Jane Got a Gun

Die Entstehungsgeschichte des auf dem Papier so emanzipatorischen Rachewesterns JANE GOT A GUN ist im Hinblick auf das fertige Endergebnis tatsächlich spannender als der Film selbst. Warum, das verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Der Traum von einem freien und sorglosen neuen Leben in New Mexico währt für Jane (Natalie Portman) nur kurz. Sieben Jahre nachdem sie mit ihrem Mann Bill „Ham“ Hammond (Noah Emmerich) aus den Fängen der ruchlosen Verbrecherbande der „Bishop Boys“ floh und eine Familie fernab der Zivilisation gründete, holen die alten Dämonen sie wieder ein. Die gefürchtete Bande rund um ihren brutalen Anführer John Bishop (Ewan McGregor) hat das Paar aufgespürt und sinnt auf Vergeltung, denn Ham war einst selbst einer von ihnen. Doch Jane ist fest entschlossen, ihr neues Leben und ihre Tochter mit allen Mitteln zu verteidigen und mit den „Bishop Boys“ abzurechnen. Nachdem Ham von der Bande gefasst wurde und mit acht Kugeln im Rücken schwerverletzt um sein Leben ringt, bleibt Jane nur eine Wahl: Sie ruft ihren einstigen Verlobten Dan Frost (Joel Edgerton) zu Hilfe – wohlwissend, dass ihre gemeinsame Vergangenheit zwischen ihnen steht. Zusammen wappnen sie sich auf der Ranch für den großen Showdown…
Kritik
Hin und wieder kommt es vor, dass man den Eindruck bekommt, die Produktionsgeschichte eines Filmes sei spannender als das fertige Werk an sich. Dass es sich beim zunächst von Regisseurin Lynne Ramsey („We Need to Talk About Kevin“) beaufsichtigten Westernfilmprojekt „Jane Got a Gun“ genau um einen solchen Vertreter seines Genres handelt, hätte man angesichts der potenziell durchaus interessanten Idee wohl kaum für möglich gehalten. Seit 2011 schon lässt uns das Internet an der Entstehung des Filmes teilhaben, der auf einem Skript basiert, das sich dato auf der Black List befand – einer Aufzählung von den potenziell bedeutendsten (und bis zu jenem Zeitpunkt unveröffentlichten) Skripts, die aktuell in der Traumfabrik zu finden sind. Schnell konnte „Black Swan“-Schauspielerin Natalie Portman für die Hauptrolle und der der Produzentin gewonnen werden. Und es kündigte sich bei doppelter Frauenpower ein Film an, der insbesondere in der Männerdomäne Western für den notwendigen emanzipatorischen Pfeffer hätte sorgen können. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse und „Jane Got a Gun“ machte noch vor Fertigstellung vorzugsweise Negativschlagzeilen. Zwar konnten nach und nach auch Hollywoodstars wie Joel Edgerton („The Gift“) und Ewan McGregor („Lachsfischen im Jemen“) für den Cast gewonnen werden, doch ausgerechnet die Regisseurin schmiss nach massiven Streitigkeiten und Komplikationen das Handtuch. Kurzerhand sprang Gavin O’Connor („Das Gesetz der Ehre“) ein – und vielleicht erweckt der fertige Film ja gerade dadurch den Eindruck einer Notlösung, die sich aus vielen Elementen jüngerer Westernfilmgeschichte zusammensetzt, eine eigene Handschrift jedoch vermissen lässt.
Es mag möglicherweise abgeschmackt und vorsintflutlich klingen, ist im Anbetracht des nach wie vor in Hollywood vorherrschenden Frauenmangels aber tatsächlich einer Erwähnung wert: Das Hervorstechendste an „Jane Got a Gun“ ist die Wahl der Hauptfigur. Das Drehbuch von Brian Duffield („Die Bestimmung – Insurgent“), Anthony Tambakis („Warrior“) und Joel Edgerton vertraut ganz auf die Zugkraft einer weiblichen Protagonistin und kündigt mit dieser Entscheidung an, wo in „Jane Got a Gun“ jener Mehrwert liegen könnte, den nicht zwingend jeder Film innerhalb des Westernsegments besitzt. Im Anbetracht der Tatsache, dass Hollywood nach wie vor erschreckend zurückhaltend im Schreiben starker Frauenfiguren ist, erweist sich dieses Experiment als ebenso geglückt wie die Charakterisierung von Portmans Figur. Die blonde Schauspielerin funktioniert hervorragend in ihrer Rolle der toughen Rechtlerin und beweist gerade dadurch Stärke, dass sie sich für ihren Plan, das Anwesen ihrer Familie und ihren eigenen Ehemann zu beschützen, Hilfe durch einen echten Revolverhelden sucht. Die Autoren zeichnen ihre Helden weitsichtig und nie unvernünftig, statten sie mit einer enormen Leinwandpräsenz aus und Natalie Portman ist gerade deshalb so perfekt für diese Rolle gemacht, weil ihre Charakterstärke und ihre ausgeprägte Physis im direkten Kontrast zu ihrem zarten Auftreten stehen. Eine komplexe Figur, die „Jane Got a Gun“ durchgehend trägt. Die Probleme dieses Films liegen an anderer Stelle.
Regisseur Gavin O’Connor macht kaum etwas aus dieser interessanten Prämisse und käut vermehrt wieder, was in den vergangenen Jahren schon anderer Genreprojekte auf wesentlich bessere, individuelle Weise vorgemacht haben. Den Fokus auf das Leben einer Frau im Wilden Westen legen, das hat bereits Tommy Lee Jones in „The Homesman“ mit viel feinerer Beobachtungsgabe vollzogen. Die Verteidigung des eigenen Anwesens gegen eine Bande aus Ganoven gab es allein in diesem Jahr schon von John Maclean in „Slow West“ zu sehen. „Jane Got a Gun“ unterscheidet sich lediglich durch die die Inszenierungsdynamik vom Rest und setzt auf (unnötige) Flashbacks, um die (ebenfalls nicht notwendige) Beziehungsgeschichte von Jane und Dan zu beleuchten. O’Connors Film begibt sich dadurch immer weiter weg vom eigentlichen Plot und erzählt mehr oder weniger im Stile einer Seifenoper, was die eigentliche Story verwässert und den Drive aus der Inszenierung nimmt. Und auch eine noch so gut aufspielende Natalie Portman ist in „Jane Got a Gun“ nur so gut, wie es ihre Schauspielkollegen zulassen. Die Interaktion mit Joel Edgerton lebt von viel Gefühl und tiefsinniger Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen. Noah Emmerich („Die Truman Show“) hat als ans Bett gefesselter Verletzter hingegen kaum Möglichkeiten, dem Film zu eigenen Akzenten zu verhelfen und Ewan McGregor ist in seiner Bösewicht-Rolle kaum wiederzuerkennen.
Technisch lässt sich „Jane Got a Gun“ dafür wenig vorwerfen, denn Kamerafrau Mandy Walker („Spuren“) zehrt sichtlich von der Weitläufigkeit der rauen Western-Szenerie. In ruhigen Momenten sorgt sie für eine angenehme Intimität und begibt sich ganz nah an die Gesichter ihrer Figuren heran. Der Score von Marcello De Francisci („Samsara“) und Lisa Gerrard („Das Versprechen eines Lebens“) bleibt indes zurückhaltend. Auch der anhaltende Sepia-Touch macht „Jane Got a Gun“ rührseliger, als er ist. Der Action-Western verdient sich zu keinem Zeitpunkt den Respekt als richtiges Genreprojekt. Wenngleich die Rachethematik, das Setting und der Filmaufbau allesamt Rückschlüsse auf das Westerngenre erkennen lassen, ist „Jane Got a Gun“ zu zäh und zu vorsichtig inszeniert, um hier zu punkten. Stattdessen versucht sich Gavin O’Connor lieber darin, den Fokus auf eine Art der Charakterstudie (einschließlich Liebesgeschichte) zu legen – und dafür hätte es das Etikett „Westernfilm“ dann doch nicht gebraucht.
Fazit: Der von emanzipatorischen Ansätzen geprägte Western „Jane Got a Gun“ besitzt lediglich auf dem Papier das Potenzial des nachhallenden Statements. Doch im Endergebnis präsentiert sich die Rachegeschichte mit einer beeindruckenden Natalie Portman als absolut gewöhnliches Drama, das bei vielen Szenen den Eindruck erweckt, von andren Produktionen geklaut zu haben.
„Jane Got a Gun“ ist ab dem 31. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.