Coming In

Der Regisseur von „Sommersturm“ wagt sich in COMING IN noch einmal an einen Film, in deren Mittelpunkt die Frage nach der eigenen sexuellen Ausrichtung steht. Dabei macht er einige ärgerliche Fehler, insgesamt ist seine Komödie jedoch erstaunlich originell geraten. Näheres zum Film, in dessen Mittelpunkt die beiden Schauspieler Kostja Ullmann und Aylin Tezel stehen, verrate ich in meiner neusten Kritik.

Der Plot

Tom Herzner (Kostja Ullmann) ist attraktiv, glamourös und erfolgreich. Er ist Berlins bekanntester Friseur und Star der Schwulenszene. Seine Kosmetikprodukte erobern halb Europa – aber eben nur halb, denn bisher verkauft er lediglich Shampoo für Männer. Um den Markt komplett aufzurollen, muss Tom herausfinden, was Frauen wollen. Seine Feldstudie führt ihn ins tiefste Neukölln, in den Salon der selbstbewussten Heidi (Aylin Tezel). Kiez trifft Glamour – das kann nicht gut gehen. Dennoch: Wider Willen ist der eingebildete Tom schwer beeindruckt von Heidis frecher Direktheit. Und sie entdeckt hinter Toms gestylter Fassade sehr bald einen verblüffend einfühlsamen Kollegen. Wie jetzt? Verliebt Heidi sich etwa in einen Schwulen? Tom weiß selbst nicht, wie ihm geschieht. Eine Frau? Was Tom und Heidi fühlen, passt in keine Schublade und Toms erste Gehversuche in der Welt der Heteros bleiben nicht ohne Komplikationen.

Kritik

Filme über die Wichtigkeit sexueller Selbstbestimmung sind in Deutschland ein zweischneidiges Schwert. Die Anzahl explizit auf die homosexuelle Zielgruppe zugeschnittener Produktionen ist nicht gering. Und doch konzentrieren sich Gay-Filme zumeist auf das Dramagenre und sind in ihrer Inszenierung nicht unbedingt für die breite Masse geeignet. Kein Wunder, dass es in einigen Elektromärkten gar spezielle „Regenbogenbereiche“ für Filme der Marke „Brokeback Mountain“ oder „Freier Fall“ gibt. Doch innerhalb der Zielgruppe ist es wohl kaum mehr notwendig, Vorurteile abzubauen und mit Klischees aufzuräumen. Das haben vielmehr all jene nötig, die mit derartigen Thematiken und zwangsläufig Filmen eher wenig am Hut haben. Umso lobenswerter ist da der Grundgedanke des selbst schwulen Regisseurs Marco Kreuzpaintner, dessen Romanverfilmung „Krabat“ begeisterte und der das Thema gleichgeschlechtliche Liebe in „Sommersturm“ schon einmal mit viel Fingerspitzengefühl behandelte. Seine Komödie „Coming In“, unübersehbar ein Wortspiel, das auf den Begriff Coming Out, also das Bekenntnis, homo- oder bisexuell zu sein, anspielt, schlägt unübersehbar in die Kerbe gängiger Deutschkomödien, überrascht jedoch mit gewitzter Ehrlichkeit und einem toll besetzten Protagonistenpärchen. Leider krankt auch „Coming In“ hier und da am Aufgreifen gängiger Klischees und zeigt sich nicht immer ganz schlüssig darin, ob die Macher nun Vorurteile abbauen oder des Humors wegen schüren wollen.

Im Mittelpunkt von „Coming In“ steht von Beginn an ein Schwuler, der daraus nicht bloß keinen Hehl macht, sondern in seiner Szene gar ein echtes Idol ist. Zu seinen Freunden gehören die Herausgeber des fiktiven Homosexuellenmagazins „Andersrum“ und auch in der Öffentlichkeit zeigt er sich selbstbewusst mit seinem Lebenspartner Robert (Ken Duken). Die Idee, aus der Figur des charismatischen Friseurs einen Hetero zu machen, ist nicht bloß originell, sondern auch ein Thema, das viele Stolperfallen birgt. Ebenjene umgeht Kreuzpaintner, der auch das Drehbuch mit verfasste, nicht immer. Wenngleich er sich ganz offensichtlich Mühe gibt, die sexuelle Ausrichtung diverser Figuren nicht in den Mittelpunkt zu stellen oder gar für maue Gageinlagen zu Rate zu ziehen, offenbart das Skript stellenweise echte Schwachpunkte. Die Figuren, allen voran das Redakteurteam um Hanno Kofler („Freier Fall“), August Zirner („Obendrüber da schneit es“) und Bruno Eyron („Ein Fall von Liebe“) erweist sich rasch als Stereotypenparade, die nicht selten für Pointen herhalten muss. Auch wenn etwaige Gags nie auf Kosten der homosexuellen Lebensweise gehen, übertreibt Kreuzpaintner insbesondere dann, wenn er von seinen Schauspielern erwartet, als schwuler Charakter Präsenz zu zeigen. Das hat nichts mit Subtilität zu tun; sämtliche Nebenfiguren tragen ihre sexuelle Ausrichtung – im übertragenen Sinne – mitten auf der Stirn stehen. Den Ausgleich zu derart grobmotorischer Charakterzeichnung schafft allerdings derjenige, auf dem ohnehin das Hauptaugenmerk liegt. Kostja Ullmann („A Most Wanted Man“) ist als Protagonist Tom schlicht hervorragend besetzt und funktioniert nicht nur im Zusammenspiel mit seiner zuckersüßen und vor natürlichem Charme nur so sprühenden Filmpartnerin Aylin Tezel („Am Himmel der Tag“), sondern nimmt mit seiner zurückhaltend-selbstverständlichen Art jedwede aufgesetzte Spannung aus den Szenen, in denen er auftritt.

Marco Kreuzpaintner versucht in „Coming In“, zwei Thematiken gleichermaßen aufzugreifen. Auf der einen Seite erzählt er von der ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen Starfriseur Tom und der bürgerlich normalen Heidi, auf der anderen Seite blickt er auf die Schwulenszene und den Umgang der Angehörigen mit der Tatsache, dass Tom zu dieser bald vielleicht gar nicht mehr gehören wird. Wie nah an der Realität vor allem letzterer Punkt betrachtet wird, lässt sich nicht immer ganz herauslesen. Eine Szene, in welcher ein Christopher-Street-Day-Wagen enthüllt wird, ist derart kurios, dass man als Zuschauer gar nicht anders kann, als hieraus einen Seitenhieb auf die Szene zu lesen. Doch trotz unausgegorener Handlungsstränge findet „Coming In“ tatsächlich irgendwann zu einer ansehnlichen Balance. Zwar verzichtet der Regisseur nie in Gänze auf das Aufgreifen von Klischees. Wenn Tom etwa im Berliner Stadtbezirk Neukölln eintrifft, ertönen sogleich orientalische Klänge. Doch nach einer gewissen Laufzeit offenbart sich der Grundgedanke sämtlicher Beteiligter, den „Coming In“ inne hat. Der Streifen, der für eine deutsche Komödie erstaunlich wenig Klamauk beinhaltet, erweist sich nach und nach als Film, der sich eben nicht auf das Beseitigen von Vorurteilen beschränkt. Dazu würde es der Produktion ohnehin an der notwendigen Erzähltiefe fehlen. Stattdessen konzentriert sich „Coming In“ darauf, hervorzuheben, das Individualität eine der wichtigsten Freiheiten ist, die einem als Mensch mitgegeben wurde. Originell ist dieser Ansatz nicht und auch trotz dieses lobenswerten Inhalts bleibt der Streifen ein auf moderne Sehgewohnheiten getrimmtes Vergnügen. Haben Tom und Heidi erst einmal ihre Gefühle füreinander entdeckt, folgt das Drehbuch den Prinzipien gängiger Romantic Comedies, deren Ausgang weder verwundert, noch überrascht. Trotzdem kann der Streifen in seinen Hochphasen mitreißen. Auch deshalb, weil es der Message zwar an Originalität mangelt, sie jedoch auf gar keinen Fall falsch oder gar verwerflich ist.

Dass dies gelingt ist allen voran den beiden Hauptdarstellern zu verdanken. Kostja Ullmann und Aylin Tezel spielen nicht bloß jeder für sich hervorragend authentisch, sondern sind gerade als Paar absolut liebenswert. Vor der Kulisse der von Daniel Gottschalk („Die vierte Macht“) stylisch eingefangenen Spree-Metropole Berlin schmachten sich die beiden Protagonistinnen so glaubhaft an, dass es schlicht nicht verwundern würde, sollte es zwischen den zwei Schauspielern während des Drehs wirklich gefunkt haben. Auch weitere Nebendarsteller wie Frederic Lau („Das Leben ist nichts für Feiglinge“) als fanatischer Fußballfreak und Freund Heidis sowie die stets unterkühlt wirkende Katja Riemann, die in „Coming In“ eine angenehme Selbstironie beweist, fügen sich sehenswert ins Ensemble. Einzig Denis Moschitto („Rubbeldiekatz“) als Toms Chauffeur mit anklingender Macho-Attitüde agiert auf Sparflamme.

Tom (Kostja Ullmann) und Heidi (Aylin Tezel) kommen sich beim gemeinsamen Essen näher.

Fazit: „Coming In“ tut sich zu Beginn schwer, den richtigen Erzählton zu finden. Auch dank eines stimmigen Ensembles gelingt dem Film jedoch alsbald ein interessanter Spagat zwischen unkonventioneller Lovestory und Kino für die Masse. Kleine Fehlschläge in Charakterzeichnung und Pointenfindung rücken bei den zuckersüßen Verliebten angenehm in den Hintergrund.

„Coming In“ ist ab dem 23. Oktober bundesweit in den Kinos zu sehen.