The Revenant – Der Rückkehrer

Wenn Ihr 2016 nur einen Film angucken könntet, dann wählt diesen! Ausnahmeregisseur Alejandro González Iñárritu liefert nach „Birdman“ ein weiteres Meisterwerk ab, das den Zuschauer an Grenzen bringen wird, die er bisher noch nicht kannte. THE REVENANT – DER RÜCKKEHRER ist das Paradebeispiel einer Tour de Force und hoffentlich der Film, der Leonardo DiCaprio zu seinem ersten Oscar verhelfen wird. Mehr dazu in meiner Kritik.
The Revenant - Der Rückkehrer

Der Plot

Bei einer Expedition tief in der amerikanischen Wildnis wird der legendäre Jäger und Abenteurer Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) von einem Bären attackiert und von seinen Jagdbegleitern, die überzeugt sind, dass er dem Tod geweiht ist, zurückgelassen. Allein und dem Tode nah, denkt Glass aber nicht daran, aufzugeben. Durch die Liebe zu seiner Familie und durch seinen übermenschlichen Willen zu überleben, begibt er sich auf eine Odyssee, durch einen unerbittlichen Winter und eine feindliche Wildnis. Er folgt  dem Mann, der ihn betrogen hat: John Fitzgerald (Tom Hardy). Was als Rachefeldzug beginnt, mündet in einem heroischen Abenteuer, in dessen Verlauf Glass allen Herausforderungen trotzt. Angetrieben von der Hoffnung, dass ihm am Ende Erlösung widerfährt.

Kritik

Oscar-Preisträger Alejandro González Iñárritu ist als einer der wenigen Regisseure stets darum bemüht, sich und sein Schaffen von Werk zu Werk neu zu erfinden. Nach der verspielten Hollywoodsatire „Birdman oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“, mit welcher der Filmemacher zum Rundumschlag gegen Kritiker, Insider und die Branche selbst ausholte, besinnt sich der 52-jährige Regievirtuose in „The Revenant – Der Rückkehrer“ nun auf eine Art filmische Ursuppe. Dies bezieht sich bei Weitem nicht bloß auf die Tatsache, dass sein 156-minütiges Survival-Epos vollständig ohne künstliches Licht auskommt und damit einzig und allein von dem zehrt, was die Natur für das eigenen Angaben zufolge wochenlang geschundene Filmteam bereithält. Auch die Geschichte selbst ist so alt wie die Kunst an sich; gleichwohl wäre es ein vollkommen falscher Ansatz, aus dieser vermeintlichen Beliebigkeit zu schließen, „The Revenant“ sei inhaltlich wenig substanziell und würde sich ausschließlich auf seine Schauwerte verlassen – im Gegenteil. Alejandro González Iñárritu kennt die Wechselwirkung von Technik und Storytelling ganz genau und sorgt dafür, dass sich diese beiden entscheidenden Elemente herausragend ergänzen. So wird sein von Westernfilmeinflüssen geprägter Überlebenstrip eines – im wahrsten Sinne des Wortes – um sein Leben spielenden Leonardo DiCaprio („The Wolf of Wallstreet“) zu einer rauen Ode an die Schönheit, die in allem steckt. Und damit meinen wir wirklich: in allem!

Die Besinnung auf diesen Grundgedanken ist sogleich die treibende Kraft von „The Revenant“, einem Film, der im Kern von drei Säulen getragen wird. Da wäre zum Einen die atemberaubende (!) Leistung von Leonardo DiCaprio – müßig zu erwähnen, dass er damit auch diesmal erneut im Oscar-Rennen sein dürfte. Zum Zweiten erweist sich Kameramann Emmanuel Lubezki als fast noch maßgeblicher am famosen Gesamteindruck des Films beteiligter Faktor, denn jene Bildgewalten, die der „Gravity“-Filmer hier einfängt, sind von pulsierender Kraft. Bereits innerhalb der ersten zwanzig Minuten wird der Betrachter Zeuge eines brutalen Kampfes, inszeniert als wuchtige Plansequenz („Birdman“ lässt grüßen), in der Morbidität und Ästhetik zu einer Einheit von purer Schönheit verschmelzen, die einen die bisweilen schwer erträglichen Bilder auf groteske Weise genießen lassen. Als dritte Säule funktioniert die Szenerie selbst. Gedreht an Originalschauplätzen ist die spröde Einöde der kanadischen Wildnis goldwert für die durch und durch beklemmende Atmosphäre dieses existenziellen Überlebenskampfs eines Mannes, der trotz der ausladenden Lauflänge von 156 Minuten keine Sekunde zu lang geraten ist.

Was DiCaprios Hugh Glass in seiner auch für den Zuschauer schmerzhaften Odyssee durch diese klirrend-kalten Winterlandschaften für schier unmenschliche Taten begehen und Momente überstehen muss, lässt beim Zuschauer bisweilen durchaus die Frage aufkommen, wie genau es der Regisseur wohl damit genommen hat, die dieser Geschehnisse zugrunde liegende Geschichte 1:1 auf die Leinwand zu übertragen. Hinzu kommen an die philosophischen Träumereien von Terrence Malick („Knight of Cups“) erinnernde Rückblenden, die in ihrer überhöhten Stilistik als direkter Kontrast zur unverfälschten Thriller-Atmosphäre funktionieren. Doch auf die Frage „Braucht man das?“ kommt man schon sehr bald zu der Erkenntnis, dass „The Revenant“ ohne derartiges Beiwerk weitaus weniger eindringlich geraten wäre. Der Film nimmt mit Hugh Glass als mitunter einzigem zur Identifikation einladenden Charakter die Sichtweise eines dem Tode geweihten Siedlers an, der an der Schwelle zwischen Dies- und Jenseits Opfer ebenjener Sinneseindrücke wird, wie sie seit Generationen übermittelt und mittlerweile in der Gesellschaftsfähigkeit angelangt sind. Menschen, die dem Tod knapp von der Schippe gesprungen sind, berichten zuhauf von Visionen des eigenen, an einem in diesem Moment vorbeirauschenden Lebens; dass auch Hugh Glass Derartiges zu berichten weiß, erweist sich darüber hinaus als für die Charakterisierung wichtiger Bestandteil. Die als simple Rückblendungen getarnten Visionen schließen grobe Wissenslücken über seine Herkunft und bilden mit der Zeit das Profil eines Mannes, der nicht mehr bloß Opfer ist, sondern auch Täter.

The Revenant - Der Rückkehrer

Wenngleich das Skript von Iñárritu und Mark L. Smith („Motel“) sich zunächst nicht ganz davon lossprechen kann, innerhalb von Glass‘ Siedlersippe eine gewisse Schwarz/Weiß-Zeichnung einer ausgeprägten Charakterisierung der wichtigsten Figuren vorzuziehen, offenbart „The Revenant“ mit fortschreitender Laufzeit, dass die inszenatorische Struktur eines Rachewestern dem Film zwar seine Richtung weist, die zwischenmenschlichen Konflikte tragen sich hingegen auf weitaus komplexeren Ebenen aus. Tom Hardy („Mad Max: Fury Road“) mimt einen Mann, dessen unterschwellige Existenzängste sich in purer Aggression entladen, die sich gegen alles richtet, was ihn darin bedrohen könnte. Seine Performance eines versteckten Berserkers hat mehr mit seiner Darbietung des verrückten Max im gleichnamigen Action-Manifest zu tun, als es sich zunächst erahnen ließe. Die Furcht und Panik seiner Figur machen diese zu einer einsamen Seele, die fortan nicht mehr bloß gegen (vermeintliche) Feinde, sondern allen voran gegen sich selbst kämpfen muss. Hardy offenbart sich einmal mehr als herausragender Charaktermime, der „The Revenant“ immer dann zu tragen weiß, wenn seine und nicht DiCaprios Figur das Geschehen dominiert. Darüber hinaus wissen auch Domhnall Gleeson („Ex_Machina“) sowie Will Poulter („Maze Runner“), mit ihren kleinen Rollen, eigene, dem Film um eine zerbrechliche Note erweiternde Akzente zu setzen.

„The Revenant – Der Rückkehrer“ bleibt sämtlicher ruhigen Töne zum Trotz jedoch immer noch ein Film, dem man eine Oberflächenspannung anmerkt, die zu jeder Zeit reißen könnte. Alejandro González Iñárritu provoziert zu jeder Sekunde. Doch ein derartiges Kitzeln an den Sehgewohnheiten des Zuschauers hat anders als bei Filmen wie etwa Gaspar Noés „Love“, bei dem Provokation zum Selbstzweck wird, nichts mit gewollter Auseinandersetzung mit dem Zuschauer zu tun. Stattdessen geht Iñárritu ganz einfach über all die Grenzen hinweg, die sich viele Filmemacher setzen, um möglichst wenig anzuecken und ein breites Publikum zufriedenzustellen. Der „Birdman“-Macher sagt sich von all dem los und geht – so sehr es auch nach einer Floskel klingen mag – dahin, wo es weh tut und noch weit darüber hinaus. Seinen faszinierend-brutalen Bildern, die den Zuschauer mehr als einmal zu erschlagen drohen, fügt Iñárritu zwischen den Zeilen immer wieder Elemente hinzu, die sich auf den ersten Blick mit dem Tonfall des Filmes beißen. „The Revenant“ spielt sich Hart an der Grenze des Erträglichen ab und setzt in entscheidenden Momenten trotzdem auf eine Prise von groteskem Humor, der eine Emotionalität forciert, die noch mehr am Zuschauer nagt. Nein, „The Revenant“ ist keine Spazierfahrt. Der Film konfrontiert den Zuschauer mit unmenschlichen Ereignissen und der Frage: „Was würdest Du tun?“ Und sich allein dieser Frage zu stellen, erfordert vom Zuschauer mehr Mut, als das Ansehen der schon jetzt berüchtigten Bären-Szene, die in ihrer Authentizität die Perfektion unterstreicht, mit welcher Alejandro González Iñárritu seinen Film inszeniert hat.

Ob Leonardo DiCaprio für "The Revenant" endlich seinen ersten Oscar erhält?

Ob Leonardo DiCaprio für „The Revenant“ endlich seinen ersten Oscar erhält?

Fazit: „The Revenant – Der Rückkehrer“ zieht seinen Meilensteincharakter nicht aus der bahnbrechenden Geschichte. Um einiges komplexer hätte sie dem Gesamtkunstwerk Film vermutlich nur im Wege gestanden. Hier greifen Momente der Angst, des Triumphes, des Schocks, des Staunens und der Sprachlosigkeit ineinander, denn die Macher schaffen etwas, von dem man glaubte, es wäre Geschichte: Sie kreieren Bilder, die man noch nie gesehen hat – und dafür möchte die Autorin an dieser Stelle die Hand ins Feuer – pardon – in die Eistruhe legen.

„The Revenant – Der Rückkehrer“ ist ab Mittwoch, dem 6. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.

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