Astrid

Das biographische Drama ASTRID schildert die frühen Lebensjahre der weltberühmten Autorin Astrid Lindgren und ergründet, weshalb aus ihr der Mensch wurde, als der sie viele Jahrzehnte ihre Leserschaft begeisterte. Oder zumindest geben die Macher das vor. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Bereits in jungen Jahren widerfährt Astrid Lindgren (Alba August) etwas, das sich für sie gleichermaßen als Schicksalsschlag und Wunder herausstellen und ihr Leben für immer verändern wird: Sie verliebt sich in einen verheirateten Mann ihres Dorfes, wird schwanger und muss das Kind in einer dänischen Großstadt zur Welt bringen, um ihre Familie und den Vater des Kindes nicht in Verruf zu bringen. Dieser Abschnitt in Astrids Leben sollte aus ihr eine der inspirierendsten Frauen unserer Zeit sowie eine der angesehensten Geschichtenerzählerinnen der Welt machen. Dies ist die Geschichte, wie eine junge Astrid, entgegen aller Erwartungen ihres Umfelds und ihrer religiösen Erziehung, beschloss, sich von den Normen unserer Gesellschaft zu lösen und ihrem Herzen zu folgen.

Kritik

Früher oder später kommt wohl jeder einmal mit den Werken von Astrid Lindgren in Berührung. Die 1907 im südschwedischen Vimmerby geborene Schriftstellerin gehörte zu Lebzeiten zu den weltweit einflussreichsten Autorinnen von Kinder- und Jugendliteratur. Ihre Bücher erschienen in über 100 Sprachen und verkauften sich bis heute über 160 Millionen Mal. Darunter die Abenteuer von „Pippi Langstrumpf“, Ronja Räubertochter“ und „Wir Kinder aus Bullerbü“, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Einen Spielfilm über Astrid Lindgren gab es trotz ihres rund um den Globus hohen Bekanntheitsgrades allerdings noch nicht. Das ändert sich jetzt mit dem hierzulande simpel „Astrid“ betitelten Drama, dessen Originaltitel „Unga Astrid“ (was soviel heißt wie „Astrid werden“) den Inhalt allerdings noch ein wenig besser trifft. „Astrid“ ist nämlich kein herkömmliches Porträt, das einmal das gesamte Leben einer bekannten Person von der Geburt bis zum Tode nachzeichnet, sondern ein kleines Charakterdrama über Astrid Lindgrens Jugendjahre, in denen die junge Frau schon früh dazu angehalten wurde, möglichst schnell erwachsen zu werden. Die Ereignisse, die die Drehbuchautoren Kim Fupz Aakeson („Einer nach dem anderen“) und Pernille Fischer Christensen („Eine Familie“) hier erzählen, orientieren sich zwar stark an dem echten Vorbild; alles, was hier passiert, ist Astrid Lindgren also wirklich geschehen. Doch durch die Konzentration auf diesen frühen Lebensabschnitt wird zu keinem Zeitpunkt deutlich, dass es sich überhaupt um Lindgren handelt. Das Schicksal der jungen Frau, die zum damaligen Zeitpunkt noch Astrid Ericcson hieß, könnte ebenso gut fiktiv sein. Lediglich eine erzählerische Klammer, in der eine gealterte Lindgren zu ihrem Geburtstag Grußkarten durchliest und sich eine Kassette mit Danksagungen anhört, soll hier einen persönlichen Bezug herstellen, der erzählerisch sonst leider überhaupt nicht gegeben ist.

Astrid (Alba August) mit Blomberg (Henrik Rafaelsen) im Schnee.

In „Astrid“ geht es in erster Linie um eine junge Frau, die sich im frühen 20. Jahrhundert aus den gesellschaftlichen Zwängen zu befreien versucht. Sie beginnt ein Volontariat bei einer Zeitung, verliebt sich in einen verheirateten Mann, wird schwanger und muss mit all diesen Lasten auf einmal zurechtkommen, während sich der Vater des Kindes und vor allem ihre Eltern mehr um ihr Ansehen innerhalb der Dorfgemeinschaft zu scheren scheinen, als um Astrids Ängste und Bedürfnisse. Das Skript zeichnet die Protagonistin früh als sehr selbstständige Frau, die gleichzeitig von ihrem sozialen Umfeld in eine Position gedrängt wird, aus der sie – stellvertretend für alle Frauen zu dieser Zeit und in diesem Land – aus eigener Kraft nicht herausgekommen wäre. Die Folge ist nach monatelanger Heimlichtuerei und dem Vermeiden eines Kontakts zur Außenwelt nur das Auswandern in eine von ihrem Heimatdorf weit entfernt gelegene Stadt, wo sie ganz auf sich gestellt das Kind zur Welt bringen muss. All das schildert Regisseurin Pernille Fischer Christensen einfühlsam und mit viel Liebe zum Detail, wenn sie etwa der inneren Zerrissenheit der strenggläubigen Mutter Marie (Trine Dyrholm) genauso viel Zeit einräumt und sie dadurch nicht zur einfältigen Schurkin hochstilisiert, die sich herzlos von ihrer Tochter abwendet. Das tut sie zwar im Laufe des Films gleich mehrmals und auch unter zunächst fadenscheinig wirkenden Begründungen, doch gleichzeitig gelingt Christensen mit „Astrid“ der Entwurf eines glaubhaften Gesellschaftskosmos, in dem die Uhren einfach anders tick(t)en, als in der Gegenwart.

Auch das voller Liebe zum Detail kreierte Setdesign, das das schwedische Dorf Vimmerby auf der Leinwand zum Leben erweckt, trägt seinen Teil zur authentischen Stimmung von „Astrid“ bei. Dasselbe gilt für die Darsteller: „The Rain“-Aktrice Alba August verkörpert die aufopferungsvolle junge Mutter Astrid Ericsson mit voller Hingabe und vereint in ihrem Spiel eine kindliche Naivität mit einer für ihr junges Alter bemerkenswerten Weisheit. Ihr Aufbegehren gegen die vorherrschenden Sitten und Gebräuche nimmt man ihr daher genauso ab, wie das Scheitern daran. Vor allem in der Interaktion mit ihrem Sohn, der sie erst einmal nicht als leibliche Mutter anerkennt und sie daher immer wieder von sich weist, kann August all ihr darstellerisches Können spielen lassen. Dasselbe gilt für ihr Zusammenspiel mit Trine Dyrholm („Who Am I – Kein System ist sicher“), die genau wie ihre Tochter zwischen den Ansprüchen ihrer Umwelt (vor allem der Kirche) und ihren eigenen hin- und hergerissen ist. Die männlichen Darsteller agieren vorwiegend am Rande, haben allerdings großen Einfluss auf die Figur der Astrid Lindgren. Egal ob ihr Vater ihr den Platz in der Redaktion besorgt, ihr der spätere Kindsvater ihres Sohnes eine Ausbildung in seiner Redaktion ermöglicht oder sie erst durch ihren späteren Ehemann Sture Lindgren ihr Talent für das Schreiben entdeckt: Aus eigener Kraft scheint Astrid Lindgren, zumindest so wie hier dargestellt, nie etwas geschafft zu haben, was letztlich aber auch daran liegt, dass „Astrid“ endet, bevor der erste Buchstabe zu ihrem ersten Roman geschrieben ist.

Astrid mit Sohn im ihrem Wald.

Dass all diese Erlebnisse Einfluss auf Astrid Lindgrens Schriftstellerinnendasein genommen haben, ergibt sich ja bereits aus der Prämisse. Doch mehr als ihre Protagonistin hin und wieder Geschichten erzählen, lässt die Regisseurin sie nicht. In einer Szene sieht man die junge Astrid in einer kalten Winternacht plötzlich einen markerschütternden Schrei ausstoßen – eine Anspielung an den Frühlingsschrei von Ronja Räubertochter, die damit in einer ihrer Geschichten den Winter zu vertreiben versucht. Doch derartige Bezugnahmen auf Lindgrens späteren Lebensweg sind Mangelware. Und so fühlt sich „Astrid“ auch zu keinem Zeitpunkt wie ein Biopic an, sondern wie ein nach Schema F aufgezogenes Drama, das darüber hinaus vorwiegend auf große Gesten und wenig auf Subtilität setzt. Wenn Astrid früh im Film mit einem Fahrrad durch die grünen Wiesen ihres Dorfes fährt (das Motiv hat es außerdem aufs Poster geschafft), ist die Szenerie so dramatisch überbeleuchtet und mit theatralischer Musik (Nicklas Schmidt, „Erlösung“) und Vogelgezwitscher angereichert, dass es nicht wundert, für was für einen starken Kontrast sich die Macher entscheiden, um später das Gegenteil darzustellen. In Astrids schlimmen Zeiten dominiert dann eben freudloses Grau-in-Grau, um dem Zuschauer auch auf visueller Ebene schnell zu erklären, was er in der jeweiligen Situation zu fühlen hat. Und dann ist da ja auch noch der Off-Kommentar der bemerkenswert klugen Grundschüler, die für „ihre Astrid“ Zeilen niedergeschrieben haben, die so garantiert niemals von Kindern unter zehn Jahren von sich gegeben wurden.

Fazit: Mit Ausnahme einer erzählerischen Klammer, in der eine gealterte Astrid Lindgren konstruiert wirkende Danksagungen einer Schulklasse liest und hört, erinnert nichts in diesem gefällig inszenierten Drama daran, dass man es hier mit Astrid Lindgren zu tun hat. Die Geschichte der jungen Astrid rührt durchaus, aber als Biopic funktioniert der Film zu keiner Sekunde.

„Astrid“ ist ab dem 6. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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