Gleissendes Glück

Wenn einem der gleichnamige Roman zu Sven Taddickens Drama GLEISSENDES GLÜCK nicht bekannt ist, der könnte sich im Laufe der 102 Minuten mehr als einmal herb vor den Kopf gestoßen fühlen. Worauf die Geschichte über eine Frau, die eigentlich nur auf der Suche nach Gott ist, schließlich hinaus läuft, damit hätte zu Beginn wohl keiner gerechnet. Mehr dazu in meiner Kritik.Gleissendes Glück

Der Plot

Wo ist nur das Glück geblieben? In jeder ihrer schlaflosen Vorstadtnächte stellt sich Helene Brindel (Martina Gedeck) die gleiche Frage. Gefangen in der scheiternden Ehe mit ihrem Mann Christoph (Johannes Krisch), scheint selbst ihr geheimer Komplize Gott sie verlassen zu haben. Bis sie im Radio den Ratgeberautoren Eduard E. Gluck (Ulrich Tukur) hört, der Helene mit seiner kurzweiligen Theorie über das Glück fasziniert. Am nächsten Tag liest sie sein Buch, schreibt ihm einen Brief und besucht ihn schließlich bei einem seiner Vorträge. Dem ersten Treffen folgt ein Abendessen und schnell fühlen sich die zwei sehr unterschiedlichen Menschen zueinander hingezogen. Doch hinter seiner humorigen Fassade kämpft Gluck mit seinen eigenen Dämonen – und die Begegnung mit Helene macht ihm das auf drastische Weise bewusst. Trotzdem keimt Hoffnung auf, denn ganz entfernt erblicken beide unverhofft den Schimmer eines gleißenden Glücks…

Kritik

Als die schottische Schriftstellerin Alison Louise Kennedy im Jahre 2000 ihren Debütroman „Gleissendes Glück“ veröffentlichte, schrieb der „New Yorker“ ganz wirkungsvoll, dass es „eines der hervorstechendsten Merkmale dieses Buches ist, dass es mit nichts vergleichbar ist.“ Diese Aussage können wir doppelt und dreifach unterstreichen. Trotzdem enthält sie ja eigentlich keine direkte Wertung. Etwas kann sowohl im positiven, als auch im negativen hervorstechen. Und zumindest im Falle der Verfilmung von „Gleissendes Glück“ kommt beides zusammen. Wir wüssten an dieser Stelle tatsächlich nicht wirklich, wie wir das, was in A.L. Kennedys Roman respektive Sven Taddickens Film passiert, am besten beschreiben könnten, ohne eine wichtige Entwicklung des Dramas vorwegzunehmen. So etwas hat es bisher einfach noch nicht gegeben. Aber da besondere Umstände ja immer auch besondere Maßnahmen erfordern, und der Film es letztlich gar nicht darauf anlegt, uns mit der entscheidenden Plotwendung so zu überraschen, wie man es von handelsüblichen Twists gewohnt ist, gehen wir den ungewöhnlichen Weg und beschreiben detailliert, was genau an „Gleissendes Glück“ so schockierend ist, dass der Film hierzulande tatsächlich eine FSK-Freigabe ab 16 erhalten hat. Immerhin passiert das bei einem Drama über zwei über das Leben und die Einsamkeit philosophierende Menschen ja auch nicht jeden Tag.

Martina Gedeck

Von diesem Film geht ein unbestreitbarer Reiz aus. Er ist nicht erotischer Natur, auch wenn sich die zweite Hälfte von „Gleissendes Glück“ ebenso gut als akustisches Porno-GIF zweckentfremden ließe. Es sind in erster Linie die Figuren, deren Charakterzügen Sven Taddicken hier einer Extrembelastung unterzieht, die damit beginnt, dass sich Hauptfigur Helene zunächst nur mit sich und ihrem abhanden gekommenen Glauben und später mit einem Hardcore-Sexfilm-Süchtigen auseinander setzen muss und möchte. Richtig gelesen: Aus einem Treffen zwischen der einsamen Frau Brindel, die daheim unter ihrem gewalttätigen Ehemann Christoph zu leiden hat und die Hilfe bei dem gefeierten Buchautor Eduard E. Gluck sucht, wird nicht etwa eine (in diesem Genre zweifelsfrei nahe liegende) Romanze mit anschließender Abkehr vom Haustyrann und Happy-End im Grünen. Stattdessen gewährt der renommierte Professor der gescholtenen Ehefrau einen Einblick in seine finstersten, seelischen Abgründe; und aus dem Arzt wird der Patient und umgekehrt. Ebenjener zu Beginn beschriebene Reiz rührt daher, die Figuren und deren permanente Entwicklung in diesen Extremsituationen zu beobachten, ihre charakterliche Formung zu realisieren und die beginnende Abhängigkeit voneinander zu genießen. „Gleissendes Glück“ ist in den radikal-pornographischen Szenen, in denen aus dem Off Schwänze in diverse Körperöffnungen gesteckt werden, nämlich nicht annähernd so erotisch, wie in den Momenten der verbalen Auseinandersetzungen zwischen Helene und Eduard.

Gewöhnungsbedürftig ist und bleibt es trotzdem, womit Regisseur und Drehbuchautor Sven Taddicken sein Publikum hier konfrontiert. Das liegt vor allem daran, dass der Macher von Produktionen wie „12 Meter ohne Kopf“ oder „Mein Bruder, der Vampir“ keine Tabus kennt. Die mitunter kaum zu ertragenen Misshandlungen von Christoph an seiner Frau inszeniert der Filmemacher ebenso drastisch und ungeschönt, wie er die Konfrontation mit dem pornographischen Videomaterial inszeniert. Mit einer Ausnahme: Während sich die Qualen Helene Brindels direkt vor der Kamera abspielen und der Zuschauer die Schläge und durch Schubladen zugeführte Fingerknochenbrüche (!) hautnah miterleben muss, wäre „Gleissendes Glück“ wohl ein Film ohne Jugendfreigabe geworden, hätte Taddicken jenen Voyeurismus auch walten lassen, um die Sexsucht Eduard E. Glucks zu veranschaulichen. Stattdessen lässt er die durchaus krankhaften Fantasien seiner Person lediglich über die Tonspur stattfinden; oder seinen Protagonisten selbst von seinen Gelüsten erzählen. Mal inszeniert er derartige Äußerungen im Stile einer Beichte, dann wiederum wird der Zuschauer zum akustischen Zeugen, wie Gluck aus niedersten Gründen die Grenzen des Legalen sprengt. Eine gewisse Abhärtung gegenüber pornographischen Inhalten und Praktiken kann also nicht schaden, um sich von dem, was in „Gleissendes Glück“ so alles vom Stapel gelassen wird, nicht auf Anhieb erschlagen zu fühlen. Inhaltlich ist das Drama nämlich alles andere als Pornographie, denn im Kern geht es von der ersten bis zur letzten Sekunde um die Annäherung zweier in sich gefangener Menschen, die nur mithilfe des jeweils anderen zur Freiheit finden können.

Ulrich Tukur

Sonderlich subtil gerät dieser Vorgang in „Gleissendes Glück“ nicht und auch die beiden Handlungsstränge um Eduards Pornosucht und Helenes gewalttätigen Ehemann miteinander zu verknüpfen, gelingt dem Regisseur nicht immer. Den Nebenaspekt um Helenes abhanden gekommenen Glauben lässt das Skript irgendwann sogar ganz fallen. Hier und da scheint es so, als würde das Drehbuch zwei vollkommen eigenständige Geschichten erzählen, die bloß notdürftig von geschriebenen Postkarten und Briefen der beiden Hauptfiguren zusammengehalten werden. Trotzdem haben jene Hauptfiguren das Glück, dass Martina Gedeck („Das Tagebuch der Anne Frank“) und Ulrich Tukur („Exit Marrakech“) sie verkörpern dürfen. Für beide wird die Darstellung dieser Rollen zu einer waschechten Offenbarung. Martina Gedeck legt eine beeindruckende Einfühlsamkeit an den Tag, gepaart mit Mut zur Entblößung, der gleichermaßen ein Statement gegen Künstlichkeit und im Rahmen der Geschichte auch für das natürliche Alter setzt. Ulrich Tukur managt den Spagat zwischen professionell-charismatischem Gentleman und triebgesteuertem Opfer seiner geheimsten Sehnsüchte voller Inbrunst und Intensität. Eigene Akzente kann darüber hinaus auch Johannes Krisch („Jack“) setzen, der als Helenes gewalttätiger Gatte widerlicher kaum sein könnte. Dank der starken Chemie zwischen Gedeck und Tukur geraten vor allem die ruhigen Momente besonders intensiv.

Fazit: „Gleissendes Glück“ beginnt als Charakterdrama einer misshandelten Ehefrau und wird schließlich zu einer derben Auseinandersetzung mit erotischen Tabus, die das Grundgerüst für eine zart-zurückhaltende Liebesgeschichte bildet, die vollkommen ohne Klischees auskommt.

„Gleissendes Glück“ ist ab dem 20. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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