Don’t Worry, weglaufen geht nicht

Regisseur Gus Van Sant geht in DON’T WORRY, WEGLAUFEN GEHT NICHT das Risiko ein, seinen Film komplett in die Handy einer unausstehlichen Figur zu legen – und scheitert nicht bloß daran, sondern auch an vielen anderen Faktoren. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

John Callahan (Joaquin Phoenix) liebt das wilde Leben, schräge Witze und Alkohol. Den Alkohol liebt er allerdings etwas zu sehr. Schon bald hat er sein Trinkverhalten nicht mehr unter Kontrolle. Selbst als sein Leben nach einer nächtlichen Sauftour durch einen schweren Autounfall völlig aus der Bahn geworfen wird, denkt er gar nicht daran, mit seiner Leidenschaft aufzuhören. Nur seiner ihn umsorgenden Freundin (Rooney Mara) und einem freigiebigen Unterstützer (Jonah Hill) ist es zu verdanken, dass er sich widerwillig auf eine Entzugstherapie einlässt. Dabei entdeckt er sein Zeichentalent – und wendet es für bissige, respektlose Cartoons an, die er zunächst in einer Lokal- zeitung veröffentlicht, die ihm bald aber Fans in vielen Ländern einbringen und ihm ein neues Leben schenken. Doch der Kampf gegen das Trinken ist lang und steinig…

Kritik

Das Kino eines Gus Van Sant („Elephant“) ist so spröde, dass man einen Film des gebürtig aus Louisville stammenden Regisseurs nur selten fröhlicher beendet, als man ihn begonnen hat. Sein Frecking-Drama „Promise Land“ gehört da in seinem neutralen Ausgang noch zu den optimistischsten Werken, weshalb er für Porträts real existierender Figuren jedoch wie geschaffen macht. Seiner Filmbiographie über den Politiker und Schwulenaktivisten Harvey Milk verhalf er mithilfe einer betont nüchternen, aber doch sehr am Protagonisten orientierten Erzählweise zu noch mehr Eindringlichkeit, indem er unmissverständlich zu verstehen gab, die Ereignisse zum einen ohne jedwede Überhöhung, zum anderen aber auch aus der Sichtweise Milks zu erzählen. Daraufhin regnete es Oscar-Nominierungen; zwei Preise, den für das beste Drehbuch und für den besten Hauptdarsteller (Sean Penn) konnte „Milk“ sogar für sich verbuchen. Van Sants neuestes Werk „Don’t Worry, weglaufen geht nicht“ mit seinem Politiker-Biopic zu vergleichen, ist thematisch zwar nicht ganz naheliegend, letztlich stehen aber in beiden Filmen reale Vorbilder im Mittelpunkt auch Van Sant geht auch diesmal mit bemühter Diversität an die Aufbereitung der Erlebnisse heran. Leider wirkt sein Film diesmal zweigeteilt, sodass weder die eine, noch die andere Hälfte so richtig funktionieren.

John (Joaquin Phoenix) findet in Donnie (Jonah Hill) seinen Mentor.

Anstatt chronologisch vorzugehen und den schrittweisen Verfall seines Protagonisten John Callahan am eigenen Leib erlebbar zu machen, springt Regisseur Gus Van Sant ambitioniert zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her. Aufnahmen im Hier und Jetzt wechseln sich ab mit Rückblenden in die Vergangenheit; mal vom frühen Beginn von Callahans Trinkerzeit, mal vom Leben im Rollstuhl, kurz nach dem schweren Unfall. Zwischendurch sorgen einige der für den Film animierten Cartoons für heitere Auflockerung. Es lässt sich „Don’t Worry“ attestieren, dass der auf die Memoiren der Hauptfigur zurückgehende Film in seiner Struktur nie langweilig wird, auch wenn es eine kleine Weile braucht, um sich in diesem erzählerischen Wirrwarr zurechtzufinden, was nicht zuletzt daran liegt, dass Van Sant nicht nur recht wahllos darin vorgeht, wann er zu welcher Zeitebene springt, sondern auch daran, dass sich die audiovisuelle Gestaltung sämtlicher Subplots ähnelt. Die Einordnung des Gezeigten muss daher aus den erzählerischen Umständen erfolgen und das ist manchmal gar nicht so leicht. Darüber hinaus erschließt sich einem auch der erzählerische Zweck einer derartigen Nicht-Struktur nicht unbedingt, sodass im Laufe der Zeit der Eindruck entsteht, „Don’t Worry“ sei in erster Linie inszenatorische Poserei des Regisseurs.

Zu der befremdlichen Inszenierung passt auch ein Protagonist, der mit dem Wort „unkonventionell“ noch gut bedient ist. In John Callahan mögen viele interessante Facetten stecken, deren interessante Widersprüchlichkeiten vor allem in einem Tonfallwechsel in der Mitte so richtig zum Tragen kommen. Doch bis dahin legt Leinwand-Melancholiker Joaquin Phoenix („A Beautiful Day“) seine streitbare Hauptfigur erst einmal als einfältiges Arschloch an. Durch diverse Szenen, in denen einfach nur Johns Schwersttrinkerverhalten seziert wird, ergibt sich langsam das Bild eines unbelehrbaren Widerlings, dessen einseitig-sture Attitüde das Zuschauen lange Zeit nur schwer erträglich macht. Das passt zweifellos zum Thema an sich: Einem Alkoholkranken, noch dazu in einem Stadium, in dem John hier ist, zuzuschauen, kann zwangsläufig weder Spaß, noch irgendeine andere Form des Vergnügens bereiten. Doch Gus Van Sant fällt einfach nichts anderes ein, als seine Figur von einem Anfall des Selbstmitleids in den nächsten zu manövrieren. Gleichwohl spricht es für eine gewisse Form der Selbstkenntnis und Läuterung von Seiten des im Mittelpunkt stehenden Charakters, der all die schlimmen Ereignisse des Films einst selbst erlebte und daher gut daran tut, diese nicht schönzufärben, sondern es so darzustellen, wie es ist.

Annu (Rooney Mara) hat sich in John verliebt.

Was sich Gus Van Sant lange Zeit an Authentizität zugestehen lässt, geht in der zweiten Hälfte von „Don’t Worry, weglaufen geht nicht“ allerdings vollends in die Brüche. Zwar verfolgt er stringent die subjektive Wahrnehmung seiner Hauptfigur und inszeniert einen alles entscheidenden Moment im Leben von John Callahan als fast schon spirituell-übermenschliche Erfahrung. Doch gleichzeitig wirkt es so, als würde in diesem Moment ein Schalter umgelegt; „Don’t Worry“ beginnt, sich vom harten, ungeschönten Trinkerdrama loszusagen und den Prozess der Läuterung als allzu kitschiges Beinahe-Märchen zu inszenieren. Das Kennenlernen zwischen John und seiner Freundin Annu (bei dem nicht so ganz deutlich wird, was diese an ihrem zum damaligen Zeitpunkt so abgewrackten Freund eigentlich so faszinierend findet), die Treffen mit den Anonymen Alkoholikern, der zu Johns Mentor aufsteigende Donnie (Jonah Hill ist in der Rolle nicht mehr wiederzuerkennen!) – Gus Van Sant inszeniert die Gruppe an Menschen, die John einst wieder ins Leben zurückverhalfen, als austauschbare Sidekicks und Randnotizen, über die man kaum etwas erfährt. Letzteres gilt übrigens auch für seinen Werdegang vom Alkoholiker zum Cartoonisten. Die zum Leben erweckten Comicstrips liefern zwar immer mal wieder einen schnellen Gag und sind in den meisten Fällen tatsächlich ganz schön böse. Aber den Zwiespalt des Verlags, der sich zum Teil mit derber Kritik ob Johns zweifelhaftem Humors auseinandersetzen muss, behandelt Gus Van Sant, wie fast alles in seinem Film, nur oberflächlich.

Fazit: Basierend auf wahren Ereignissen inszeniert Gus Van Sant die Geschichte eines schwer abhängigen Trinkers, die in der ersten Hälfte durch ihre Kompromisslosigkeit überzeugt, in der zweiten allerdings zunehmend in Schönmalerei und Kitsch abdriftet.

„Don’t Worry, weglaufen geht nicht“ ist ab dem 16. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Ich stimme dir zu, dass der Film zweigeteilt ist und in der Struktur auch etwas gewöhnungsbedürftig. Ich selbst mochte ihn aber sehr – selbst wenn er objektiv betrachtet durchaus seine Schwächen hat, die du sehr schön offen gelegt hast. Jonah Hill fand ich übrigens (mal wieder) großartig.

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