Monatsarchive: Oktober 2016

Videoabend: Fucking Berlin

Kino ist teuer, mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden und wer generell nicht gern unter Leute geht, der muss die Stoßzeiten meiden, um einen Film in Ruhe und ohne Störungen genießen zu können. Wenngleich die Videotheken nach und nach vom Online-Streaming verdrängt werden, geht doch nichts über einen gemütlichen Filmeabend auf dem heimischen Sofa. Obwohl die Auswahl riesig ist und Kinofilme immer schneller nach ihrem Start auch auf DVD und Blu-ray Disc erhältlich sind, lohnt sich sich ab und zu, einen Blick auf den Direct-to-Video-Markt zu werfen. Manchmal finden sich hier nämlich echte Perlen, ebenso sehr wie solche, die sich erst im Nachhinein als Rohrkrepierer erweisen. In meiner Rubrik VIDEOABEND möchte ich Euch jede Woche einen Film vorstellen, der es hierzulande nicht oder nur sehr limitiert ins Kino geschafft hat.

Diese Woche widme ich mich der deutschen Romanverfilmung „Fucking Berlin“, die seit dem 6. Oktober 2016 auf DVD und Blu-ray Disc im Handel erhältlich ist.

Fucking Berlin

Mathestudentin Sonja (Svenja Jung) ist neu in Berlin. Die Stadt ist für sie ein Rhythmus in Endlosschleife, dem sie sich hingibt. An der Uni lernt sie schnell neue Freunde kennen, mit denen sie die Hauptstadt aus immer neuen Blickwinkeln sieht. Als sie sich in den unnahbaren, aber umwerfenden Ladja verliebt, scheint alles möglich. Beide spüren den gleichen Beat und tanzen sich durch die Nächte, bis sie pleite sind und Sonja neugierig ist, wie weit sie für Geld gehen würde. Sie erhält ein Angebot, das so verlockend ist, dass sie es nicht ablehnen kann. Als ‚Mascha‘ steigt sie als Web-Stripperin ein, testet ihre Grenzen aus und macht in der ‚Oase‘, einem Puff in einem Berliner Ghetto schon bald alles mit. Ein Doppelleben beginnt, von dem sie nicht einmal ihrer besten Freundin Jule (Charley Ann Schmutzler) etwas erzählt. Doch sie droht schon bald aufzufliegen…

Kritik

Ursprünglich sollte die Romanverfilmung „Fucking Berlin“ im Herbst dieses Jahres ins Kino kommen. Sogar Pressevorführungen gab es, deren anschließende Meinungsäußerungen eingeladener Kollegen offenbar dazu beitrugen, die auf die Leinwand gebrachte Geschichte einer Studentin, die sich im Geheimen als Teilzeithure verdingt, nun direkt auf DVD und Blu-ray Disc erscheint. Und tatsächlich: „Fucking Berlin“ ist alles andere als das erwartbare, weichgespülte Großstadtmärchen, als welches man das Buch weitaus massentauglicher an den Zuschauer hätte herantragen können. Stattdessen inszeniert Florian Gottschick („Artisten“) seine erste, auch außerhalb von Arthouse-Programmkinokreisen für Aufmerksamkeit sorgende Regiearbeit als dreckiges, Konventionen scheuendes und bisweilen einfach nur widerlich-ungeschöntes Unterfangen, mit dem sich der geneigte Hochglanzproduktionsliebhaber bisweilen schon mal überfordert sieht. Gleichsam trifft er damit den Nerv, den schon die Autorin vor drei Jahren anvisierte. Nicht ganz so voyeuristisch und plastisch wie eine Charlotte Roche, dafür aber mit ähnlich wenig Hemmungen ausgestattet, entführte sie damals ihre Leser in die Schmuddelwelt der Berliner Hurenszene; und ließ zum Entsetzen vieler auch noch verlauten, dass das alles in Teilen gar nicht so schlimm war. Zu Beginn noch geblendet vom Rhythmus der In-City Berlin, begriff die unter dem Pseudonym Sonia Rossi auftretende Autorin erst nach und nach, in welchen gefährlichen Strudel am Rande der Legalität sich die Mathestudentin hier hineinmanövrierte. Auch „Fucking Berlin“ lässt diese Blendung erkennen, denn erst spät lässt Florian Gottschick die Stimmung von der standardisierten Berlin-Liebeserklärung hin zum Charakterdrama kippen. Doch genau so muss es für Sonia Rossi damals auch abgelaufen sein, sodass der Tonfallwechsel hier umso einprägsamer daherkommt.

Florian Gottschick setzt in „Fucking Berlin“ auf „Unter Uns“-Star Svenja Jung, die mit einer Sache so gar keine Probleme zu haben scheint: Nacktheit. Dasselbe gilt für sämtliche Nebendarsteller, denn das Drama geizt dem Thema entsprechend weder mit ausladender Freizügigkeit, noch mit der Erwähnung möglichst vieler Sexpraktiken. Das geht mitunter so weit, dass sich Hauptfigur Sonja in einer minutenlangen Bildmontage alle möglichen Fetische (von Gruppensex über das Einführen von Nagetieren) über sich ergehen lassen muss. Das muss man vertragen können und auch das anschließende Anpinkeln wird ohne das Absetzen der Kamera im Close-Up gefilmt. Gleichzeitig sind all diese Passagen handlungstreibend und finden nicht zum Selbstzweck ihren Platz im Film. Wodurch „Fucking Berlin“ hingegen viele Punkte verliert, sind die bisweilen arg konstruierten Dialoge, die im Zusammenspiel mit den weitestgehend unerfahrenen Schauspielern schon mal den einen oder anderen unfreiwilligen Lacher provozieren. Im Großen und Ganzen findet „Fucking Berlin“ aber zu einer interessanten, den Zuschauer ein ums andere Mal vor den Kopf und in den Magen stoßenden Form, die in Großteilen tatsächlich auch von seinem Setting lebt: Berlin.

FUCKING BERLIN stammt von Florian Gottschick, der zusammen mit Sophie Luise Bauer Leonie Krippendorff und Dominik Stegmann auch das Skript zum Film schrieb. Der Cast besteht unter anderem aus Svenja Jung, Mateusz Dopieralski, Christoph Letkowski, Rudolf Martin und Charley Ann Schmutzler. Bei dem Film handelt es sich um ein Drama mit Komödieneinschlag, produziert in Deutschland aus dem Jahr 2016. Der Film ist hierzulande ungekürzt auf DVD und Blu-ray Disc erhältlich und ab 16 Jahren freigegeben. Die Länge beträgt 100 Minuten.

Fazit

Darstellerisch und inszenatorisch bisweilen holprig, lässt „Fucking Berlin“ doch im Großen und Ganzen die Verwirrtheit erkennen, mit der die Romanautorin die gleichnamige Autobiographie einst verfasste. Genau diese Unsicherheit, gepaart mit kaum zu bändigendem Tatendrang, schwer einschätzbarer Euphorie und tragischer Dramatik springt direkt auf den Zuschauer über. Das ist nie bequem, aber immer überraschend authentisch.

Mein Tipp: kann man kaufen!