Der Spion

Das Agentendrama DER SPION erzählt mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle die wahre Geschichte einer ungewöhnlichen, riskanten Freundschaft, die eine weitere Eskalation des Kalten Krieges verhindert hat. Ob das sehenswert ist, verraten wir in unserer Kritik.

OT: The Courier (UK/USA 2020)

Der Plot

Die Sowjetunion fährt beim nuklearen Wettrüsten während des Kalten Krieges einen immer aggressiveren Kurs. Der russische Oberst Penkovsky (Merab Ninidze) nimmt daher mit amerikanischen Behörden Kontakt auf. Er ist willens, Informationen in Hinblick auf das nukleare Potenzial seiner Heimat zu teilen. Jedoch erweist sich der Informationsaustausch, wenig überraschend, als überaus heikel: Über die üblichen Kanäle läuft Penkovsky große Gefahr, vom KGB enttarnt zu werden. Erst eine Zusammenarbeit zwischen der CIA und dem MI6 verspricht Hoffnung: Sie wollen den unauffälligen Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch) in ihre Mission einspannen. Er hat schon in Osteuropa Geschäfte gemacht, ohne dass es Komplikationen gab. Eine Expansion nach Moskau würde da keinen Verdacht aufkommen lassen – und ihm die Option geben, als heimlicher Kurier zu dienen, der den Westmächten das Wissen Penkovsky beschafft. Aber kann der unerfahrene Wynne diese wichtige Aufgabe meistern?

Kritik

Benedict Cumberbatch ist so etwas wie der stille Pate des modernen, ruhigen Spionagekinos. Er hatte eine Nebenrolle in „Dame, König, As, Spion“, dem potentiellen Primus im dramatischen, entschleunigten Agentenkino der 2010er-Jahre. Und dann übernahm er die Hauptrolle in „The Imitation Game“, das zwar primär als Biopic über Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker Alan Turing einzuordnen ist. Doch da der Film einen Schwerpunkt auf jene Zeit setzt, in der die Briten sich bemühen, während des Zweiten Weltkriegs verschlüsselte Botschaften der Nazis zu entziffern, kann man ihn durchaus auch als Spionagefilm sehen. Mit „Der Spion“ vereint Cumberbatch quasi die zwei oben genannten Filme: Wie „Dame, König, As, Spion“ handelt „Der Spion“ (wie der deutsche Filmtitel auch unmissverständlich klar macht) ausführlich von Spionagearbeit, die hier in realistischer Alltäglichkeit geschildert wird. Keine explosiven Gadgets wie bei James Bond, keine schwindelerregenden Stunts wie bei „Mission: Impossible“. Stattdessen geht es um Papierkram, wortkarge Treffen, kleinste Gesten, verborgenen Datenaustausch und viel, viel Planung. Und noch mehr Warterei. Und wie „The Imitation Game“ ist dies nicht etwa lebensnahe Fiktion der Marke „Dame, König, As, Spion“, sondern die fiktionalisierte Dramatisierung einer wahren Geschichte.

CIA-Agentin Emily Donovan (Rachel Brosnahan) und Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch).

Bloß geht „Der Spion“ die Einmaligkeit dieser beiden Vergleichsfilme ab. Weder ist er so emotional aufgeladen wie das Biopic über den Mann, dem wir Computer zu verdanken haben und der seine Sexualität versteckt hielt, noch ist es ein derart feingliedrig erzählter, punktgenau eingefädelter Slowburn-Spannungsfilm wie die unter anderem mit Gary Oldman und Tom Hardy aufwartende Adaption eines Romans von John le Carré. Stattdessen ist „Der Spion“ eine Art Blaupause für das entschleunigte Agentenkino, der ungeplante Mittelwert, das, was passiert, wenn man den schon genannten Filmen, Steven Spielbergs „Bridge of Spies“, „Die Agentin“ mit Diane Kruger und Co. die Alleinstellungsmerkmale abfeilt. Das liegt einerseits an der fähigen, aber auch auf charakterlose Weise routinierten Regieführung, mit der Dominic Cooke („Am Strand“) dieses Drama abwickelt. So ist die Bildsprache des Films zwar durchweg atmosphärisch, jedoch wählen Cooke und Kameramann Sean Bobbitt („Judas and the Black Messiah“) eine sehr offensichtliche, Esprit missen lassende Lichtsetzung und Farbästhetik. Braun für die staubig-starre, von Bürokratie geleiteten Westmächte, eisig-blaugraue Filter für die kühle Sowjetunion. Solche simple Farbtricks sind zwar Alltag, und auch viele hervorragende Filme über den Kalten Krieg gingen ähnlich vor, doch Filme wie etwa „Bridge of Spies“ legen da dann doch noch eine zusätzliche Dimension in ihre Ästhetik. „Der Spion“ dagegen ruht sich auf einem soliden, unaufgeregten Level aus – erst, wenn im dritten Akt Greville Wynne in beengten Räumen beklommene Gefühle überkommen, baut Cooke die Bildsprache weiter aus und versetzt uns in die Fußstapfen des Titelhelden.

„‚Der Spion‘ eine Art Blaupause für das entschleunigte Agentenkino, der ungeplante Mittelwert, das, was passiert, wenn man den schon genannten Filmen, Steven Spielbergs ‚Bridge of Spies‘, ‚Die Agentin‘ mit Diane Kruger und Co. die Alleinstellungsmerkmale abfeilt.“

Auch erzählerisch braucht „Der Spion“ Zeit, um Fuß zu fassen: Greville Wynne wird als austauschbare, langweilige Person mit dezentem Alkoholproblem eingeführt – weitere Charakterzüge offenbaren sich erst später. Was womöglich als „Erst in der Anspannung zeigt Greville Wynne sein wahres Gesicht – paradoxerweise also dann, wenn er die Wahrheit vertuschen muss“-Kniff gedacht war, geht im Skript von Tim O’Connor jedoch nicht auf. Stattdessen begegnen wir einer Protagonisten-Blaupause, bei der sich die Frage aufdrängt, wo sie den Mut und die Überzeugung her nimmt, sich für diesen Spionagejob einspannen zu lassen. Zwar werden generische Gründe genannt, verwirklicht und begreiflich gemacht werden Wynnes Motivationen hingegen nicht. Das schmälert die Fallhöhe des Films, und so dauert es bis Wynne und sein Informant Freunde werden, damit „Der Spion“ einen emotionalen Kern findet. Der überzeugt jedoch, dank Cumberbatchs filigranem Spiel und einem nuanciert agierenden Merab Ninidze.

Greville Wynne ist die Unauffälligkeit in Person.

Fazit: „Der Spion“ ist solides, doch auch unscheinbares, geradezu austauschbares Agentenkino der ruhigen Art. Große Fans von „Bridge of Spies“, „Dame, König, As, Spion“ und Co. bekommen hier einen kompetent, wenngleich wenig einprägsamen Fix von dem geboten, das sie mögen. Alle Anderen schauen nur rein, wenn sie Cumberbatch-Komplettist:innen sind.

„Der Spion“ ist ab dem 1. Juli 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Clemens Stein

    Dieser Film ist sehr authentisch und wird niemals langweilig. Diese Rezension ist ein Witz und spielt diesen wunderbaren und einprägsamen Film herunter… unfassbar…

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