Zwischen den Jahren

Nach seiner preisgekrönten Performance in „Herbert“ spielt Peter Kurth in ZWISCHEN DEN JAHREN einmal mehr eine auf seinen Leib geschriebene Rolle – und glänzt. Mehr zum auf der Berlinale aufgeführten Film verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Nachdem er eine „lebenslängliche“ Haftstrafe verbüßt hat, wird der Mörder Becker (Peter Kurth) in die Freiheit entlassen. Er hat nur ein Ziel: Ein neues Leben zu beginnen und die furchtbare Tat von damals endgültig hinter sich zu lassen. Becker findet einen Job, Freunde und in der einsamen Putzfrau Rita (Catrin Striebeck) sogar eine Frau, die sich für ihn interessiert. Eines Tages aber wird er völlig überraschend von seiner Vergangenheit eingeholt: Der Witwer Dahlmann (Karl Markovics) steht vor ihm, jener Mann, dessen Frau und Tochter er vor 18 Jahren bei einem tragisch aus dem Ruder gelaufenen Einbruch erschossen hatte. Offenbar weiß Dahlmann genau über den Ex-Häftling und dessen neues Leben Bescheid. Becker lässt nichts unversucht, um den Stalker zu besänftigen, fleht ihn an, ihn in Frieden zu lassen. Aber Dahlmann will Rache – und Becker wird klar, dass es scheinbar nur einen einzigen Weg gibt, um die Menschen, die ihm nahestehen, vor dieser Rache zu schützen.
Kritik
Die soziale Wiedereingliederung von schweren Straftätern ist in Deutschland ein vieldiskutiertes Thema. Wer hierzulande zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird, bleibt nur in den seltensten Fällen bis zu seinem Lebensende hinter Gittern. Mit einem guten Anwalt, den entsprechenden, strafrechtlichen Grundlagen und guter Führung kann der zuständige Richter den Rest der Strafe nach 15 Jahren zur Bewährung aussetzen. Es kommt also nicht selten vor, dass Räuber, Mörder oder sogar Triebtäter irgendwann wieder zum Teil dieser Gesellschaft werden wollen; die Folgen davon sind immer wieder Teil der hiesigen Nachrichtensendungen. Da verbündet sich dann schon mal ein ganzes Dorf gegen den gerade aus der Haft entlassenen, in deren Nachbarschaft gezogenen Straftäter, beschmiert Wände und wirft mit Eiern; und selbst unsereins rechtschaffendem Bürger fehlt da in manchen Fällen irgendwie die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden. Erst recht, wenn die Tat mit Kindern im Zusammenhang steht. Filmisch hervorragend aufbereitet, wurde diese moralische Gratwanderung einst von Todd Field. In seiner herausragenden Satire „Little Children“ lässt er einen verurteilten Exhibitionisten in eine gutbürgerliche Wohngegend einziehen und lässt das Drama von Schuldzuweisungen, Getratsche und Selbstjustiz seinen Lauf nehmen. Lars Henning geht mit seinem Film „Zwischen den Jahren“ nun einen weitaus subtileren Weg und heftet sich an die Fersen eines sichtbar geläuterten Mörders, der seine Vergangenheit zwar vor der Umwelt verstecken kann, den die Dämonen der Vergangenheit trotzdem einholen.
Nach seiner preiswürdigen Performance im ALS-Drama „Herbert“ wird Peter Kurth auch in „Zwischen den Jahren“ zu einer schauspielerischen Offenbarung. Das emotional wankelmütige Drama steht und fällt mir der Komplexität seines Charakters Becker, denn bei diesem handelt es sich weder um eine besonders angenehme, noch um eine eindimensional-widerwärtige Figur. Das Anklingen von Mitleid lässt sich im Anbetracht der schwierigen Lage Beckers nicht leugnen; wenn dieser sich an jeden erdenklichen Strohhalm klammert, um auch nur irgendwie in einen geregelten Alltag zurückzufinden, fällt es schwer, ihm das nicht zu gönnen. Es steht sowohl außer Frage, dass Becker geläutert ist, als auch noch immer unter seinem Fehltritt zu leiden hat. Trotzdem stößt er seine Umwelt (und damit auch den Zuschauer) immer wieder direkt vor den Kopf. Als er sich von seinem Mitarbeiter Barat (Leonardo Nigro) dadurch in die Ecke gedrängt fühlt, „endlich mal das Maul aufzumachen“, dann mündet das mitunter in ein beiläufig-aggressives „Ich hab jemanden weggemacht!“, was einen die sich zuvor bereits etablierte Gewissheit ob Beckers emotionaler Reifung für einen Moment infrage stellen lässt. „Zwischen den Jahren“ lebt durchgehend von dieser charakteristischen Ambivalenz; die Faszination für Becker und seinen Werdegang ist selbst in jenen Momenten vorhanden, in denen man ihn weder klar einem „gut“, noch einem „böse“ zuordnen würde. Genau diese Grenzen sind es hier, die verschwimmen und die damit wohl am ehesten den Gemütszustand eines sich selbst aus der Gesellschaft ausgestoßenen Zeitgenossen widerspiegeln – und natürlich streift Autorenfilmer Lars Henning auch die eingangs erläuterte Konfrontation mit der Gesellschaft, wenn er dann doch mal einen Stein durch das geschlossene Küchenfenster fliegen lässt.
Obwohl das Grundszenario ausreichen würde, um einen Spielfilm zu tragen, ist „Zwischen den Jahren“ mitnichten eine ausschließliche Zustandsbeschreibung. Eh sich der eigentliche Konflikt im Film herauskristallisiert, muss die erste Hälfte jedoch erst einmal vergehen. Dass sich die Zeit bis zum entscheidenden Tonfallwechsel nicht allzu sehr schleppt, liegt in erster Linie an dem von Lars Henning und seiner Kameramann Carol Burandt von Kameke („Schrotten!“) herbeigeführten Dickicht an diffuser Spannung. Die visuellen Ausmaße eines Kinofilms besitzt „Zwischen den Jahren“ zwar nicht – der Film könnte ebenso gut auch zur Primetime im deutschen Fernsehen laufen –, doch die spartanisch ausgeleuchteten Sets sowie die immer ganz dicht an der Hauptfigur bleibende Kamera, sorgen gleichermaßen für Intimität wie Bodenständigkeit und einen Hauch surrealistisches Flair, wodurch die anklingende Bedrohung mit der Zeit immer mehr anschwillt. Trotzdem bleibt das Erzähltempo bewusst gediegen; hat sich der Rachthrillerplot um Becker und Witwer Dahlmann jedoch erst einmal seinen Weg freigeschaufelt, geht es in „Zwischen den Jahren“ deutlich flotter zur Sache. Dass sich der Film dann sogar noch in eine ziemlich eindeutige und – ganz wichtig – sehr konsequente Richtung entwickelt, hätte man dem zu Beginn bevorzugt auf Dialoge und stille Beobachtungen konzentrierten Film gar nicht mehr zugetraut. Am meisten überzeugt jedoch nicht der plötzliche Stimmungs- und Genrewechsel, sondern das offene Ende. „Zwischen den Jahren“ lässt einen nach dem Abspann noch lange über ihn nachdenken.
Gegen die einschüchternde Präsenz von Peter Kurth anzuspielen, ist im Falle von „Zwischen den Jahren“ zwar fast unmöglich, doch die wenigen Nebendarsteller komplettieren den Cast auf eine sehr persönliche Weise. Allen voran Karl Markovics („Nebel im August“) überzeugt als vom Schicksal zerfressener, von Rachegelüsten getriebener Witwer, dem vor allem eines gelingt: Als Zuschauer weiß man nie so recht, wie weit dieser Dahlmann nun tatsächlich gehen würde. Sind seine Einschüchterungsversuche einfach nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit, oder steckt dahinter wirklich so viel Verzweiflung, dass Beckers Leben in Gefahr ist? An dieser Stelle fordert Lars Henning den Zuschauer zusätzlich dazu auf, sich in die Lage beider Figuren hineinzuversetzen. Der Regisseur spielt mit den Ambivalenzen beider Figuren, denn irgendwie kann man ja sowohl den Hinterbliebenen, als auch den einfach nur ruhesuchenden Ex-Knacki ziemlich gut verstehen. Catrin Striebeck („Soul Kitchen“) gefällt ebenfalls in der von Beckers Person faszinierten Frau, die zur wohl stärksten Identifikationsfigur für den Zuschauer wird. Die Verunsicherung aufgrund von Beckers geheim gehaltener Vergangenheit ist ebenso nachzuvollziehen, wie der bewusste Versuch, sich davon nicht einschüchtern zu lassen und ausschließlich im Hier und Jetzt leben zu wollen. Dass ihr neuer Lebenspartner im Knast war, weiß sie. Jedoch nicht, weshalb. Eine Entscheidung, die vom Zuschauer gleichermaßen toleriert wie verachtet werden kann.
Fazit: „Zwischen den Jahren“ beginnt als das ruhige Porträt eines geläuterten Mörders, das sich mit der Zeit immer mehr in einen düsteren, jedoch nicht minder spannenden Rachethriller verwandelt. Am Ende steht wieder einmal eine Schuldfrage – und der Zuschauer muss sie ganz alleine beantworten.
„Zwischen den Jahren“ ist ab dem 16. März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.