Undine

Regisseur Christian Petzold bringt seine nächste Zusammenarbeit mit Paula Beer und Franz Rogowski heraus: Das Berlin-Märchen UNDINE aktualisiert einen uralten Mythos. Um welchen es genau geht und wie das gelingt, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Die Berliner Historikerin Undine (Paula Beer) lebt in einer kleinen Wohnung und führt ein einfaches, unauffälliges Dasein – und ihr Herz scheint schwer zu sein. Das hat einen mystischen Grund: Als sich ihr Freund Johannes (Jacob Matschenz) von ihr trennt, warnt sie ihn, dass sie verflucht ist, einen Mann, der sie verrät, töten zu müssen, um sich danach in ein Gewässer zurückzuziehen. Jacob beschwichtigt Undine, sie solle mit der alten Mär aufhören – und auch sie selbst fühlt sich vom Fluch erdrückt. Weder will sie jemanden umbringen, noch will sie ihr unscheinbares, von ihrer Arbeit geprägtes Leben hinter sich lassen. Unmittelbar, nachdem Undine verlassen wurde, erscheint in Form des Industrietauchers Christoph (Franz Rogowski) ein Hoffnungsschimmer: Undine verliebt sich schlagartig und glaubt, ihren Fluch so überlisten zu können. Schnell werden sie zu einem Paar, das intensive, unvergessliche Zeit miteinander verbringt – und doch wiegt Undines Herz weiter schwer, und Christoph erahnt, dass seine Freundin ihm etwas verheimlicht …
Kritik
Nach der international gefeierten Romanadaption „Transit“ vereint Regisseur Christian Petzold das Schauspiel-Duo Paula Beer („Werk ohne Autor“) und Franz Rogowski („Fikkefuchs“) wieder – und erneut nimmt Petzold eine bestehende Geschichte, um sie ins Heute zu verlagern. Erzählte „Transit“ einen Stoff, der ursprünglich vom Zweiten Weltkrieg berichtet, als gegenwärtige Geschichte, stellt „Undine“ die neueste Reinterpretation eines uralten Mythos dar. Paracelsus berichtete in seinen Schriften einst vom Elementargeist des Wassers in Gestalt einer menschlichen Frau, der nach der Heirat sein Heimatelement nicht mehr berühren darf – anderweitig müsste er für immer dort zurückkehren. Und sollte der Gatte den Geist für eine andere Frau verraten, so muss er sterben. Schon Paracelsus orientierte sich im 16. Jahrhundert an älteren mythologischen Motiven, er selbst beeinflusste posthum unter anderem Friedrich Baron de la Motte Fouqué, seine Märchennovelle regte unter anderem E.T.A. Hoffmann zu einer Oper an, Oscar Wilde verfasste von Fouqué inspiriert „Der Fischer und seine Seele“.
Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen – doch die wohl berühmteste „Undine“-Uminterpretation stammt von Hans Christian Andersen: „Die kleine Meerjungfrau“. Die 1989 gestartete, ebenso farbenfroh präsentierte wie positiv ausgehende Disney-Adaption des Andersen-Märchens sollte für viele Generationen das Bild von Meerjungfrauen entscheidend prägen. Petzold wiederum wurde durch Peter von Matts ebenfalls 1989 veröffentlichtem „Liebesverrat“ (einer gewitzt-analytischen Untersuchung der Treulosen in der Literatur) und Ingeborg Bachmanns feministisches Neuarrangement „Undine geht“ geprägt. Er will mit seiner „Undine“ von einer Titelheldin erzählen, die in einer entzauberten Welt lebt, sich gegen den Mythos wehrt und mit allem Willen lieben will. Doch kann man lieben wollen? All das muss man nicht wissen, um „Undine“ zu genießen – jedoch hilft dieses Wissen ungemein. Denn viele Literaturneuverfilmungen zäumen schlicht eine bereits existierende Geschichte für ein neues Publikum neu auf. Petzolds visuell von französischem Impressionismus und den Unterwasserwelten im Disney-Realfilmmeilenstein „20.000 Meilen unter dem Meer“ beeinflusste „Undine“ dagegen ist ganz bewusst eine Reaktion auf Jahrhunderte des „Undine“-Mythos im Allgemeinen und des (nicht nur) literarischen Frauenbildes im Speziellen.
„Petzold wurde durch Peter von Matts 1989 veröffentlichtem „Liebesverrat“ (einer gewitzt-analytischen Untersuchung der Treulosen in der Literatur) und Ingeborg Bachmanns feministisches Neuarrangement „Undine geht“ geprägt.“
Um eine Reaktion zu begreifen, kann es wenig überraschenderweise nicht schaden, zu wissen, worauf reagiert wird. Und nicht nur thematisch erschließt sich „Undine“ besser, wenn man sich zuvor mit Petzolds Vorbildern auseinandergesetzt hat – auch auf der reinen Handlungsebene geht Petzold von einer gewissen Familiarität mit dem Mythos aus. Hat man sich erst einmal auf der Ebene des dezenten magischen Realismus eingefunden, auf der Petzolds Film operiert, entfaltet sich Undines und Christophs Romanze zu einer zärtlichen, aber unter unheilvollen Vorzeichen stehenden Beziehung. Er mag ein wissbegieriger, vorsichtig voran preschender und hingebungsvoller Mann sein, und doch hält er ihr durch Blicke, kleine Gesten und scharfe Anklänge in seiner Stimme ihre Vorgeschichte vor. Ein todtrauriger Blick Christophs, als Undine beim Spaziergang kurz nicht vollauf bei der Sache ist, wird beispielsweise durch Franz Rogowskis stilles, komplexes Spiel und Petzolds melancholisch-gedankenverlorene Erzählstruktur sowie Bild- und Klangsprache zu einem zweischneidig-herzzerbrechenden Augenaufschlag.
Es ist empathisch-erschütternd, wie sehr dieser unsichere, vollauf verliebte Mann fürchtet, Undines Gunst nicht verdient zu haben. Aber es ist aus Undines Position ebenso sehr erschütternd-verletzend, wie wenig es ihm gelingt, Undine als sie selbst zu betrachten, sondern sie aufgrund früher Stationen in ihrem Leben zu be- oder gar verurteilen. Paula Beer indes spielt die anfangs am Boden zerstörte Titelheldin als sorgenvolle Frau, die selbst in den märchenhaft-herzlichsten Momenten hinter ihrer zierlichen, den Moment auskostenden Fassade die immense Belastung ungeahnter, lang gehegter Erfahrungen durchscheinen lässt. Ihre Undine ist eine alte, schwer vertrauende Seele in einem jungen Körper, die von einem antiken Fluch überzeugt ist, aber eine moderne Haltung haben will. Diese Undine möchte nicht objektifiziert werden, keine passive Stellung einnehmen, sondern ein aktiver, komplexer Mensch sein – und Petzold erschafft mächtig wirkende, aber in geerdet vermittelter Symbolkraft vermittelte Dramatik aus der Frage: Gelingt es oder ist es auch im Jahr 2020 weiter zum Scheitern verdammt?
„Hat man sich erst einmal auf der Ebene des dezenten magischen Realismus eingefunden, auf der Petzolds Film operiert, entfaltet sich Undines und Christophs Romanze zu einer zärtlichen, aber unter unheilvollen Vorzeichen stehenden Beziehung.“
Fazit: „Transit“-Regisseur Christian Petzold gelingt mit seinem herausragend inszenierten Liebesdrama „Undine“ eine kontemporäre, bittersüße Großstadtmär mit tiefgehenden Performances.
Undine ist ab dem 2. Juli 2020 in deutschen Kinos zu sehen.