Ein Kuss von Béatrice

Für Regisseur Martin Provost ist die Tragikomödie EIN KUSS VON BÉATRICE kein bloßes Filmprojekt, sondern ein ganz besonderes Tribut, mit dem er seine schwierigen Geburtsumstände aufbereitet. Was es damit auf sich hat, das verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Von einem Tag auf den anderen steht Claires (Catherine Frot) Leben auf dem Kopf. Die Klinik, in der sie seit Jahren mit Leib und Seele als Hebamme arbeitet, schließt. Claires einziger Sohn eröffnet ihr, dass er Vater wird und sein Medizinstudium abbricht. Dann verliebt sie sich noch in Paul (Olivier Gourmet), den humorvollen Nachbarn aus der Kleingartenkolonie. Und als wäre das alles noch nicht genug, platzt Béatrice (Catherine Deneuve) in ihr Leben. Béatrice ist die ehemalige Geliebte ihres verstorbenen Vaters und genau das Gegenteil der gewissenhaften und zurückhaltenden Claire. Sie ist extravagant, laut, egoistisch und lebenslustig: Welten prallen auf einander. Doch Béatrice wäre nicht Béatrice, wenn sie nicht auch noch ein paar Überraschungen auf Lager hätte. Überraschungen, die Claires Leben für immer verändern…

Kritik

Regisseur Martin Provost („Alice“) bereitet in seinem Film „Ein Kuss von Béatrice“ ein sehr persönliches Erlebnis auf: Während seiner Geburt wurde ihm das Leben von einer Hebamme gerettet, indem diese ihm still und leise Blut spendete. Als er sich im Erwachsenenalter bei ihr dafür bedanken wollte, ließen die Umstände das nicht zu. Zum Zeitpunkt von Provosts Geburt befand sich die Hebamme bereits in einem höheren Alter, weshalb die Vermutung nahe lag, dass diese mittlerweile gestorben sei. Auch Aufzeichnungen über ihn gab es im Krankenhaus keine mehr. So beschloss der Filmemacher, seiner Lebensretterin auf diese Weise einen Tribut zu zollen; tatsächlich gibt es in „Ein Kuss von Béatrice“ (der im französischen Original dann auch treffend „Sage femme“, zu Deutsch „Hebamme“, heißt) auch eine Szene, in welcher sich die Hauptfigur mit einer gebärenden Patientin darüber unterhält, vor vielen Jahren selbst im Krankenhaus der als Geburtshelferin arbeitenden Claire geboren und durch das Blut der anwesenden Schwester gerettet worden zu sein. Und auch sonst kommt der Berufsstand Hebamme in „Ein Kuss von Béatrice“ hervorragend weg und nimmt thematisch einen überraschend großen Stellenwert ein. So wirklich konzentriert wirkt Provost in seiner Hommage dann aber nicht, denn in erster Linie ist sein auf Cannes uraufgeführter Film eine spröde Tragikomödie über eine dysfunktionale Frauenfreundschaft, die es mit ihrer bedächtig-ruhigen Erzählweise bisweilen übertreibt – auch wenn darin ein nicht zu leugnender Reiz besteht.

Claire (Catherine Frot) gibt nicht viel auf Äußerlichkeiten.

Hauptfigur Claire arbeitet zwar heldenhaft, eine typische Filmheldin ist sie aber nicht. Abgesehen von ihrer aufopferungsvollen Arbeit als Hebamme ist ihr Leben nicht einmal besonders interessant (was keine bloße Feststellung von Außen ist, sondern auch von der Hauptfigur selbst angeführt wird), zeichnet es sich doch durch eine zermürbende Eintönigkeit zwischen Schrebergarten, Krankenhaus und Hochhaussiedlung aus. Das von dieser Claire trotzdem eine große Faszination ausgeht, liegt zum Einen an der leidenschaftlichen Performance von Catherine Frot („Madame Marguerite und die Kunst der schiefen Töne“), zum Anderen an ihrem nicht zu leugnenden Lebenskünstler-Charme; diese Claire scheint zwar nicht gerade das aufregendste Leben zu führen, ist jedoch in der Lage, aus sämtlichen Situationen das Beste zu machen. Selbst die permanente Betonung dessen liegt ihr fern. Ihre zurückhaltende Lebenskunst anderen auf die Nase binden? Fehlanzeige! Stattdessen gefällt sie sich in ihrer unaufgeregten Zufriedenheit und prägt „Ein Kuss von Béatrice“ damit von der aller ersten Szene an. Ihre (im besten Sinne) kaltblütige Ausstrahlung wirkt sich auch auf ihr Umfeld aus; in der Hektik des Kreißsaals ein Segen, von dem auch ihre Kollegen direkt profitieren. Der Zuschauer muss indes öfter mal die Zähne zusammenbeißen. „Ein Kuss von Béatrice“ droht, in seiner seichten Lethargie hier und da vor sich hin zu plätschern, denn selbst mit dem Auftauchen der exzentrischen Béatrice bleiben Tempo und Atmosphäre gediegen.

Trotzdem durchströmt „Ein Kuss von Béatrice“ ab der ersten Begegnung zwischen Claire und Béatrice direkt ein anderer Tonfall. Es ist schwer, diesen einzuordnen, denn das Bestreben von Claires Ex-Stiefmutter lässt das Drehbuch lange Zeit im Dunkeln. Warum sucht diese Frau eigentlich plötzlich den Kontakt, versucht, längst abgebrochene Brücken wieder aufzubauen, ohne dass dafür ein aktueller Grund bestehen könnte? Nur vage gibt die in die Jahre gekommene Lady Informationen von sich preis, die es dem Publikum zunächst schwer machen, ihren Figurentypus zu erkennen, um sie später irgendwie greifen zu können. Diese Béatrice ist nicht direkt unsympathisch – ein kleines bisschen zu aufdringlich, höchstens. Aber das auch nur im direkten Kontrast zu der extrem introvertierten Claire. Ihr Interesse in Bezug auf Claires Vater (und damit Béatrices ehemaligen Lover) wirkt echt und Catherine Deneuve zeigt spätestens in jener Szene, in welcher ihre Figur vom Tod des Mannes erfährt, einmal mehr, was für eine brillante Schauspielerin sie ist. Aber eine uneingeschränkte Sympathieträgerin ist sie auch nicht. Sie ist schlicht und ergreifend der ideale Reibungspunkt für die auf emotionaler Ebene sehr ähnlich funktionierende Claire – nur in laut und offensiv. So wird „Ein Kuss von Béatrice“ erzählerisch irgendwann zur typischen „Gegensätze ziehen sich an“-Nummer; doch anders als etwa zuletzt die ganz und gar schematische Tragikomödie „Zu guter Letzt“ hat dieser Vertreter hier tatsächlich Charakter.

Béatrice (Catherine Deneuve) erfährt vom Tod ihres Ex-Freundes.

Das Motiv zwei gegensätzlich gezeichneter Figuren, von denen die eine jeweils die andere formt (und umgekehrt) scheint auch in „Ein Kuss von Béatrice“ durch, doch im Gegensatz zu den diversen anderen Vertretern dieser Sparte bleibt es hier beim Gewähren eines Einblicks in das Leben des Gegenübers. Dies hängt auch mit dem Alter der Darstellerinnen zusammen: Beide Frauen sind schon jenseits der fünfzig (angenehm, dass sich das Kino hier einmal mehr dieser Altersklasse annimmt, ohne das Alter direkt zum Thema zu machen) und genießen den Zustand, es Niemandem mehr beweisen zu müssen. So wird ihre Zusammenkunft zur Zweckgemeinschaft, in welcher jeder davon profitiert, fortan Jemanden an seiner Seite zu haben, der die eigene Lebenssituation von außen betrachtet. Natürlich mogeln sich da noch kleinere Subplots über die Liebe, Krankheiten oder Jobprobleme in die ansonsten so minimalistische Geschichte; manch einer wird nicht alle von ihnen benötigen, um auch so ein allumfassendes Gesamtbild der beiden Frauen zu erhalten. So aber ergibt sich eine inspirierende Geschichte über das Überwinden von Vorurteilen und den hohen Wert, sich trotz Differenzen miteinander zu arrangieren. Satte zwei Stunden hätte Martin Provost damit zwar nicht verbringen müssen und auch visuell profitiert „Ein Kuss von Béatrice“ nicht wirklich von seinem dokumentarischen Kamerastil (Yves Cape). Doch immerhin liegt der Fokus somit voll und ganz auf den beiden bravurös aufspielenden Hauptdarstellerinnen.

Fazit: In „Ein Kuss von Béatrice“ erzählt Martin Provost von zwei Frauen, die sich entgegen erster Tendenzen ähnlicher sind, als zunächst angenommen. Daraus ergibt sich für das hervorragend aufgelegte Hauptdarstellerinnengespann eine spannende, wenn auch deutlich zu lange Reise in emotionale Seelengefilde, die leider hier und da von ihren diversen Subplots verwässert wird.

„Ein Kuss von Béatrice“ ist ab dem 8. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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