Girl on the Train

Man kann es Niemandem verübeln, wenn im Anbetracht der Vermarktung von GIRL ON THE TRAIN automatisch Erinnerungen an David Finchers Meisterwerk „Gone Girl“ wach werden. Doch mit Ausnahme einer ähnlich starken Hauptdarstellerin könnten beide Filme in Sachen Qualität unterschiedlicher kaum sein. Mehr dazu in meiner Kritik.Girl on the Train

Der Plot

Rachel Watson (Emily Blunt) hat ihre Scheidung noch nicht annähernd verkraftet. Jeden Tag nimmt sie den Pendlerzug nach Manhattan und zurück – reine Beschäftigungstherapie, denn Rachel hat ihren Job schon vor Monaten verloren. So fährt Rachel jeden Morgen und jeden Abend an dem Haus vorbei, in dem sie mit ihrem Ex-Mann Tom (Justin Theroux) gewohnt hat. Tom lebt immer noch hier – mit seiner neuen Frau Anna (Rebecca Ferguson) und dem gemeinsamen Baby. Um sich von ihren finsteren Gedanken abzulenken, widmet sich Rachel lieber den Bewohnern der Beckett Road Nummer 15, nur wenige Häuser weiter. Megan (Haley Bennett) und Scott (Luke Evans) sind attraktiv und wirken glücklich. In Rachels Fantasie sind sie das perfekte Paar. Eines Tages sieht Rachel durchs Zugfenster etwas Schockierendes: Megan küsst einen Mann, der definitiv nicht Scott ist. Als Megan wenig später vermisst wird und von einem Verbrechen ausgegangen werden muss, erzählt Rachel der Polizei, was sie gesehen zu haben glaubt. Doch schon bald ist sich Rachel selbst nicht mehr sicher, was sie eigentlich beobachtet oder womöglich selbst getan hat…

Kritik

Der 2015 von Paula Hawkins geschriebene Thrillerroman „Girl on the Train“ hat direkt nach seiner Erscheinung die weltweiten Bestsellerlisten geentert und obendrein seine Leser schockiert. Ersteres lässt sich schnell nachprüfen, Letzteres hingegen entnehmen wir lediglich der Werbeaussage des deutschsprachigen Plakats und können es im Anbetracht des fertigen Films gar nicht so recht glauben. Die Geschichte um eine alkoholkranke Depressive, die ein Verbrechen mitbekommt und dieser Wahrnehmung irgendwann aber selbst nicht mehr so recht trauen kann, taugt auf dem Papier als passable Suspense-Grundlage, doch Regisseur Tate Taylor („The Help“) macht aus ihr nicht mehr als einen weitestgehend austauschbaren Krimi, der nur deshalb einen Hauch mehr Spannung besitzt als die meisten seiner Vertreter, weil er die mit diversen Zeitsprüngen versehene Erzählform aus dem Roman beibehält. Ein billiger Schachzug um Spannung zu kreieren, wo eigentlich keine ist. An anderer Stelle entfernt sich das Skript von Erin Cressida Wilson („#Zeitgeist“) dafür unpassend weit von der Vorlage weg. Das schlägt sich in erster Linie bei den Figuren nieder. Aus einer dreiköpfigen Frauenkonstellation, in der jede von ihnen ein anderes Charakterextrem verkörpert, wird ein monotoner Weiberhaufen, aus dem Emily Blunts Hauptfigur nur aus dem Grund hervorstechen kann, weil sie noch viel abgefuckter ist, als die anderen beiden Grazien.

Haley Bennett

Megan (Heley Bennett) gerät ins Visier von Rachel, die sie jeden Tag aus dem Zug beobachtet. Plötzlich ist sie verschwunden…

Emily Blunt ist der ganz große Trumpf von „Girl on the Train“. Ohne die äußerst starke Darstellerleistung des „Sicario“– und „Edge of Tomorrow“-Stars wäre das Thrillerdrama noch weitaus unauffälliger, als es das ohnehin schon ist. Blunt durchsetzt ihre Figur der niedergeschlagenen Rachel mit so vielen abgrundtiefen Facetten aus Angst, Weltschmerz, Trauer und manischer Aggression, dass sie sich von Anfang an als schwer einschätzbare Hauptfigur erweist. Die wenig vertrauenserweckende Attitüde Rachels wirkt sich auch auf den Film selbst aus. Im Zusammenspiel mit den vielen Flashbacks, in die schon bald auch die anderen beiden Frauenfiguren miteinbezogen werden, ergibt sich ein Konstrukt aus Ereignissen, deren Wahrheitsgehalt sich der Zuschauer nie sicher sein kann. Man könnte „Girl on the Train“ schließlich auch chronologisch als klassischen Whodunit-Thriller erzählen, doch die Autorin war sich wohl schon zum Zeitpunkt der Romankonzeption bewusst, dass der eigentliche Kriminalfall nicht mit der spektakulären Erzählweise mithalten kann. Im Fokus steht nämlich im Grunde nur die Frage, wer für das Verschwinden einer Frau verantwortlich ist. Im Falle des Romans hatte das auch noch eine gewisse Tragweite; hier sind die Charaktere nämlich alle mit einem ähnlich komplex-fordernden Profil versehen wie Rachel. In der Filmfassung hingegen sind Anna, Megan sowie ihre beiden Gatten nur noch Staffage, die dafür wiederum viel zu viel Screentime zugestanden bekommen. Wenn „Girl on the Train“ also nicht gerade aus Rachels Sicht weitererzählt wird, kommt die Geschichte nur arg schleppend voran.

So oft wie „Girl on the Train“ in der Anfangsphase zwischen den einzelnen Erzählpositionen Rachel, Megan und Anna hin- und herspringt, geht man als Zuschauer zwangsläufig davon aus, dass genau dieser permanente Perspektivwechsel irgendwann noch ausschlaggebend dafür ist, wie der Vermisstenfall um Megan am Ende aufgelöst wird. In Wirklichkeit trägt dieses verschwurbelte Storytelling lediglich zu einer Verkomplizierung der Umstände bei. Dass Rachel unberechenbar ist, wird jedem klar, der in den Anfangsminuten ihren Alkoholkonsum verfolgt und die anderen beiden Damen eignen sich nur schwer dazu, Sympathien für sie zu entwickeln. Sowohl Anna als auch Megan haben den Charme vollkommen spleenbefreiter Furien, wie sie nicht einmal in US-amerikanischen Dramaserien der Neunziger ihre Verwendung gefunden hätten. Wenn Megan dann plötzlich verschwindet, muss man sich regelrecht zwingen, der Auflösung dieses Verbrechens entgegenzufiebern; so sehr geht einem die Figur der kreischenden Furie bis dato auf die Nerven. Vereinzelte Traumsequenzen und stilistisch überhöhte Szenen, die sich im Moment ihrer Einblendung noch überhaupt nicht einordnen lassen (Stichwort: Babyklau) verschaffen dem Film aber immerhin punktuell Spannung, die hauptsächlich aus der kollektiven Verwirrtheit entsteht, die „Girl on the Train“ provoziert. Eine atmosphärische Dichte vermisst man hier indes konsequent, obwohl sich Kamerafrau Charlotte Bruus Christensen („Life“) und Filmkomponist Danny Elfman („Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“) alle Mühe geben, bedrückende Bilder und einen beunruhigend wabernden Klangteppich zur zusätzlichen Spannungserzeugung zu kreieren.

Welche Beobachtung hat Rachel (Emily Blunt) in dieser Unterführung gemacht?

Welche Beobachtung hat Rachel (Emily Blunt) in dieser Unterführung gemacht?

Obwohl man selbst im Anbetracht der vielen Wechsel innerhalb der Erzählperspektiven irgendwann darauf kommen wird, wie die einzelnen Handlungsstränge nun eigentlich miteinander zusammenhängen, bleiben bis zuletzt viele Kleinigkeiten ungeklärt. Das Skript zu „Girl on the Train“ wirkt vereinzelt gar mit einer solch heißen Nadel gestrickt, dass es scheint, als hätte man in Sachen Glaubwürdigkeit Kompromisse eingehen müssen, um wenigstens einen Teil des Plots zu einem passablen Ende zu bringen. Würde man die Ereignisse nämlich chronologisch erzählen, würde auffallen, dass manche Dinge zu bestimmten Zeiten gar nicht passiert sein könnten, weil sie sich mit Ereignissen an anderer Stelle überschneiden würden. Entsprechend unausgegoren wirkt dann auch der Schlussakt, in welchem „Girl on the Train“ immerhin halbherzig die Emanzipationskeule schwingt; im Eilverfahren, sodass der eigentliche Wert der im Kern so starken Frauenfiguren fast schon wieder verschütt geht. Dass die Herren der Schöpfung da erst recht nichts mehr mitzureden haben, ist da kaum mehr eine Erwähnung wert. Justin Theroux („Zoolander No. 2“) und Luke Evans („High-Rise“) sind in „Girl on a Train“ nicht mehr als ein schmuckes Anhängsel ihrer Frauen, was in Bezug auf die immerwährende Genderdiskussion in Hollywood ja fast schon wieder konsequent ist.

Fazit: Die sehr starke Performance von Emily Blunt kann nicht darüber hinweg täuschen, dass „Girl on the Train“ als Thrillerdrama nur mäßig spannend ist. Die unnötig komplizierte Erzählweise und die daraus resultierenden (Pseudo-)Twists vermögen es nicht, die mangelnde Spannung des eigentlichen Kriminalfalles auszugleichen.

„Girl on the Train“ ist ab dem 27. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

Und was sagst Du dazu?