Die Farbe der Sehnsucht

Regisseur und Kameramann Thomas Riedelsheimer schickt sich in einem dokumentarischen Essay DIE FARBE DER SEHNSUCHT an, dem universellen Gefühl der Begierde auf den Grund zu gehen. Weshalb der Film einen Blick wert ist, das verrate ich in meiner Kritik. 

Darum geht’s

Katar, Portugal, Mexiko, Japan und Deutschland sind die Orte, an denen der vielfach ausgezeichnete Regisseur und Kameramann Thomas Riedelsheimer „Die Farbe der Sehnsucht“ sucht. Er trifft auf Menschen, die ihr Glück unter Wasser, im Träumen an ein besseres Leben, als Sprayer in einem Ghetto, oder in der Arbeit darin suchen (und finden?), Menschen vor dem Suizid zu bewahren. Mit großen Bildern, Musik, Gedichten und acht berührenden Geschichten über Liebe, Heimat, Hoffnung, Natur und Freiheit erzählt er von der Tragik und der Freude Mensch zu sein.

Kritik

Der Begriff „Sehnsucht“ beschreibt die Begierde nach einer bestimmten Sache. Das kann eine Person sein, ein Ort oder ein Gefühl; und gerade weil dieser Terminus so mannigfaltig verstanden werden kann, ist er die ideale Grundlage für das dokumentarische Essay von Thomas Riedelsheimer, dessen neuer Film „Die Farbe der Sehnsucht“ genau diesem emotionalen Bedürfnis auf den Grund geht. Der auch als Dozent an der Filmakademie Baden-Württemberg lehrende Riedelsheimer ist ein geübter Dokumentarfilmer. Kunst hat es ihm dabei besonders angetan. Zu den bekanntesten Werken des Grimmepreisträgers gehört unter anderem „Breathing Earth: Susumu Shingus Traum“, ein filmisches Denkmal für den gleichnamigen, japanischen Bildhauer. Auch in „Die Farbe der Sehnsucht“ streift Riedelsheimer Kunst- und Kulturthemen immer mal wieder, doch in erster Linie beobachtet er eine Handvoll Menschen bei ihrem täglichen Tun und Machen. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei jedoch nicht auf das, was da am Ende des Tages bei herauskommt, sondern auf deren damit einhergehenden Gedanken. Wovon träumen so unterschiedliche Zeitgenossen wie ein Taucher aus Kuba, ein Abiturient aus München oder ein armer Einwanderer aus Portugal? Wo überschneiden sich Sehnsüchte und wo widersprechen sie einander? Und lässt sich „Sehnsucht“ vielleicht doch allgemeingültig definieren?

Die vierzigjährige Layla erzählt von ihrem Leben als Muslima in Katar.

Eines ist klar: Eine wissenschaftliche Erklärung für die Sehnsucht an sich will Thomas Riedelsheimer nicht liefern. Damit ist die Genreeingrenzung „Doku“ direkt irreführend, denn auch, wenn „Die Farbe der Sehnsucht“ kein Spielfilm ist, so ist der journalistische Mehrwert des Films wiederum zu gering, um hier davon auszugehen, der Zuschauer ginge am Ende aufgeklärter aus der Vorstellung, als hinein. Riedelsheimers Projekt ist kein Lehrfilm und auch keine Aneinanderreihung von Informationen. Vielmehr fühlt man sich als Betrachter so, als sähe man sich gerade einen filmgewordenen Bildband an. Die eingestreuten Interviewsequenzen der insgesamt sechs verschiedenen Protagonisten liefern dazu so etwas wie einen erläuternden, einordbaren Überbau, der die gezeigten Sequenzen thematisch verortet. Bei einer Laufzeit von etwas mehr als eineinhalb Stunden ist für die sechs einzelnen Schicksale natürlich nur relativ wenig Platz. Aber es genügt, damit sich aus den rudimentär erzählten Kurzgeschichten am Ende ein einprägsames Gesamtkunstwerk ergibt. Dieser „besprochene Bilderbogen“ punktet dann nämlich nicht bloß mit großen, starken und vor allem unverfälschten Bildern (Kamera und Schnitt stammen ebenfalls von Thomas Riedelsheimer), sondern auch damit, dass das Gezeigte in seiner fehlenden Interpretation einfach für sich stehen bleibt. Wir hören den Protagonisten dabei zu, wie sie ihr Innerstes im Moment nach außen kehren – und das war’s! Wo andere Filmer sich nun der weltpolitischen oder kulturellen Einordnung annehmen würden, belässt es Riedelsheimer dabei. Sein „Die Farbe der Sehnsucht“ ist ein ganz simples Stück Kino, das so nur noch besser (da vollkommen frei von emotionaler Manipulation) in verschiedene Kulturen und Ethnien einzutauchen vermag.

Eine solch inszenatorische Reduktion mag mit Sicherheit nicht Jedermanns Sache sein. Ein unterhaltsames Gegengewicht dazu bildet indes die thematische Bandbreite, bei der – so sehr es auch nach einer Floskel klingen mag – für jeden Geschmack etwas dabei ist. Die sechs Geschichten erzählen unter Anderem von einer vierzigjährigen Frau aus Katar, die von ihrem Bemühen erzählt, ihren strengen muslimischen Glauben mit dem Leben einer modernen Frau zu verbinden; gleichsam geht es aber auch um einen pensionierten Polizisten in Japan, der es sich im Ruhestand zur Aufgabe gemacht hat, Selbstmörder von ihrem todbringenden Sprung von einer Meeresklippe zu bewahren. Dann wiederum bleibt Thomas Riedelsheimer in Deutschland, wenn er sich den Gedanken eines Münchner Abiturienten annimmt, der nach dem Schulabschluss und dem Suizid eines Mitschülers nicht so richtig weiß, was das Leben eigentlich für ihn bedeutet. Ganz anders der kubanische Taucher Alfredo, der in „Die Farbe der Sehnsucht“ vom schlimmsten Herzschmerz seines Lebens erzählt – und davon, wie eine junge Frau ihn davon heilen konnte. Es sind immer nur kurze Einblicke, die uns die Menschen in ihr Leben gewähren. Manche mögen spannend, andere weniger spannend auf uns wirken. Vor allem aber haben sie alle eines gemeinsam: Die von ihnen angesprochenen Probleme existieren im Jetzt. „Die Farbe der Sehnsucht“ befindet sich zu jeder Zeit auf der Höhe mit seinem Publikum; hier ist nichts gestellt, Niemand gibt sich für etwas Anderes aus, als er ist. Im Grunde ist das alles fast zu unspektakulär, um daraus überhaupt einen Film zu machen. Doch gerade darin besteht auch der Reiz an Riedelsheimers Werk.

Für „Die Farbe der Sehnsucht“ begab sich der deutsche Regisseur Thomas Riedelsheimer einmal rund um den Erdball.

Zum von Terror, Stress und Hektik geprägten Weltgeschehen bildet „Die Farbe der Sehnsucht“ eine hochemotionale Gegenthese. Der Film lässt den Zuschauer für den Moment des Kinobesuchs sich auf das Notwendigste besinnen und schafft es so, in ihm genau das Gefühl freizusetzen, womit sich die Dokumentation dem Titel zufolge ohnehin beschäftigt. Das Publikum lernt nicht bloß die Bedürfnisse der sechs Hauptfiguren besser kennen, sondern mit ein bisschen Glück auch seine eigenen Sehnsüchte. Ganz ohne emotional beeinflussende Musik oder gezielte visuelle Manipulation lässt Riedelsheimer seine Protagonisten die richtigen Worte finden und verzichtet obendrein auch weitestgehend auf ein (hier eher störendes) Voice-Over. Nur in Ausnahmefällen hilft ein Off-Kommentar, das Geschehen besser einzuordnen, wenngleich auch das eigentlich überhaupt nicht nötig wäre. Ein solches Kinoerlebnis ist gewiss nichts für Adrenalinjunkies. Auf dem falschen Fuß erwischt, lässt sich „Die Farbe der Sehnsucht“ möglicherweise auch einfach als halbgare Aneinanderreihung von sechs einzelnen, unfertigen Filmen betrachten, die in Ermangelung an ausreichend Material einfach zusammengeschnitten und unter dem dehnbaren Oberbegriff „Sehnsucht“ zu einem einzelnen Film gemacht wurden. Wer sich indes auf die entschleunigende, sinnsuchende Wirkung von Riedelsheimers stark bebildertem Essay einlassen kann, für den kann all das hier eine fast schon hypnotische Wirkung haben.

Fazit: Entschleunigung pur! Thomas Riedelsheimers Dokumentarfilm „Die Farbe der Sehnsucht“ ist eine Reise rund um den Erdball, der dabei verschiedene Schicksale streift und uns für eineinhalb Stunden vor Augen führt, wie unterschiedlich die Prioritäten sind, die sich jeder Einzelne von uns setzt. Das ist zwar ohne journalistischen Mehrwert, dafür voll von visionärem Minimalismus – und damit einfach schön!

„Die Farbe der Sehnsucht“ ist ab dem 1. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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