaal) erscheint das Leben wie ein endloser, nicht greifbarer Traum. Gelangweilt von seinem Alltag und seiner Beziehung lässt er Tag um Tag in Lethargie verstreichen – bis er in einem Film den Schauspieler Anthony (Jake Gyllenhaal) entdeckt, der ihm bis aufs Haar gleicht. Verstört aber auch fasziniert von dieser Entdeckung, beschließt er, seinen Doppelgänger aufzuspüren. Je tiefer Adam in Anthonys Welt eindringt und dabei auch dessen Frau (Sarah Gadon) näher kommt, desto mehr scheinen die Grenzen zwischen den beiden Personen zu verschwimmen. Die anfängliche Neugier steigert sich zur Besessenheit; ein bizarres Spiel beginnt.
Kritik
Im vergangenen Jahr machte sich der bis dato weitgehend unbekannte Filmemacher Denis Villeneuve („Die Frau die singt“) durch seine intensiv inszenierte Entführungsstory „Prisoners“ einen Namen unter Cineasten. Mit einer Oscar-Nominierung für die Beste Kamera bedacht, lieferte das Charakterstück mit Jake Gyllenhaal und Hugh Jackman in den Hauptrollen großartigen Thrillerstoff auf dem Niveau eines „Zodiac“ oder „Sieben“. Villeneuve, der als geborener Kanadier vorab hauptsächlich in Französisch drehte, nutzte seinen abstrakten Psychothriller „Enemy“, um vorab eine Art Testlauf auf Englisch zu starten und sich mit seinem Hauptdarsteller Gyllenhaal anzufreunden. So verwundert es kaum, dass sein neuer Film, der chronologisch eigentlich vor „Prisoners“ einzuordnen ist, nicht nur aufgrund seiner äußerst geringen Kopien-Anzahl von 30 Stück deutschlandweit fast schon wie ein minimalistisches Kammerspiel anmutet. War „Prisoners“ bei all seiner Schwere immer noch überdeutlich Hollywoodkino, spielt die kanadisch-spanische Co-Produktion „Enemy“ allenfalls auf dem inszenatorischen Niveau eines Sundance-Filmfestival-Hits. Nicht umsonst war das furiose Spiel um Schein und Sein eines der Highlights bei den Fantasy Filmfest Nights 2014. Die Betonung liegt auf „Highlight“: „Enemy“ ist eines der betörendsten Verwirrspiele des neuen Jahrtausends.

Wer bin ich und wenn ja, wie viele?
Sich einem Film zu nähern, ohne dabei auf ärgerliche Spoiler zurückzugreifen, ist bei „Enemy“ mehr denn je eine Schwierigkeit. Der Thriller ist durchzogen von einem nahezu undurchdringbaren Symbolismus, der seine volle Wucht vor allem dann entfaltet, wenn man sich den Streifen ohne jedwede Vorahnung zu Gemüte führt. Geschickt setzen Denis Villeneuve sowie sein Drehbuchautor Javier Gullòn ihre Fährten und orientieren sich dabei nur sehr vage an José Saramagos Romanvorlage „Der Doppelgänger“. So präsentiert uns das kreative Duo nicht nur eine abweichende Plotentwicklung, sondern lässt manch eine Information gezielt aus, um sie dem Zuschauer zur Interpretation freizugeben. Inszenatorisch erinnert dieses Storytelling an Nicolas Winding Refns ebenso umjubeltes wie verschmähtes Kunstwerk „Only God Forgives“, kann jedoch schlussendlich mit einer wesentlich komplexeren Handlung und eindeutigeren Interpretationsansätzen aufwarten. Erinnerungen an Steven Soderberghs „Side Effects“ werden wach.
In fiebrig-gelb getränkten Bildern und vor der Kulisse eines dadurch befremdlich wirkenden Toronto agiert Jake Gyllenhaal in einer meisterhaft verkörperten Doppelrolle. Als bodenständiger Geschichtsprofessor Adam suhlt sich Gyllenhaal in einer fast schon provokanten Lethargie; Sein Doppelgänger Anthony hingegen lebt ein zufriedenes Leben. Nuanciert lotet der Hollywoodstar die Extreme beider Charaktere aus und läuft dennoch nie Gefahr, in ein Overacting zu verfallen. Gyllenhaals Figuren sind bodenständig, greifbar und trotz ihrer Ähnlichkeit jederzeit voneinander zu unterscheiden. Dies gelingt vor allem durch das Zusammenspiel mit diversen Nebendarstellern. Mit der hübschen, jedoch oberflächlich gezeichneten Mélanie Laurent („Die Unfassbaren – Now You See Mee“) als Adams Freundin pflegt Adam einen ungezwungenen, fast nebensächlichen Umgang. Sarah Gadon („Die Tore der Welt“) als anmutig-schöne Helen und schwangere Ehefrau von Anthony wird dagegen die würdevollere Rolle zuteil, was auch Gyllenhaal – mal als Adam, mal als Anthony – sie spüren lässt. Für Gänsehaut sorgt ebenfalls Isabella Rossellini in der Rolle von Adams Mutter. Als diese ist sie nur kurz zu sehen – denkwürdig und für die Handlung von Relevanz ist ihr Auftritt trotzdem. Mit David Lynchs „Blue Velvet“ gelang Rossellini einst der Durchbruch – eine unübersehbare Hommage Villeneuves an den Surrealistik-liebenden Regisseur, an dem sich der Filmemacher mehr als einmal orientiert.
Nur in entscheidenden Momentaufnahmen surrealistisch ist „Enemy“ dennoch ein zu weiten Teilen bodenständiger Thriller, der mit der Realität spielt. Die Bilder, die Kameramann Nicolas Bolduc („Rebelle“) einfängt, sind, abgesehen vom Farbfilter, unspektakulär und alles andere als auffällig. Ab und an kommt man nicht umher, an Darren Aronofsky und dessen berühmte Verfolgungsszenerien zu denken, wenn Bolduc sich an seine Figuren anpirscht und sich mit einigem Abstand an deren Fersen heftet. Unauffällig, nahezu versteckt finden sich in diesen auf den ersten Blick unscheinbaren Aufnahmen winzige Details, die das wirre „Konstrukt Enemy“ um findige Interpretationsansätze ergänzen. Ohne Frage erzählt „Enemy“ nicht bloß von der Frage, wer hinter dem Doppelgänger des Protagonisten steckt.

Adam und seine Freundin Mary (Mélanie Laurent)
Nicht nur Adams Vorlesungen über totalitäre Systeme lassen erahnen, dass sich hinter „Enemy“ riesige Möglichkeiten der Interpretation auftun. Wirre, dabei nicht minder berauschende Traumsequenzen mit immer wiederkehrenden Symbolen oder visuell verfremdete Ansichten der Skyline von Toronto: All diese Kniffe tragen dazu bei, dass „Enemy“ auch über seine übersichtliche Laufzeit von gerade einmal neunzig Minuten voll von anspruchsvollem Inhalt ist, den andere Regisseure selbst in Streifen von doppelter Länge nicht unterbekommen würden. Denis Villeneuve gelingt das Kunststück, die Fülle an Informationen nicht als große, undefinierte Masse auf den Zuschauer loszulassen, sondern selbst auf solch beschränktem Raum eine Form von künstlerischer Behäbigkeit zu generieren, welche die einzelnen Plotelemente erst nach und nach offenlegt. Der dröhnende Soundtrack von Danny Bensi und Saunder Jurriaans („Martha Marcy May Marlene“) verleiht dieser Szenerie ihr Klangfeld; greifen die beiden Komponisten doch weniger auf harmonische Klänge denn viel lieber auf eine quälende Soundkulisse zurück. Bedrohlicher geht es nicht!
In den USA galt das Ende von „Enemy“ als „the scariest filmending ever made“. Alles was vorab geschieht, bildet lediglich die Basis für ein nie dagewesenes Finale, das selbst gestandene Filmnerds für einen Moment zusammenzucken lassen wird. Auf den ersten Blick überraschend fügt sich schließlich ein Puzzlestück nach dem anderen an die Stelle, an die es gehört. „Enemy“ fasziniert, „Enemy“ fordert und „Enemy“ führt uns – den Zuschauer – an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit. Und doch macht es Spaß, sich während oder nach dem Erlebnis einen Weg durch ein Geflecht an Widersprüchen, Ungereimtheiten und offensichtlichen Lösungen zu bahnen. Nie war es spannender, den eigenen Verstand zu verlieren. David Lynch lässt grüßen!
„Enemy“ ist ab dem 22. Mai bundesweit in ausgewählten Kinos zu sehen.